Effiziente Wende

Bei der Energiewende setzt Deutschland künftig auf Wasserstoff. Das kann aber nur funktionieren, wenn das gesamte System effizienter wird.
Illustration: Magda Wilk
Lars Klaaßen Redaktion

Deutschland hat sich zum Ziel gesetzt, die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2050 um 95 Prozent gegenüber dem Emissionsniveau von 1990 zu reduzieren. Dies geht nur mit einem Mix aus Technologien zur Energieerzeugung, -nutzung und -speicherung. „Für die Energiewende brauchen wir mittel- bis langfristig CO2-freien Wasserstoff in der ganzen Bandbreite seiner Möglichkeiten“, verkündete die Bundesregierung mit Blick auf ihre „Nationale Wasserstoffstrategie“, die im Juni beschlossen wurde. Wasserstoff steht dabei im Mittelpunkt, weil der Energieträger schadstofffrei verbrennt und vielseitig einsetzbar ist.


In vier Bereichen können neue Technologien, die Wasserstoff nutzen, die Transformation unseres Energiesystems revolutionieren. Erstens lässt sich damit die Lücke zwischen der schwankenden Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien und der stetig wachsenden Nachfrage nach grünem Strom überbrücken: indem man Wasserstoff aus Solar- oder Windkraft mithilfe von Wasser chemisch erzeugt. Flüssiger Wasserstoff lässt sich gut speichern und transportieren und bei Bedarf wieder in Energie umwandeln. Diese Verfahren ermöglichen es zweitens, die Energiesektoren Strom, Wärme, Industrie und Verkehr zu koppeln. So können industrielle Anlagen bei einem Überangebot an erneuerbarem Strom zusätzlich Wasserstoff herstellen, der etwa zum Antrieb von Brennstoffzellenfahrzeugen verwendet wird. Drittens kann Wasserstoff in der industriellen Produktion fossile Energieträger ersetzen, zum Beispiel bei der Herstellung von Stahl oder chemischen Grundstoffen. Schließlich ließe Wasserstoff sich viertens sogar dafür verwenden, CO2-Emissionen überall dort, wo sie unvermeidbar sind, in synthetische Kraftstoffe und Chemikalien umzuwandeln. Synthetische Kraftstoffe sind gut speicherbar und können zum Beispiel im Schiff- und Flugverkehr verwendet werden, wo elektrische Antriebe nicht infrage kommen.


„In der Forschung haben wir mit einzelnen Anwendungen in dieser Systemkette bereits wichtige Erfahrungen gesammelt und Erfolge erzielt. Im Kleinen funktioniert schon vieles“, sagt Holger Hanselka, Präsident des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT). „All diese Komponenten müssen wir nun aber für Einsätze im sehr großen Maßstab anpassen und in das komplexe Energiesystem integrieren, damit sie auch im Realbetrieb funktionieren.“


So haben drei Helmholtz-Zentren, das KIT, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) sowie das Forschungszentrum Jülich mit dem Energy Lab 2.0 eine großskalige Forschungsinfrastruktur geschaffen, in der das Zusammenspiel der Komponenten künftiger Energiesysteme erforscht und neue Ansätze zur Stabilisierung der Energienetze realitätsnah erprobt werden. Der Anlagenverbund verknüpft elektrische, thermische und chemische Energieströme sowie neue Informations- und Kommunikationstechnologien. Ziel der Forschungsarbeit ist es, Transport, Verteilung, Speicherung und Nutzung elektrischen Stroms zu verbessern und damit die Grundlage für die Energiewende zu schaffen.


Im Rahmen des Energy Lab 2.0 hat das Forschungszentrum Jülich sich mit dem Living Lab Energy Campus gleich selbst zum eigenen Versuchsobjekt gemacht: als wissenschaftlich-technologische Plattform zur Entwicklung hoch-integrierter Energieversorgungssysteme in den Bereichen Wärme, Strom, chemische Energiespeicher und Mobilität durch lernfähige und vorausschauende Regelungsstrategien. Ziel ist ein intelligentes Energiesystem, das sowohl nachhaltig als auch wirtschaftlich arbeitet. „Da die Helmholtz-Gemeinschaft ohnehin mit anderen Akteuren aus der Wissenschaft und Wirtschaft gut vernetzt ist, geht unsere Rolle bei diesen Innovationsprozessen noch weiter“, betont Hanselka. „Das Helmholtz-Cluster für nachhaltige und infrastrukturkompatible Wasserstoffwirtschaft etwa soll Regionen des Strukturwandels stärken.“


Neben der Erzeugung CO2-neutraler Energie stehen aber auch Einspareffekte im Fokus. „Angesichts der ambitionierten energie- und klimapolitischen Zielsetzungen ist die Energieeffizienz neben dem verstärkten Einsatz erneuerbarer Energien die zentrale Säule der Energiewende“, sagt Clemens Rohde, Leiter des Geschäftsfelds Energieeffizienz Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI. Zu den Projekten des Fraunhofer ISI zählt etwa die Effizienzfabrik: Forschungspartner aus Industrie und Wissenschaft erarbeiten innovative Produktionstechnologien entlang der gesamten Wertschöpfungskette. So will man Energie- und Materialeinsparungen in der Produktion und die serienflexible Fertigung von elektrischen Antrieben ermöglichen. Vergleicht man die aktuellen Energiekosten mit denen vor zehn Jahren, können heute dank effizienter Technologien des Maschinen- und Anlagenbaus 6,7 Milliarden Euro eingespart werden. Und es ist sogar noch Luft nach oben: Aktuell liegt der Anteil der Energiekosten in vielen Branchen weit über zehn Prozent.


Effizienz bedeutet auch, Energie als Quelle zu erschließen, die man bislang vernachlässigt hat. Es gibt zum Beispiel viele Prozesse, bei denen ungenutzte Abwärme anfällt, unter anderem bei der Produktion von Glas, Aluminium- und Stahlerzeugnissen. „Aktuell zahlen Unternehmen in der Regel viel Geld, um diese Abwärme zu vernichten. Dabei geht wertvolle Energie verloren“, sagt Karsten Körkemeyer, der das Fachgebiet Baubetrieb und Bauwirtschaft an der TU Kaiserslautern leitet. „Es wäre daher sinnvoll, wenn wir diese überschüssige und bislang ungenutzte Wärme, die ohnehin schon bezahlt und produziert wurde, noch in einer weiteren Art und Weise nutzen könnten.“


Körkemeyer arbeitet mit seinen Projektpartnern vom Fraunhofer ISI und der Stadtbetrieb Abwasserbeseitigung Lünen an solch einem Ansatz. Dabei wird bisher ungenutzte industrielle beziehungsweise gewerbliche Abwärme gezielt auf das Abwasser übertragen, in der bestehenden Kanalisation „stromabwärts“ transportiert und schließlich genutzt.


„Es gibt Studien, die davon ausgehen, dass in Deutschland mithilfe der bisher praktizierten Abwasserwärmenutzung rund zehn Prozent des gesamten Gebäudewärmebedarfs gedeckt werden könnte“, so Körkemeyer. „Berücksichtigte man zudem die industrielle Abwärme, ließe sich dieses Potenzial noch einmal deutlich steigern und so auf circa 27 Prozent des gesamten Wärmebedarfs in Deutschland ausweiten.“

 

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