»E-Mobilität: Nachhaltiger, als viele denken«

Die Zulassungszahlen haben sich 2020 verdreifacht, in Deutschland fahren nun etwa 570.000 elektrische Fahrzeuge – das ist weltweit Rang drei nach China und den USA.
Illustration: Monika Jurczyk
Illustration: Monika Jurczyk
Mirko Heinemann Redaktion

Aber ist die Umstellung auf E-Mobilität wirklich der entscheidende Faktor der Verkehrswende? Ein Gespräch mit Michael Müller-Görnert, verkehrspolitischer Sprecher beim ökologisch ausgerichteten Verkehrsclub Deutschland.

 

Herr Müller-Görnert, ist das jetzt der Durchbruch für die E-Mobilität in Deutschland?

Von einem Durchbruch würde ich nicht sprechen, der Anteil der Elektrofahrzeuge an allen Fahrzeugen auf deutschen Straßen beträgt immer noch nur 1,2 Prozent. Dass die Zulassungszahlen steigen, liegt zum einen daran, dass die Autohersteller aufgrund der Verschärfung der CO2-Flottenverbrauchszahlen mehr Elektroautos verkaufen müssen – nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Dadurch ist das Angebot deutlich größer geworden, und es gibt jetzt eine Vielzahl von Modellen in ganz verschiedenen Segmenten. Das macht die Fahrzeuge interessant. Dazu kommt die erhöhte Kaufprämie, die viele bewogen hat, jetzt zuzuschlagen.

 

Bis zu 10.000 Euro bekommen Käufer von elektrischen Fahrzeugen vom Staat dazu, außerdem steuerliche und verkehrspolitische Vergünstigungen. Ist die üppige Kaufförderung für Elektroautos wirklich nötig?

Ich bin da zwiegespalten. Zum einen ist es gut, dass es Anreize gibt. Aber besser fänden wir, wenn sie aufkommensneutral gestaltet würden – etwa als Bonus-Malus-Regelung: Fahrzeuge, die weniger CO2 ausstoßen, sollten einen Bonus bekommen. Gegenfinanziert würde er durch Fahrzeuge, die entsprechend mehr CO2 ausstoßen. Das könnte man durch eine Kaufsteuer im ersten Jahr der Anschaffung realisieren, die solch eine Regelung enthält. Viele europäische Länder, unter anderem Frankreich, Großbritannien, die Niederlande oder Norwegen, haben so eine Regelung, und die CO2-Flottenwerte liegen dort deutlich niedriger als in Deutschland.

 

Die Steuerzahler bezahlen also die Umstellung auf E-Mobilität.

Ja, und man muss ehrlicherweise sagen, dass ausgerechnet diejenigen Käufer von der Kaufprämie profitieren, die sich die modernen Elektroautos sowieso eher leisten können. Zudem gibt es steuerliche Vorteile für Privatnutzer und Unternehmen. Zum einen fällt für zehn Jahre die Kfz-Steuer weg, zum anderen können Unternehmen im Jahr der Anschaffung eine Sonderabschreibung von einmalig 50 Prozent der Anschaffungskosten vornehmen. Zudem wird bei der privaten Nutzung von Dienstwagen der geldwerte Vorteil geringer angesetzt als bei Verbrennern. Und: Laden Arbeitnehmer beim Arbeitgeber das Elektrofahrzeug auf, stellt dies keinen geldwerten Vorteil dar. Davon profitieren viele Unternehmen und Beschäftigte.

 

Von potenziellen Kunden wird die mangelnde Reichweite im Vergleich zu Verbrennern als Hemmschuh benannt. Können Sie dagegenhalten?

Man muss sich vergegenwärtigen, dass die große Mehrzahl der täglichen Fahrstrecken kürzer sind als 100 Kilometer. Das heißt: Man kann mehrere Tage fahren, ohne zwischendurch aufzuladen. Ein bis zwei Prozent der täglichen Fahrleistungen liegen bei über hundert Kilometern, und da ist das Elektroauto vielleicht noch nicht die beste, endgültige Lösung. Aber für das Gros der Autofahrer, die das Auto nutzen, um damit zur Arbeit zu fahren, zu pendeln, vielleicht noch einkaufen zu fahren und am Wochenende einen kleinen Trip zu machen, reicht das vollkommen aus.

 

Man hört und liest immer wieder Berichte von Autotestern, die auf der Suche nach einer Elektrotankstelle zwischen Klein-Kleckersdorf und Buxtehude verzweifeln – und dann abgeschleppt werden müssen.

