Die Lücke schließen

Wohnraum ist knapp. Mehr bauen, aber auch nachhaltiger – so lautet die Devise.
Illustration: Malcolm Fisher
Illustration: Malcolm Fisher
Olaf Strohm Redaktion

Landauf, landab steht die Frage auf der politischen Agenda:Wie lässt sich mehr Wohnraun schaffen? Vor allem in den Großstädten sind Wohnungen derart knapp geworden, dass manche Kommunen zu drastischen Mitteln greifen. So hat die Hauptstadt Berlin, um die Preisexplosion bei den Mieten zu drosseln, im vergangenen Jahr den „Mietendeckel” eingezogen. Er friert die Mieten für fünf Jahre auf dem Niveau von Mitte 2019 ein, deklariert Mietobergrenzen und begrenzt die Modernisierungsumlage. Die Auswirkungen des Instruments hat das Internetportal Immowelt kürzlich berechnet: Die Angebotsmieten für Wohnungen, die unter den Mietendeckel fallen, sind um acht Prozent gefallen. Neubauwohnungen ab 2014, die nicht unter den Mietendeckel fallen, haben sich dagegen um 17 Prozent verteuert.

 

Für Zuzügler, junge Familien und Jobwechsler wird Wohnraum damit noch teurer. Dabei sind mehr erschwingliche Neubauten genau das, was dringend fehlt. Berlin bräuchte laut DIW Econ, einer Tochter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, bis 2030 etwa 119.000 neue Wohnungen, also rund 12.000 neue Wohnungen pro Jahr. Auch in anderen europäischen Metropolen ist die Kluft zwischen Angebot und Nachfrage riesig: In London fehlen 355.000 Wohnungen, in Warschau 142.000 und in Paris rund 129.000 Wohnungen.

 

Eine Ursache für die Wohnungsnot ist der anhaltende Zuzug in die Städte, aber auch strukturelle Gründe spielen eine Rolle, so Studienautor Konstantin A. Kholodilin. In den europäischen Großstädten sei teilweise erst spät die Erkenntnis gereift, dass der Wohnungsbestand nicht mehr den Bedürfnissen der Menschen entspreche. Das Wohnungsangebot könne sich aber nur langsam an die Nachfrage anpassen, wegen knappen Bauflächen, langwieriger Genehmigungsprozesse und fehlender Arbeitskräfte für den Bau.

 

Mehr bauen heißt die Devise. Hierzu hat die Bundesregierung gemeinsam mit den Ländern und den Kommunen vor zwei Jahren die so genannte „Wohnraumoffensive” gestartet. Ziel war die Errichtung von 1,5 Millionen neuen Wohnungen bis 2021. Sogar das Grundgesetz wurde geändert, um dem Bund zweckgebundene Finanzhilfen im sozialen Wohnungsbau zu ermöglichen. Länder und Kommunen sollen bei der Gründung kommunaler Wohnungsbaugesellschaften unterstützt werden und bundeseigene Grundstücke werden vergünstigt an Kommunen vergeben.

 

Folge: 2019 wurden in Deutschland 293.000 Wohnungen fertiggestellt, das war eine Steigerung von 2 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Vor allem Mehrfamilienhäuser wurden neu errichtet, (+6,0 %), bei den Einfamilienhäusern fiel die Steigerung mit 0,4 Prozent gering aus. Es sind Landesinitiativen, die als Vorreiter fungieren. Nicole Hoffmeister-Kraut, Wirtschaftsministerin in Baden-Württemberg, hat etwa einen Grundstücksfonds ins Leben gerufen. 100 Millionen Euro stehen zur Verfügung. Damit will das Land Grundstücke in finanzschwachen Kommunen erwerben. Auf den Grundstücken sollen die Städte oder Gemeinden dann bezahlbaren Wohnraum errichten. Sind sie damit erfolgreich, sollen sie die Grundstücke später zu günstigen Konditionen vom Land erwerben können.

 

Kreative Ideen sind gefragt – aber nicht nur, um den Wohnraummangel zu bekämpfen. Eine weitere Herausforderung für die Bauwirtschaft wird das ressorcenschonende und klimafreundliche Bauen. Das Bauen, mit all seinen Herstellungsprozessen, sei eines der stärksten CO2-Emittenten und damit auch eines der größten Mitverursacher der Klimakrise, so Amandus Samsøe Sattler, Architekt und Präsidiumsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen DGNB. Der ökologische Schaden soll eingedämmt werden. Gebäude sollten so geplant werden, dass sie auch nach der aktuellen Nutzung gerne weiter genutzt werden und eine langlebige Qualität aufweisen. Um diese Forderungen zu unterstützen, hat die DGNB gemeinsam mit der Bundesarchitektenkammer die Initiative „Phase Nachhaltigkeit” gegründet. Unterzeichnende Architekten und Fachplaner verpflichten sich dazu, in ihren Bauherrengesprächen Nachhaltigkeitsthemen zu forcieren.

 

Aber auch im Bestand sind Gebäude für den Klimaschutz eminent wichtig. In der Strategie der Bundesregierung zum Erreichen der Pariser Klimaziele spielt die energetische Gebäudesanierung eine wichtige Rolle: Allein Wohngebäude waren 2018 für etwa ein Achtel der insgesamt 866 Millionen Tonnen an CO2, die in Deutschland ausgestoßen wurden, verantwortlich. Die Emissionen in Wohnhäusern sollen nun sukzessive sinken, um so im Idealfall bis 2050 einen klimaneutralen Gebäudebestand erreichen zu können.

 

Leider stocken die Investitionen der Vermieter in Sanierungen, etwa in Berlin. Kai Warnecke, Präsident des Eigentümerverbands Haus & Grund, erklärte der WirtschaftsWoche, die Verunsicherung durch den Mietendeckel sei enorm. „Vermieter müssen ihre Mieten senken, aber natürlich haben sie anders kalkuliert.” Es gehe schon nicht mehr darum, wie viel Geld investiert werden könne, „sondern ob die Wohnung zu einer finanziellen Belastung für den Vermieter wird.“ Dass ein Gesetz zum Mieterschutz Investitionen in den Klimaschutz konterkariert, zeigt: Der Ernst der Lage ist in manchen Köpfen noch nicht angekommen.

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