Motorrad & Masse

Wenn ein Freizeitvergnügen zur Belästigung wird, muss umgedacht werden!
Illustration: Monika Jurczyk
Illustration: Monika Jurczyk
Mirko Heinemann Redaktion

Es ist schon einige Jahre her, dass ich mit dem Motorrad in Kambodscha unterwegs war. Zu den abgelegenen Dörfern an der vietnamesischen Grenze führten nur schlammige Pisten, die zudem überflutet waren, denn es herrschte Regenzeit. Also liehen mein Kollege und ich uns Geländemotorräder in Phnom Penh und machten uns auf die Reise in den Dschungel.

 

Zu den intensivsten Erinnerungen zählt die Begeisterung, mit der wir in den Dörfern am Weg empfangen wurden. Kinder lachten und winkten, wenn wir mit unseren Maschinen vorbeiknatterten. Erwachsene bedeuteten uns anzuhalten und fragten radebrechend, wo wir herkämen und was wir in der abgelegenen Region suchten.  

 

Wer jetzt, da es wieder Frühling wird, in Deutschland Dörfer mit dem Motorrad durchquert, macht die gegenteilige Erfahrung. Speziell die Menschen in den landschaftlich schönen Regionen wie Harz, Schwarzwald oder Alpen haben die Nase voll von Bikerinnen und Bikern. Manche Gemeinden in Süddeutschland und Österreich sprechen sogar Fahrverbote aus. Derzeit wird darüber im Bundestag debattiert.

 

Das war schon mal anders. Da wurden Mopedfahrer noch als Faszinosum oder wenigstens als  Wirtschaftsfaktor verstanden. Den Unterschied, das liegt auf der Hand, macht die Masse. In einer Region, wo einmal pro Tag ein Fahrzeug durchkommt, ist man eine willkommene Abwechslung und Botschafter der großen weiten Welt. Gerade Biker, die weitgehend ungeschützt vor Gefahren wie Stürzen, Umwelteinflüssen und Unwetter daherkommen, werden dafür bestaunt und genießen besondere Sympathie.

 

Damit ist es Deutschland nicht mehr weit her. Woran wir Biker selbst nicht ganz unschuldig sind. Viele verstehen ihr Moped als Ausdruck ihres Individualismus. Zu Recht: Das Reisen mit dem Motorrad bietet ein direktes Erlebnis der Umgebung, der Strecke und des Fahrens an sich. Biker haben eine besondere Beziehung zu Natur und Technik, und so manchen umweht das Flair des Outlaws, nicht erst seit dem Film „Easy Rider“. Wenn aber eine Massenbewegung daraus wird, weil sich alle am Wochenende auf der gleichen Strecke drängen, wird all das hinfällig.

 

Dazu kommt ein dubioses Verständnis mancher Kollegen für ihre Außenwirkung. „Wenn ich am Gasgriff drehe, müssen die Kinder anfangen zu weinen“, sagte mir mal ein Biker und präsentierte stolz seine aufgebohrte Auspuffanlage. Abgesehen davon, dass sein Wunsch eine fragwürdige Persönlichkeitsstruktur offenbart, kann ich das Bedürfnis nach purer Lautstärke nicht nachvollziehen. Satter Sound, okay. Aber wer auf heulenden, knatternden, knallenden Lärm steht, kann seine Playstation anschließen und Ballerspiele zocken. Ich persönlich brenne auf die ersten alltagstauglichen E-Motorräder, mit denen man leise pfeifend an den ollen Knatterkisten vorbeizieht.  

 

Der Philosoph Elias Canetti beschreibt in seinem Werk „Masse und Macht“ den seltsamen Trieb, der die Menschen dazu zwingt, zur Masse zu werden, um dann fragwürdigen Führungsfiguren zu folgen oder Dinge zu tun, die viele später bereuen. Auch Bikerinnen und Biker können gerade gut beobachten, wie sie zu einer Massenbewegung werden. Wir alle sind gut beraten, die Masse aufzulösen, bevor die Stimmung endgültig kippt. Dabei hilft, die viel befahrenen Strecken zu meiden, insbesondere am Wochenende. Lasst uns neue Wege suchen – mit dem Bike und mit Köpfchen!

 

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Wirtschaft
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