»Wir haben ein systemisches Problem«

Frauen fehlen in der Start-up-Szene –genauso wie unter den Business-Angel-Investoren.
Illustration: Tolga Akdogan
Interview: Julia Thiem Redaktion

Die Gründe dafür sind vielschichtig, aber ein Wandel findet bereits statt. Wie lange wird es dauern, bis sich das Verhältnis zwischen den Geschlechtern ausgeglichen hat? Ein Gespräch mit Dr. Ute Günther vom Business Angels Netzwerk Deutschland.

 

Frau Dr. Günther, laut einer aktuellen Studie der Boston Consulting Group werden nur vier Prozent aller Start-ups in Deutschland von Frauen gegründet. Selbst mit gemischten Teams heben nur 10 Prozent aller Gründer ein Unternehmen aus der Taufe. Warum trauen sich so wenige Frauen?
Ich kann die Aussage nicht teilen, dass Frauen sich nicht trauen oder zu risikoavers sind, weil sich mir die Realität anders darstellt. Wenn ich beispielsweise an einige der Start-up-Gründerinnen aus dem medizinischen Bereich denke, sind Mut und Risikobereitschaft extrem hoch. Das gilt auch für die weiblichen Angel-Investoren, die ihren männlichen Pendants in nichts nachstehen.  

 

Warum fehlen dann Ihrer Meinung nach in der Start-up-Szene sowohl auf Gründer- als auch auf Investorenseite die Frauen?
Ich spreche als Expertin für das Business-Angel-Ökosystem natürlich nicht für die gesamte Gründerszene, sondern nur für innovative, meist technologiegetriebene Start-ups. Viele davon kommen aus dem universitären Umfeld, insbesondere der Informatik, dem Maschinenbau und der Energie. Hier finden sich prozentual gesehen schon unter den Studenten weniger Frauen, was sich entsprechend auf das Gründergeschlecht überträgt. Ein weiterer Aspekt, der Frauen das Gründen schwieriger macht, ist die hohe Arbeitsbelastung im Start-up. Eine 60-Stundenwoche mit Familie oder gar Elternzeit zu vereinbaren, ist schlicht nicht realistisch.


Für die Wirtschaft ist es doch aber fatal, das weibliche Potenzial nicht zu nutzen, oder?
Definitiv. Das haben wir, viele andere Verbände, die Politik sowie die Wirtschaft erkannt. Die Debatte ist in vollem Gange und nimmt derzeit noch an Fahrt auf. Wir versuchen vor allem, durch Best-Practice-Beispiele weiblicher Gründerinnen mehr Aufmerksamkeit unter den jungen Frauen zu generieren. Denn auch wir müssen uns der Kritik stellen, dass wir vor zehn Jahren im Business-Angel-Jahr nur männliche Botschafter hatten. Denkbar sind auch Anreize und verstärkte Förderungen für weibliche Gründer und gemischte Teams. Hier muss man jedoch aufpassen, dass die Tatsache, dass eine Frau gründet oder unter den Gründern ist, nicht die Qualität einer Idee überschattet.

 

Weil „Frau sein“ kein Garant für Gründungserfolg ist?
Genau. Die Idee muss passen und wettbewerbsfähig sein. Das Engagement als Business-Angel ist ohnehin riskant. Dieses Risiko darf für eine höhere Frauenquote nicht zusätzlich gesteigert werden. Wir erleben hier im Verband auch immer wieder, zu welch kuriosen Auswüchsen das Engagement für mehr Frauen in der Start-up-Szene führt. Mein Kollege Dr. Roland Kirchhof und ich sind gleichberechtigte Vorstandsmitglieder und arbeiten seit Jahren erfolgreich nach der Devise zusammen: „Was ich nicht kann, macht er, was er nicht kann, mache ich“. Nun kommt es aber immer häufiger vor, dass ich in ein Gremium geladen werde, weil ich eine Frau bin. Ob er als Jurist inhaltlich der bessere Ansprechpartner wäre, ist da teilweise zweitrangig. Und das kann nicht der richtige Weg sein.

