AUF ZU NEUEN ARBEITSWELTEN!

In den vergangenen Monaten hat die Corona-Pandemie unsere Art zu arbeiten unglaublich schnell verändert. Was davon ist gut, was ist schlecht? Und was könnte von Dauer sein?
Illustration: Tolga Akdogan
Axel Nova Redaktion

Die Corona-Pandemie hat unser gesellschaftliches und wirtschaftliches Leben kräftig durcheinandergebracht: Erstaunlicherweise hat die Umstellung vieler Berufstätigkeiten auf flexibles Arbeiten abseits des Büros gut geklappt. Das Home Office ist nicht mehr nur für eine bestimmte Kategorie von Beschäftigten attraktiv, sondern könnte dauerhaft integraler Bestandteil einer Arbeitswelt werden, die sich von der reinen Präsenzkultur verabschiedet und auf effiziente und intelligente Prozesse setzt.


Das bedeutet natürlich nicht, dass alle Berufe künftig von zuhause aus geführt werden können. Pfleger, Ärzte, Polizisten, Servicekräfte, Landwirte oder Logistiker wie Lkw-Fahrer und Lokführer haben in den vergangenen Wochen die Gesellschaft zusammen- und am Laufen gehalten. Sie werden auch künftig Präsenz zeigen müssen.


Doch für viele andere Berufe ist New Work eine gute Möglichkeit, flexibel und unabhängig vom Büro zu arbeiten. Auch künftig können theoretisch zwei von fünf Arbeitsplätzen unabhängig vom Standort ausgeübt werden.


Home Office allerdings bedeutet mehr, als dem Mitarbeiter ein Laptop in die Hand zu drücken und zu sagen: Fahr mal nach Hause, und um 13 Uhr skypen wir. Ohne Vorbereitung, technische Unterstützung und unter erschwerten Bedingungen kann dieses Konzept zu einem endlosen Horrortrip werden.

 

Gesetzliche Regelungen gelten weiter

 

Daher gibt es ein paar Eckpfeiler: Auch im Home Office gelten die Arbeitszeiten  – höchstens zwölf Stunden pro Tag und 60 Stunden pro Woche. Am Wochenende ist Ruhe. Damit all das funktioniert, müssen Arbeitnehmer die Arbeitsstunden protokollieren können. Der Arbeitgeber ist dafür verantwortlich, die für das Home Office nötigen Arbeitsmittel bereitzustellen und instand zu halten. Kosten für Telefon und Internet muss er dem Arbeitnehmer ersetzen.


Auch ist die richtige Software entscheidend, um virtuell Meetings abzuhalten und sich auszutauschen. Mittlerweile gibt eine Fülle von Konferenz-Anbietern. „Gesamtsieger ist hierzulande WhatsApp vor Skype – wichtigster Aufsteiger ist der US-Dienst Zoom“, so der Technik- und IT-Journalist Michael Kroker. Laut einer Umfrage des auf Marktforschung spezialisierten Startup Appinio nutzen 42 Prozent der Deutschen den Videocall per WhatsApp-Messenger, 25 Prozent Skype, 18 Prozent Apples FaceTime am iPhone, und auf dem vierten Platz landet Zoom mit 12 Prozent. Die Explosion der Zugriffe und Nutzer haben dabei häufig zu großen Sicherheitsmängeln geführt, die Hackerangriffe möglich machten. Zoombombing heißt es, wenn plötzlich Fremde in Videokonferenzen hereinplatzen.

 

Schutz vor virtuellen Angriffen

 

Dabei ist das Thema Sicherheit brandheiß, wenn es ums Home Office geht: Rechner müssen fit und sicher gemacht werden für den Anschluss ans Firmennetzwerk. Viele Mitarbeiter aber nutzen lieber eigene Geräte. BYOD – Bring Your Own Device – heißt dieses Prinzip, das enorme Sicherheitsrisiken birgt.


Denn vor allem mobile Geräte wie Smartphones oder Tablets sind ein Einfallstor für Malware, Drive-by-Websites und Phishing-Attacken. Strikte BYOD-Richtlinien schwächen die Risiken ab. Dazu gehört es, private Geräte zu registrieren und ihre Nutzung zu beschränken. Rechtlich schwierig wird es, wenn die Firmen-IT auf das Privatgerät des Mitarbeiters zugreifen soll, um wichtige Unterlagen des Unternehmens auf dem Gerät zu löschen.


Und nicht zu guter Letzt geht es um die Prozesse und die Art und Weise, wie Arbeit gestaltet wird. Das ist wohl der schwierigste Punkt, denn er verlangt von allen Beteiligten einen entsprechendes Mindset. Denn das, was sonst im Büro geschieht, lässt sich nicht eins zu eins ins Home Office übertragen. Home Office verlangt viel Disziplin und Selbstkontrolle. Wer lieber in der Teeküche mit den Kollegen schnackt, wird vor dem Rechner daheim nicht glücklich. Auch virtuelle Konferenzen und Meetings müssen gut gestaltet und vorbereitet werden, damit sie erfolgreich sind.

 

Abschied von der Präsenzkultur

 

„Wir kommen aus einer Präsenzkultur, in der nur zwölf Prozent der ArbeitnehmerInnen im Home Office gearbeitet haben – in den Bereichen, wo das denn möglich war. Von einem auf den anderen Tag sind es nun 80 Prozent“, sagte Professor Dr. Jutta Rump, Leiterin des Institut für Beschäftigung und Employability (IBE) im rbb-Inforadio. „Wenn es nun weitergeht, dann kann man davon ausgehen, dass wir in eine Mischform zurückkehren“, so Rump. „Wir werden weiterhin bestimmte Aufgaben im Büro machen, aber zunehmend Tätigkeiten nach Hause verlagern – oder wohin auch immer.“ Eine Rückkehr in die alte Welt der Präsenzkultur hält sie für eher unwahrscheinlich.


