Ist Geldregen auch Investorensegen?

»Heilsbringer im Niedrigzinsumfeld« sagen die Einen, »irrationaler Irrglaube« die Anderen. An Dividendenstrategien scheiden sich die Geister.
Segen
Illustration: Nanna Prieler
Julia Thiem Redaktion

Auch wenn uns erst einmal Herbst und Winter bevorstehen – viele Anleger freuen sich schon jetzt auf den nächsten Frühling. Nicht etwa, weil es dann endlich wieder heller und wärmer wird. Nein, im Frühling haben die deutschen Unternehmen nach viel Rechnerei endlich die Bilanz des letzten Jahres gezogen und verkünden diese ihren Aktionären auf den jeweiligen Hauptversammlungen. Und wie viele zu dieser Jahreszeit sehnsüchtig auf die ersten wärmenden Sonnenstrahlen des Jahres warten, lauern Dividendenstrategen auf die Gewinne, die die Unternehmen an ihre Aktionäre weitergeben. Deutsche Unternehmen sind hier unglaublich spendabel: 2015 haben allein die 30 Dax-Konzerne eine neue Dividenden-Bestmarke erreicht und insgesamt fast 30 Milliarden Euro verteilt. Kein Wunder also, dass gerade mit Blick auf die mickrigen Zinsen immer mehr Anleger auf diesen Geldregen setzen. Denn auch in anderen europäischen Ländern und vor allem auch in den USA geben Unternehmen dieser Tage gerne.


Einen, den es freut, dass immer mehr Anleger die Vorzüge von Dividendenstrategien für sich entdecken, ist Hans-Jörg Naumer, Head of Capital Markets & Thematic Research bei Allianz Global Investors. Er hat kürzlich in einer Studie ein sehr interessantes Gedankenexperiment angeboten: Die Kombination aus demografischer und technologischer Entwicklung könnte dafür sorgen, dass die Arbeit und damit das Arbeitseinkommen in der gesamtwirtschaftlichen Betrachtung an Bedeutung verlieren. Deshalb müssen wir uns künftig weitere Einkommensquellen erschließen, die von diesen Entwicklungen am Arbeitsmarkt mindestens unberührt bleiben oder bestenfalls sogar davon profitieren. Naumers Lösung: Dividenden. Seine Rechnung: Hätten alle Erwerbstätigen in Deutschland von 1992 bis 2014 monatlich nur 50 Euro in den MSCI Germany investiert, hätten die eingezahlten 13.800 Euro pro Person eine durchschnittliche Rendite von 11,85 Prozent p.a. gebracht. Das entspricht einem Gesamtertrag von 22.614 Euro, wovon Dividenden einen Anteil von 11.634 Euro ausgemacht hätten – also mehr als die Hälfte. Verlockend!


Doch da sind auch noch die anderen Stimmen, die sich beim Thema Dividenden lautstark zu Wort melden. Von „nicht per se zu empfehlen“ über „viele verkannte Risiken“ bis hin zu „völlig irrational“ ist vieles dabei. Ist der Geldregen im Frühling also nun Fluch oder Segen? Zunächst einmal stimmt die Aussage, dass eine hohe Dividende nicht per se auch als Kaufempfehlung für eine Aktie gewertet werden darf. Denn was nutzt die beste Ausschüttung, wenn gleichzeitig der Aktienkurs in den Keller rauscht? Anleger müssen also auch bei einer Dividendenstrategie genau schauen, in welche Unternehmen sie sich einkaufen. Womit wir bei den verkannten Risiken wären – denn auch an dieser Aussage ist etwas dran. Insbesondere, wenn Investoren lieber passiv auf einen Index setzen wollen, anstatt sich die attraktivsten Dividendenaktien selbst herauszupicken. Denn viele Indizes, die sich ausschließlich auf dividendenstarke Titel konzentrieren, sind sehr einseitig, haben häufig eine zu große Ansammlung einzelner Branchen wie Versorger, Finanzdienstleister oder Unternehmen aus der Telekommunikation. Und diese mangelnde Diversifikation erhöht natürlich das Risiko. „Völlig irrational“ spielt auf das vermeintliche Nullsummenspiel hinter den Ausschüttungen an. Denn in der Theorie sollte der Aktienkurs am Tag nach der Dividendenausschüttung um deren Betrag sinken. Tut er nur selten, denn hohe Ausschüttungen werden von Investoren eben auch – passend zur schönen Frühlingsanalogie – als ein Aufblühen des Unternehmens gewertet. Deshalb fallen die Kurse nur selten um den vollen Dividendenbetrag beziehungsweise holen Kursverluste schnell wieder auf. Gefährlich wird es nur, wenn Unternehmen ihre Dividenden deshalb als Marketinginstrument missbrauchen und hohe Ausschüttungen um jeden Preis erzielen wollen. Dann nämlich geht es tatsächlich an die Unternehmenssubstanz. Deshalb sollten Dividendenstrategien immer auch aktive Strategien sein. Denn wie bei den ersten Sonnenstrahlen gilt: Unterschätzen Sie die Risiken nicht, dann wird der Frühling auch aus Anlegersicht zur schönsten Jahreszeit.

 

 

 

 

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