Der längste Bullenmarkt aller Zeiten?

Er glaubt fest an den US-Aktienmarkt und macht sich weder um einen Zinsanstieg noch um China wirklich Sorgen. Ein Interview mit Legg Masons Investmentlegende Bill Miller.
Bill-Miller-Investmentlegende
Illustration: Nanna Prieler
Interview: Julia Thiem Redaktion

Herr Miller, viele Investoren atmen auf: Die US-Notenbank hat sich erneut gegen eine Zinsanhebung entschieden. Sind auch Sie erleichtert?

 

Ehrlich gesagt, hat die bevorstehende Zinswende kaum Auswirkungen auf unsere Investitionsentscheidungen. Denn dass sie kommt, ist sicher. Die Frage ist nur, wann. Viele Investoren schielen jedes Mal wieder nervös in Richtung Fed. Dabei wird der zu erwartende kleine Zinsschritt keinen signifikanten Einfluss auf das Wirtschaftsgeschehen haben. Das ist überhaupt ein großes Problem vieler Investoren.

 

Sie meinen die Nervosität?

 

Genau. Ich beobachte diese Volatilitäts- und Risikophobie nun bereits seit Beginn der Finanzkrise 2008. Kleinste Veränderungen reichen, und schon verabschieden sich viele Investoren aus den Märkten. Paradoxerweise verstärkt ein solches Verhalten aber sowohl die Volatilität als auch Abschwünge zusätzlich. 

 

Wobei Sie sehr gerne von diesen Ausschlägen profitieren, richtig?

 

Wir versuchen es. Wir investieren hauptsächlich konträr zum Markt, weil wir glauben, dass sich kein Geld verdienen lässt, indem man nur mitläuft. Das heißt, uns reizen vor allem jene Titel, um die die Allgemeinheit eher einen großen Bogen macht. 

 

Um noch einmal auf die Risikoaversion zu kommen: Anfang September verlor der US-Markt rund zehn Prozent. Ist das kein guter Grund, um auszusteigen?

 

Solche Korrekturen muss man immer auch ins richtige Verhältnis setzen. Nach über drei Jahren, in denen es für die Kurse stets aufwärts ging, waren zehn Prozent durchaus verhältnismäßig, vielleicht sogar reinigend.

 

Reinigend genug, oder wird es weitere Korrekturen geben?

 

Wenn Sie einen Stein ins Wasser werfen, ist die erste Welle immer die größte. Alle anschließenden fallen geringer aus. Außerdem lässt sich der Höhepunkt einer Korrektur auch immer gut an der Panik der Anleger festmachen. Bleibt sie aus, ist die Korrektur noch nicht vorbei. So auch Anfang September: Bei den ersten kleineren Korrekturen hatten wir noch Mittelzuflüsse in unserem Fonds. Da wusste ich, die Angst war noch nicht groß genug. Und tatsächlich gingen die Kursrückgänge weiter, bis wir auch die ersten Mittelabflüsse verzeichneten.

 

Dabei ist das Umfeld in den USA aus Ihrer Sicht derzeit optimal.

 

Absolut. In einem Gespräch neulich wurde mir aufgezählt, wie denn das ideale Investitionsumfeld aussehen sollte: solides Wirtschaftswachstum, ideal wären zwischen 2,5 und 3,5 Prozent, eine möglichst niedrige Inflation, ebenso wie niedrige Arbeitslosenzahlen und natürlich Leitzinsen. Nicht zu vergessen: beeindruckende Bilanzen und hohe Margen auf Unternehmensseite, sowie attraktive Dividende für Anleger – natürlich ohne zu hohe Bewertungen. KGVs dürfen gerne zwischen 15 und 20 liegen und damit die realen Wachstumschancen widerspiegeln. Dann wäre das Umfeld ideal für ein Aktienengagement. Meine Antwort: Genau das erleben wir aktuell in den USA, und deshalb bin ich auch überzeugt, dass die Märkte weiter zulegen werden.

 

Dann haben Sie doch sicher eine Prognose bis zum Jahresende für uns?

 

Konkrete Prognosen sind natürlich schwer. Vermutlich wird sich der S&P 500 bis Jahresende bei einem Plus von fünf Prozent einpendeln. Ich wäre ehrlich gesagt aber auch nicht überrascht, wenn das Wachstum zweistellig ausfallen würde. 