 

Wie könnte ein richtiger Weg stattdessen aussehen?
Letztendlich haben wir ein systemisches Problem, das wir angehen müssen. Die männliche Dominanz in der Start-up-Szene rührt auch daher, dass wir in den Schulen noch weit von einer flächendeckenden Digitalisierung entfernt sind und Informatik als Lehrfach nicht die Rolle spielt, die sie aktuell in der Wirtschaft einnimmt. Das ist aber natürlich nur eine Seite der Medaille. Denn andersrum werden beispielsweise die Grundschulen von Lehrerinnen dominiert. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den Erzieherinnen in den Kitas. Daher müssen wir uns auch die Frage stellen, ob es gut ist, dass die Früherziehung unserer Kinder ausschließlich von Frauen übernommen wird. An diesen Stellschrauben gilt es, anzusetzen. Wir müssen grundlegend etwas am System verändern, vielleicht auch Lernmaterial, -inhalte und die Art und Weise überdenken, wie wir Wissen vermitteln, um eben auch mehr Frauen für die relevanten Themen unserer Zeit zu begeistern. Und natürlich spielt dabei die Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine große Rolle. Daher gibt es ja beispielsweise so viele Lehrerinnen an den Grundschulen. Auch die Männer sind in der Pflicht. Ich sehe es unter unseren Mitarbeitern: Männer nehmen vielleicht einen Monat Elternzeit, Frauen hingegen meistens deutlich länger.


Haben Frauen als Start-up-Gründerinnen Qualitäten, die Männer nicht haben?
Natürlich gibt es Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Das ist auch ein Grund, warum Business-Angel-Investoren, egal welchen Geschlechts, gemischte Gründerteams bevorzugen. Hier sind die Kompetenzen oftmals sehr ausgewogen. Was jedoch auffällt ist, dass weibliche Gründerinnen das zweite große Thema der Start-up-Szene bereits stärker auf dem Radar haben – den Impact. Wenn sie gründen, dann überwiegend mit einer Idee, die ein wichtiges gesellschaftliches Problem adressiert und lösen will.

 

Was außerdem auffällt: Wirklich erfolgreiche Frauen wollen selten Aushängeschild für Frauenquoten und ähnliche Gender-Diskussionen sein. Erleben Sie dieses Ressentiment auch auf der Suche nach Vorbildern?
Ich glaube, keine Frau möchte nur wegen ihres Geschlechts wahrgenommen werden. Ein Beispiel: Wir loben jedes Jahr den Preis „Business Angel des Jahres“ aus und durften uns in diesem Jahr mit Frau Dr. Andrea Kranzer über die erste weibliche Gewinnerin freuen. Vorgeschlagen werden die Angel-Investoren von den Start-ups. Frau Dr. Kranzer hat aber explizit nur an der deutschen, gemischten Ausschreibung teilgenommen und sich gegen eine Teilnahme am „Europe’s Female Angel Investor of the year“ entschieden, wo nur weibliche Angel-Investoren antreten. Wer sich in einem gemischt-geschlechtlichen Umfeld bewegt, behauptet und Erfolge nachweisen kann, möchte eben auch daran gemessen werden.

 

Start-ups sehen sich gerne als die Speedboote, während große Konzerne die schweren Tanker sind. Könnten dann nicht gerade die Start-ups, die im Idealfall ja auch irgendwann einmal groß werden, Rollenbilder und Unternehmenskultur nachhaltig verändern?
Das könnten sie sicher – auch, weil der Anspruch an Gendergerechtigkeit und Hierarchieebenen ein ganz anderer ist. In einem Start-up arbeitet man wesentlich Team-fokussierter, jeder einzelne Beitrag zählt, man kann Erfolge nur gemeinsam erreichen. Allerdings werden Start-ups diesen Ansprüchen in der Realität nicht immer gerecht. Auch hier gibt es Beispiele dafür, dass eine Frau in einem gemischten Gründerteam zwar entscheidend an der ursprünglichen Geschäftsidee beteiligt war, die Rolle des CEO dann aber an einen männlichen Kollegen geht, während ihr vielleicht der Posten der Marketingchefin oder „irgendwas öffentlichkeitswirksames“ zukommt. Rollenbilder lassen sich eben nicht ohne Weiteres von einem Tag auf den anderen umkrempeln.  

 

Was denken Sie, wie lange es dauern wird, bis sich dieses Rollenverständnis ändert?
Ich habe leider keine Kristallkugel, um hier eine Prognose abzugeben. Ich kann nur sagen, dass die Notwendigkeit, mehr Frauen als Start-up-Gründerinnen zu gewinnen, erkannt wurde und entsprechend gefördert wird. Ich muss dabei nur immer an meine Anfänge als erste weibliche Mitarbeiterin an einem Lehrstuhl für Philosophie zurückdenken, wo paradoxerweise erwartet wurde, dass ich mich als Frau stärker auf weibliche Philosophen in der Lehre konzentriere – die es in der Historie jedoch kaum gab. Was ich damit sagen will: Wir können keine Gründerinnen aus dem Hut zaubern, es ist ein Prozess, und der wird dauern. ■

 

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