Ja klar, diese Berichte gibt es. Genauso wie die anderen, in denen steht, dass es wunderbar geklappt hat. Wobei sich die ersteren dramatischer lesen und deshalb vielleicht eher publik werden. Aber mal grundsätzlich: Es ist klar, dass man als Besitzer eines Elektroautos auch über andere Formen der Mobilität nachdenken sollte. Und wer das nicht will, sollte sich vielleicht überlegen, ob es nicht zielführender und bequemer wäre, die Langstrecke mit der Bahn zu absolvieren und sich vor Ort ein Fahrzeug zu mieten – vielleicht ein E-Auto, aber warum nicht einen E-Roller, ein Pedelec oder ein Fahrrad? Wer wirklich weite Reisen mit dem Elektroauto unternehmen will, muss recherchieren, sich über die Situation in den jeweiligen Ländern informieren und seine Reise gut planen.

 

Das erinnert mich an meine Kindheit, als es noch keine Navigationsgeräte und Internet gab. Das hat eine gewisse Romantik.

Und da kann man dann die virtuelle Europakarte ausbreiten und schauen: Wo gibt es Ladesäulen am Weg, über welche Anschlussmöglichkeiten verfügen sie? Mit welchen Zahlungsmitteln kann ich bezahlen? Muss ich mich vielleicht sogar vorher anmelden? Das ist ja sogar in Deutschland gelegentlich herausfordernd. Aber: Eine einheitliche Ladeinfrastruktur ist machbar. In den Niederlanden etwa gibt es einen Standard.

 

Wann wird es denn den einheitlichen Standard für Ladesäulen geben wie beim Tanken von Benzin und Diesel?

Das ist schwer zu sagen. Beim Bund angesiedelt ist die Leitstelle Elektromobilität, die das Thema vorantreibt. Sie musste sich aber gerade eingestehen, dass es doch nicht so schnell vorangeht wie gewünscht. Die vielen unterschiedlichen Betreiber sind noch nicht unter einen Hut gebracht, zudem ist das Tarifsystem noch völlig intransparent. Tückisch können vor allem Roaming-Tarife für Fremdkunden werden, die nicht bei dem Betreiber angemeldet sind – ähnlich wie früher beim Telefonieren im Ausland.

 

Eine große Herausforderung ist, eine flächendeckende Ladeinfrastruktur in den Städten zu installieren. Das Berliner Unternehmen Ubitricity hatte die Idee, Straßenlaternen zu Ladesäulen umzubauen. Was ist daraus geworden?

In Berlin ist das Unternehmen mit seiner Idee nicht weitergekommen. Die Umsetzung scheiterte an den technisch-regulatorischen Anforderungen an Netzanschlüsse, an deutschen Normen. Deshalb haben sie es erst einmal in Großbritannien gemacht, und sie waren damit erfolgreich. Nun sollen zwei Modellprojekte in Berlin durchgeführt werden.

 

Bei diesem Tempo wird das wohl so bald nichts mit der Verkehrswende, oder?

Das würde ich so nicht sehen. Gerade in der Stadt ist die Verkehrswende anderen Überlegungen geschuldet. Wer in der Stadt unterwegs ist, braucht das Auto nicht so oft, um mobil zu sein. Klar ist: Wir werden uns in Zukunft anders bewegen müssen. Warum etwa muss man ein eigenes Auto haben, wenn Privatautos doch im Durchschnitt 23 Stunden am Tag nur herumstehen? Um den ÖPNV zu entlasten, setzen wir für die Städte auf Ride- und Carsharing-Konzepte mit Elektroautos. Dazu kommt, dass das Elektroauto im städtischen Verkehr mit dem vielen Stop und Go und der dadurch erfolgten Bremskraftrückgewinnung besonders effizient ist und eine kleinere Batterie ausreicht.

 

Welche Auswirkungen wird der E-Boom auf den Automobilstandort Deutschland haben?

Wer sich rechtzeitig aufgestellt hat, wie Volkswagen, hat hier einen Wettbewerbsvorteil. Die Wolfsburger setzen das konsequent mit ihrem Elektrobaukasten-
System um, sind jetzt eine Kooperation mit Ford eingegangen und bauen eigene Batteriefabriken in Kooperation mit der schwedischen Northvolt. Andere Hersteller, wie Daimler oder BMW, werden sich jetzt mehr anstrengen müssen. Denn klar ist: Der Zug geht in Richtung Elektro, auch international. Wer jetzt da nicht präsent ist, verliert den Anschluss.

 

Wenn man sich ansieht, wie viele Fahrzeuge und Hersteller aus China den Markt fluten, könnte man denken, er ist schon verloren.

Auf der anderen Seite sind auf dem internationalen Markt die Vorbehalte gegenüber chinesischen Herstellern immer noch groß. Zudem hat die EU, immerhin einer der größten Wirtschaftsräume der Welt, gute Möglichkeiten, einheimische Hersteller zu schützen und durch bestimmte Standards die Qualität hoch zu halten. Ein Beispiel hierfür ist die neue Batterieverordnung. Sie setzt Mindeststandards in Sachen Nachhaltigkeit und Sicherheit, CO2-Fußabdruck, Recycling, Leistung und Haltbarkeit. Es wird einen digitalen Batteriepass geben, Hersteller müssen Sorgfaltspflichten bei der Produktion nachweisen, Recylingquoten erfüllen und Mindeststandards über die gesamte Lieferkette hinweg nachweisen. Fahrzeuge ohne dieses Label werden in der EU nicht verkauft werden dürfen.