Im besten Fall ergänzen sich Home Office, mobile Office und Präsenzstunden im Büro perfekt. IT-gestützte Arbeitsprozesse unterstützen die Arbeitnehmer dabei, ihre Tätigkeiten effizient zu organisieren – und trotzdem die Balance zwischen Arbeitsbelastung und Privatleben zu bewahren.


Denn auch die Arbeitgeber wollen mehr Flexibilität bei Arbeitszeiten und -orten, heißt es beim IBE. In der Corona-Krise gewinnen mobile und virtuelle Organisations-, Arbeits- und Lernformen an Gewicht, auch weil die Digitalisierung die Prozesse im Unternehmen neu organisiert. Die Mitarbeiter werden wieder mobiler – allerdings vor allem bei der Wahl des Arbeitsorts und weniger beim Meilensammeln auf Geschäftsreisen.


Denn gerade bei den Dienstreisen zeigt sich, wie stark der Wandel ist. Zwar nimmt nach der vorsichtigen Öffnung der Wirtschaft die Zahl der Dienstreisen wieder zu: Handwerker, Einkäufer oder Vertriebsmitarbeiter müssen unterwegs sein. Allerdings sorgen die Hygienevorschriften für strenge Regeln. Auch werden die Unternehmen die Notwendigkeit von Reisen in Zukunft sorgfältiger prüfen, so der Verband Deutsches Reisemanagement (VDR). Gleichzeitig sollen Geschäftsreisen künftig deutlich teurer werden.

 

Skepsis der Arbeitnehmervertreter

 

Wie stark sich die Arbeitswelten post Corona verändern, hängt von vielen Faktoren ab. Denkbar ist auch, dass das Wirtschaftsleben einfach wieder durchstartet, als sei nichts geschehen. Sicher, viele Unternehmen existieren nicht mehr, viele Arbeitsplätze sind verloren gegangen. Aber die Organisation in den Unternehmen und des Arbeitslebens bleibt davon möglicherweise unberührt.


Ein Grund dafür könnten Arbeitnehmer sein, die sich gegen das Büro daheim sperren. Zwar wünschen sich zwei von drei Arbeitnehmern mehr Home Office nach der Krise, haben Forscher vom Bayerischen Forschungsinstitut für Digitale Transformation herausgefunden. Doch viele Arbeitnehmervertreter sind skeptisch. „Ich zweifle daran, dass ein Home-Office-Arbeitsplatz immer so idyllisch ist, wie es manchmal skizziert wird“, sagte ver.di-Chef Frank Werneke der Nachrichtenagentur dpa. „Vielfach wird dies gewählt, weil es zu pflegende Angehörige oder Kinder mit Betreuungsbedarf gibt – das ständige Wechseln zwischen Aufträgen des Arbeitgebers und Fürsorge für andere Menschen hat auch seine Schattenseiten.“ Viele Gründe sprechen gegen das Home Office: Die Durchdringung von Privat- und Berufsleben. Die ständige Erreichbarkeit. Die schwierige Kinderbetreuung. Und natürlich das Wissen, dass Kinderlose und Kollegen mit nicht berufstätigen Partnern im Unternehmen präsent sind und sich besser positionieren.

 


Modernisierung und Macht

 

Paradoxerweise hat nämlich die Krise zu zwei widersprüchlichen Entwicklungen geführt. Zum einen zur Demokratisierung im Unternehmen: Die raschen Veränderungen in der Arbeitswelt haben Macht neu verteilt. Führungskräfte mussten feststellen, dass ihr Führungsstil überholt ist. Moderation statt Kontrolle, Anreiz statt Befehl, Freiräume statt Restriktionen – damit schaffen es Führungskräfte heute, ihre Teammitglieder zu motivieren.


Gleichzeitig hat die Reaktion auf die Krise dazu geführt, dass Unternehmen Entscheidungen wieder zentralisieren und Verantwortungen an bestimmte Personengruppen zurücknehmen. In der Krise rücken alle zusammen – Stabilität, Kontinuität und Sicherheit am Arbeitsplatz machen zufriedene Arbeitnehmer. Und das bedeutet: „Wir kehren zu den alten Managementstrukturen zurück“, sagt Rump.


Und das hat Folgen: „Zurück in der Männerwelt“ lautet ein Gastbeitrag von Julia Jäkel, der Vorsitzenden der Geschäftsführung von Gruner + Jahr Ende April in der Wochenzeitschrift Zeit. Jäkel stellt fest, dass sich mit dem Corona-Virus eines massiv verändert habe: Frauen treten weniger öffentlich in Erscheinung. „Home Office bedeutet für Tausende Frauen gerade vor allem home und wenig office. Das ist auch deshalb bitter, weil jetzt Karrieren gemacht werden“, schreibt Jäkel. „Diesen Moment verpassen viele Frauen, weil sie – aus welchen Gründen auch immer – zurückstecken.“


Es scheint so, also habe die Corona-Pandemie den Geist der Modernisierung in der Arbeitswelt dauerhaft aus der Flasche gelassen. Aber mit ihm kehren auch weniger angenehme Gerüche zurück: Die klassischen Familienstrukturen und ein veraltetes Rollenverständnis. Corona hat die Arbeitswelt sicher dauerhaft verändert. Aber sicher nicht immer so, wie wir es uns wünschen.