Grün ist die Zukunft

Der Ausstoß von schädlichen Treibhausgasen soll bis 2030 noch stärker reduziert werden als bisher geplant. Damit rückt die Energiewende auf der Agenda der Wirtschaft nach ganz oben – in allen Sektoren.
Illustration: Malcolm Fisher
Illustration: Malcolm Fisher
Mirko Heinemann Redaktion

Schaut man sich die deutsche Wirtschaftspolitik an, fällt einem ein Kinderlied ein: „Grün, grün, grün...” Grün soll die Zukunft Deutschlands sein, und nicht nur die: Die Energiewende ist eingebettet in eine europäische Strategie, deren Vorkämpferin die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist. Es scheint, als hätten Bündnis 90/Die Grünen bereits Kanzlerschaft und EU-Ratspräsidentschaft übernommen – ein Jahr vor der Bundestagswahl.

 

Stimmt aber nicht: Die EU-Komissionspräsidentin ist Mitglied der CDU. Aber die möchte ja gern auch in der nächsten Legislaturperiode regieren. Die Wahrscheinlichkeit wächst, dass eine künftige Große Koalition aus Schwarz und Grün bestehen wird; jedenfalls haben die Grünen bei den Sonntagsfragen aller Umfrageinstitute die SPD längst überholt und sind zweitstärkste Partei. Außerdem wächst der Handlungsdruck: Jüngere Wähler wachsen nach, die das Klimathema bewegt, und Skeptiker des menschengemachten Klimawandels werden durch die Zunahme von Extremwetterereignissen eines Besseren belehrt. „While much of the world's activity froze during lockdowns and shutdowns, the planet continued to get dangerously hotter”, so hat es Ursula von der Leyen Mitte September in ihrer Grundsatzrede zur Lage der Europäischen Union formuliert. Inzwischen ist wohl jedem vernünftigen Menschen klar, dass die Uhr tickt.

 

Es geht nun um die Frage, inwiefern diese Generation bereit ist, zu Gunsten nachfolgender Generationen bestimmte Anstrengungen zu unternehmen. Eine wesentliche hat die Kommisionspräsidentin ebenfalls formuliert, nämlich das Ziel, die Treibhausgasemissionen noch stärker zu reduzieren als eigentlich geplant: bis 2030 nicht nur um 50 Prozent, sondern um 55 Prozent. Dies sei ein Ziel, das „manchen in der EU zu ehrgeizig und anderen zu wenig ambitioniert” sei, so Ursula von der Leyen. Entscheidend aber sei, dass sich die EU mit diesem Ziel „fest auf dem Weg zur  Klimaneutralität bis 2050” befinde und damit auch die Verpflichtungen aus dem Pariser Abkommen erfüllen werde. „Wenn andere unserem Beispiel folgen, kann die Erwärmung der Erde auf unter 1,5 Grad Celsius begrenzt werden.”

 

Der große Aufschrei aus der Wirtschaft blieb aus. Das neue Klimaziel ist kein Alleingang der EU-Kommission. Einen Tag vor ihrer Grundsatzrede hatten 170 Wirtschaftsführer und Investoren aus ganz Europa Ursula von der Leyen öffentlich ihre Unterstützung für ein 55-Prozent-Ziel erklärt. Dahinter steht die Erkenntnis, dass jetzt gehandelt werden muss, um einen größeren Schaden abzuwenden. Aber auch das Bewusstsein, dass Europa in der Lage ist, die technologischen Lösungen für eine klimaneutrale Zukunft zu entwickeln und der Welt bereitzustellen.