 

Wie nachhaltig sind denn Batterien für Elektroautos?

Nachhaltiger, als viele denken. Einer aktuellen Studie zufolge verbraucht eine Batterie für ein Elektrofahrzeug bei ihrer Herstellung nur 30 Kilo Rohstoffe, während ein durchschnittliches Auto 17.000 Liter Öl verbraucht. Zudem wird der technologische Fortschritt die Menge an Lithium, die für die Batterieherstellung benötigt wird, in den nächsten zehn Jahren um die Hälfte reduzieren, Kobalt um mehr als drei Viertel und Nickel um etwa ein Fünftel. Derzeit entstehen 22 Gigafactorys in Europa, die bis 2030 ein Viertel der Batterien für Elektroautos nach europäischem Standard herstellen können. Zudem haben Batterien für Elektroautos auch nach der Nutzung im Verkehr noch ein zweites Leben. Sie verfügen noch über 60 Prozent ihrer ursprünglichen Kapazität und können als stationäre Energieträger genutzt werden. Der ökologische Fußabdruck der Batterien wird auf diese Weise noch einmal deutlich verkleinert.

 

Bei den Pkws scheint die Systemfrage entschieden: Auf mit Wasserstoff betriebene Brennstoffzellen statt auf Akkus setzt kaum ein Hersteller mehr. Was halten Sie von der Brennstoffzelle?

Bei Brennstoffzellenfahrzeugen auf Basis von Wasserstoff haben wir das Problem mit dem geringen Wirkungsgrad: Durch die Gewinnung von Wasserstoff durch Elektrolyse entstehen hohe Effizienzverluste. Mit der Energie, die gebraucht wird, um eine Brennstoffzelle entsprechend mit Wasserstoff zu befüllen, könnte ein akkubetriebenes Fahrzeug zweieinhalb Mal so weit fahren. Dazu kommt, dass wir nicht absehen können, woher die enormen Mengen an grünem Wasserstoff kommen sollen, die gebraucht werden.

 

Moderne Windkraftanlagen können Strom in Wasserstoff umwandeln. Und in Norddeutschland steht bereits eine Anlage, die überschüssigen Strom in Wasserstoff umwandelt und speichert. Kein guter Ansatz?

Aber der Ausbau der erneuerbaren Energien stockt, die Akzeptanz für neue Windkraftanlagen sinkt. Nimmt man dann die Effizienzverluste hinzu, die bei der Produktion von Wasserstoff oder gar von synthetischen Kraftstoffen entstehen, bräuchte man die fünf- oder sechsfache Menge an erneuerbarem Strom. Das halten wir für unrealistisch. Zudem lägen die Kosten für strombasierte Kraftstoffe auch künftig deutlich über denen von Benzin und Diesel. Auch in Sachen Partnerschaften mit Nordafrika zur Produktion von grünem Wasserstoff sind wir skeptisch. Die Länder dort müssten selbst erst einmal auf erneuerbaren Strom umgestellt werden, teilweise gibt es dort nicht einmal Strom. Wasser wird zur Produktion ebenfalls benötigt. Zudem wollen nicht nur die Deutschen grünen Wasserstoff, sondern auch andere Industrieländer. Das ist einfach nicht weit genug gedacht.

 

Wie soll dann der Güterverkehr nachhaltiger werden? Batterien sind für Lkw zu schwer, und an Brennstoffzellen-Lkw arbeiten mehrere Hersteller.

Ein Drittel aller CO2-Emissionen im Verkehrssektor entfallen auf den Straßengüterverkehr, deshalb brauchen wir dort dringend Lösungen. Doch auch im Logistikbereich halten wir im Gegensatz zu vielen aus den oben genannten Gründen einen großflächigen Einsatz von Brennstoffzellen-Lkw für utopisch. Güter auf die Bahn umzuschichten, wird notwendig sein, aber es ist klar, dass die Bahn die Menge an Gütern, die derzeit auf den Straßen transportiert werden, nicht aufnehmen kann. Sie wird dabei an Kapazitätsgrenzen stoßen. Wir setzen bei der elektrisch betriebenen Schwerlastlogistik auf batterieelektrische Lkw im Regionalverkehr, im Fernverkehr sind Autobahnabschnitte mit Oberleitungen durchaus eine Option. Das darf nicht zu einer Konkurrenz zur elektrifizierten Bahn werden, aber es ist eine kostengünstige und schnell umzusetzende Lösung. 

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