 

In welchen Segmenten lohnt der Einstieg derzeit?

 

Mit der Korrektur ging es für viele Aktien nach unten, während viele der zugrundeliegenden Geschäftsmodelle nach wie vor vielversprechend sind. Das hat aus unserer Sicht die Attraktivität einiger Werte nur weiter gesteigert. Zu unseren Favoriten zählen aktuell vor allem Immobilien und amerikanische Airlines. Hier haben wir die Korrektur für weitere Zukäufe genutzt. 

 

Was macht diese beiden Sektoren so attraktiv?

 

Der Häusermarkt in den USA zieht wieder an, die Arbeitslosenquote ist niedrig, die Erholung dürfte also nachhaltiger Natur sein. Fluglinien halten wir aufgrund der Marktkonsolidierung der letzten Jahre für sehr attraktiv. American, Delta und United Airlines haben einen Marktanteil von fast 90 Prozent. Außerdem haben gerade alle zwischen 15 und 20 Prozent verloren, die Aktien sind also günstig. Und niedrige Rohstoffpreise erhöhen die Margen der Gesellschaften.

 

Dennoch: Anleger machen um Fluglinien traditionell eher einen Bogen, kaum einer hat hier in den letzten Jahren Geld verdient.

 

Früher hieß es auch: Lass bloß die Hände von großen Konglomeraten. Da steigt keiner durch, da wird Geld verbrannt, nicht verdient. Deshalb haben sich kaum Anleger an die Aktie von Berkshire Hathaway getraut, die in 20 Jahren keine einzige Korrektur gesehen hat. Die allgemeine Meinung ist also nicht immer automatisch richtig. Mit Blick auf US-Fluglinien gilt: Sie haben allesamt fantastische Bilanzen vorzuweisen und rechnen zudem mit den höchsten operativen Margen seit langem. 

 

Sie sprachen gerade die niedrigen Rohstoffpreise an. Warum ist das Segment nicht auch auf Ihrer Einkaufsliste?

 

Wir haben den Fehler im Nachgang an die Finanzkrise gemacht, sind zu früh wieder in Finanzwerte eingestiegen und damit ordentlich auf die Nase gefallen. Solche Fehlentscheidungen nehmen wir immer auch zum Anlass, unsere Prozesse zu hinterfragen und zu optimieren. Deshalb kaufen wir heute lieber später, sind vorsichtiger. Vor allem den US-Ölsektor halten wir trotz niedriger Rohstoffpreise noch für zu teuer. 

 

Macht Ihnen der Abschwung in China Sorgen?

 

Mit Blick auf die USA: Ich glaube kaum, dass ein schwächeres Wirtschaftswachstum die US-Wirtschaft ernsthaft gefährden kann. Selbst für Europa wird China kein ‚big Deal’ sein. 

 

Zum Abschluss: Haben Sie ein Beispiel einer Aktie für uns, die von Anlegern besonders verkannt wird?

 

Die Twitter-Aktie pendelt seit einiger Zeit zwischen 20 und 30 US-Dollar. Ich glaube, sie ist mindestens doppelt so viel wert. Es wird immer wieder argumentiert, dass Twitter kein Geld verdient, sich leicht ein ‚zweites Twitter’ aufbauen ließe. Daran glaube ich nicht. Ein solches Unterfangen wäre viel zu teuer. Und zu der vermeintlichen Problematik des Geldverdienens: Stellen Sie sich vor, Twitter würde nur einen US-Dollar pro Monat verlangen. Vielleicht würden 100 Millionen Nutzer dem Dienst den Rücken kehren. Damit hätte Twitter aber immer noch 200 Millionen verbleibende Abonnenten – das macht im Handumdrehen einen Jahresumsatz von 2,4 Milliarden US-Dollar. 

 

Bill Miller schlug mit seinem Legg Mason Value Trust 15 Jahre in Folge den  S&P 500. Dann kam die Finanzkrise, die Performance brach ein und Miller gab die Verantwortung ab. Doch Aufgeben stand nie zur Debatte. Der Fondsmanager hat aus seinen Fehlern gelernt und knüpft heute mit dem kleineren Legg Mason Opportunity Trust bereits wieder an alte Erfolge an.

Nächster Artikel