 

Aus diesen Gründen muss die Politik der Wirtschaft Anreize bieten. Das betont nun auch Wirtschaftsminister Peter Altmaier, der bis vor kurzem eher als Verhinderer der Energiewende galt. Nun sprach er von Versäumnissen beim Klimaschutz, er selbst sei „zu zögerlich” gewesen. Seinen aktuellen Vorstoß nennt er die „Allianz von Gesellschaft, Wirtschaft und Staat für Klimaneutralität und Wohlstand”. Sie umfasst 20 Vorschläge, wie Klimaschutz und Wirtschaft miteinander in Einklang gebracht werden könnten. „Dies erfordert die Bereitschaft, alte Feindbilder und Gräben zu überwinden und über den eigenen Schatten zu springen”, so Altmaier.

 

Die Vorschläge schreiben das Ziel der Klimaneutralität bis spätestens 2050 fest. Wettbewerblich relevante Belastungen der Wirtschaft durch Klimaschutz sollen ausgeglichen werden. Ein bestimmter Prozentsatz des Bruttoinlandsproduktes solle jedes Jahr für Klimaschutz und Wirtschaftsförderung zur Verfügung stehen. Branchen und Unternehmen können sich in „Carbon Contracts for Difference“ zu einem schnelleren Transformationsprozess verpflichten, als er durch die offiziellen Klimaziele vorgegeben ist. Je schneller der Transformationsprozess bewältigt werde, desto höher sollen Unterstützungen und Investitionszuschüsse ausfallen. Bis Anfang 2021 solle entschieden werden, wie Nachteile für grüne CO2-arme oder -neutrale Produkte auf dem Weltmarkt vermieden werden können. Die öffentlichen Einrichtungen (Bund, Länder, Kommunen) sollen verpflichtet werden, das Ziel der Klimaneutralität bereits bis 2035 zu erreichen. „Nur so, davon bin ich überzeugt, werden wir diese überragend wichtigen Ziele erreichen und den Zusammenhalt unserer Gesellschaft bewahren”, so Altmaier. Ob hinter dem Vorstoß mehr steht als Vorwahlkampf-Tamtam, muss sich noch zeigen.

 

Zunächst, nämlich am 1.1.2021, startet die neue CO2-Steuer. Damit werden über die Energiebranche und die Industrie hinaus, die bereits jetzt CO2-Abgaben zahlen, auch die Sektoren Verkehr und Gebäude an den CO2-Abgaben beteiligt. Die Auswirkung wird sofort zu spüren sein: Der Benzinpreis wird steigen. 25 Euro pro Tonne beträgt der CO2-Preis zunächst, also 2,5 Cent pro Kilogramm. Das entspricht etwa 6 Cent pro Liter Benzin. Um diesen Betrag wird es am 1. Januar 2021 teurer. Danach steigt der CO2-Preis schritt-weise bis zu 55 Euro im Jahr 2025 an. Zugleich
wird die Stromsteuer auf den europäischen Mindestsatz abgesenkt. Damit werden die Haushalte entlastet und die erneuerbaren Energien gefördert. Der Anreiz auf ein Elektroauto umzusteigen, steigt.

 

Ob dieses mit einem Akku oder einer auf Wasserstoff basierenden Brennstoffzelle angetrieben wird, sollte dabei unerheblich sein. In der Industrie aber sind CO2-neutrale Alternativen zu Akkustrom überlebenswichtig. Sollen Raffinerien, Stahlwerke oder Passagierflugzeuge klimaneutral betrieben werden, brauchen sie „grünen Wasserstoff”. Der wird durch Elektrolyse aus erneuerbarem Strom erzeugt, etwa aus Windkraft. Das geht aber nicht von jetzt auf gleich. Als Energieträger für den Übergang gilt Erdgas. Daraus lässt sich ebenfalls Wasserstoff herstellen. Dieser „blaue Wasserstoff” ist nicht klimaneutral, aber als Energierträger für den Übergang geeignet. Ihm kann dann sukzessive grüner Wasserstoff zugegeben werden – bis 2030 soll der Anteil des CO2-freien Wasserstoffs laut Bund 20 Prozent betragen. Und damit „grün” sein. Grün, grün, grün...

 

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