»Wertschätzung, Ermutigung, Zulassen von Fehlern«

Der Start-up-Gründer, EU-Jugendbotschafter und New-Work-Experte Ali Mahlodji über die Zukunft der Arbeit, die Unplanbarkeit des Lebens und einen entscheidenden Faktor für die Innovationskraft von Unternehmen.
Ali Mahlodji, geboren 1981 in Teheran. Flucht seiner Eltern nach Österreich. 2011 gründete er die Berufsorientierungsplattform Whatchado, heute ist er Keynotespeaker, Firmenberater und EU-Jugendbotschafter. Sein Podcast heißt „Die Ali Mahlodji Show“
Ali Mahlodji, geboren 1981 in Teheran. Flucht seiner Eltern nach Österreich. 2011 gründete er die Berufsorientierungsplattform Whatchado, heute ist er Keynotespeaker, Firmenberater und EU-Jugendbotschafter. Sein Podcast heißt „Die Ali Mahlodji Show“
Interview: Gunnar Leue Redaktion

Herr Mahlodji, die Welt der Arbeit wird sich ändern. Zum Guten oder zum Schlechten?

Wir erleben momentan eine große Enttäuschung in Bezug auf die Arbeitswelt. Immer mehr Menschen wollen nicht mehr so arbeiten wie ihre Eltern. Dauerstress, Frust, zu wenig Zeit für die Familie – vor allem junge Leute hinterfragen, was ihre Eltern vorgelebt haben.

Also nicht: Karriere machen und viel Geld verdienen in einem sicheren Job?

So lautete der Glaubenssatz in der Nachkriegszeit: Meinem Kind soll es mal besser gehen. Das hieß auch, Abi musste sein, eine Lehre war nichts Wert. Heute haben wir das Paradox, dass jeder Azubi tausendmal bessere Karten hat als jemand, der sagt: Ich mache nur Abi. Letzteres ist zwar immer noch vorherrschend, trotzdem stellen sich viele Jüngere Fragen wie: Was ist der richtige Job für mich? Welchen Status am Arbeitsplatz strebe ich an? Ihnen ist einfach klar, dass sie heute in einer anderen Welt leben, in der niemand mehr solche Sicherheit garantieren kann, wie sie die Eltern einst anstrebten. Wenn das aber schon so ist, soll ihnen der Job wenigstens Spaß machen und gut mit der Familie vereinbar sein.

Zu diesem Anspruch dürften die günstigen Rahmenbedingungen - der Fachkräftemangel – beitragen, oder?

Tatsächlich verändern sich gerade die Abhängigkeiten, die Unternehmen suchen Mitarbeiter. Und wer gefragt ist, ist nicht mehr bereit, jeden Blödsinn mitzumachen, nur um einen Job zu haben. Die Leute haben weniger Angst vor der Zukunft und sind außerdem daran gewöhnt, dass die Unplanbarkeit Teil ihres Lebens ist. Das hat Auswirkungen auf die Arbeitswelt. Die junge Generation beginnt den Arbeitsmarkt vor sich herzutreiben, so nach dem Motto: Weniger Vollzeit, mehr Sinnsuche.

Was heißt das für den Arbeitsmarkt und die Unternehmen?

Es geht jetzt – endlich – viel mehr darum, die Potenziale von Menschen zu entfalten. In der heutigen Zeit stellt sich zum Beispiel nicht mehr die Frage: Was müssen unsere Mitarbeiter tun, um gut für die Digitalisierung zu sein, sondern umgedreht: Wenn wir schon die Möglichkeiten der Digitalisierung haben, was können wir tun, um die Bedingungen für unsere Mitarbeiter besser zu gestalten?

Das Ausschöpfen von Potenzialen beginnt schon mit der Wahl des „richtigen“ Berufs. Wie bekommt man das hin, wenn scheinbar alle Möglichkeiten offen stehen?

Darauf gibt es keine richtige Antwort. Früher suchte man einen Vollzeitjob, der einen bis zur Rente trägt oder man wurde selbständig. Heute bieten sich verschiedenste Formen des Erwerbslebens. Das ist ein bisschen wie in der Liebeswelt, wo es auch nicht mehr nur hetero- oder homosexuell gibt. Wir steuern auf eine Welt zu, in der das Ende der Normalität lauert, in der alles parallel existiert.

Was folgt daraus?

Dass wir in der Arbeitswelt viel mehr auf Empathie, Achtsamkeit, Motivation, Kooperation setzen. Seit Jahren wissen wir aus Studien, was Unternehmen innovativ und erfolgreich macht: Empathie in der Belegschaft, vernetztes Denken, kreativer Austausch, um andere Sichtweisen zu verstehen. Viele Tätigkeiten werden zu den Maschinen abwandern. Parallel investieren die Unternehmen in den Ausbau guter Beziehungen zu und zwischen den Mitarbeitern, um auch in Krisenzeiten wie Corona Vertrauen abrufen zu können. Das wirkt zurück auf die Gesellschaft, denn der Arbeitsmarkt ist ein Spiegel von ihr. Verhaltensmuster, die man in der Arbeitszeit zeigt, setzen sich fort im Privatleben. Als Eltern zuhören können, einen Perspektivwechsel einnehmen, hilft auch bei der Kindererziehung.

Die Arbeit selbst dürfte in einer konkurrenzgetriebenen Wirtschaft nicht entspannter werden, eher noch intensiver. Verträgt sich das mit einem weicheren Miteinander?

Sicher, um unternehmerische Ziele zu erreichen, muss die Work-Life-Balance auch mal zurückstecken. Das ist aber kein Widerspruch zur Notwendigkeit, die weichen Faktoren in der Arbeitswelt zu stärken. Man braucht eigentlich nur Kindheitsmuster zu reaktivieren: Neugierde, Lernlust oder nach dem Hinfallen wieder aufzustehen, das ist für Kleinkinder normal. Kein Kind lässt das sein, bloß weil es nicht auf Anhieb klappt. Im Gegenteil, da die Eltern jeden kleinen Fortschritt loben. Wertschätzung, Ermutigung, Zulassen von Fehlern und Entwicklung muss genauso zu einer Unternehmenskultur gehören.

Die tradierte Arbeitskultur ist geprägt von strengen Hierarchien mit männlicher Dominanz. Können Frauen den progressiven Wandel der Arbeitswelt voranbringen?

Viele Unternehmen bekommen bereits keine guten Leute mehr, wenn sie ihre Leitungsebene nicht auch Frauen öffnen. Studien belegen zudem, dass Frauen in wichtigen Skills besser abschneiden als Männer, auch im Bereich Technik. Insgesamt braucht es mehr Kollaboration von Männern und Frauen, und diese wiederum häufiger in Führungspositionen.

Wie wichtig ist es für Unternehmen, dass die Komplexität der Lebenswelt „draußen“ in der Unternehmenswelt gespiegelt wird?

Apple-CEO Tim Cook hat schon vor Jahren gesagt, der wichtigste Faktor zum Überleben im globalen Innovationskampf sei Diversity. Es ist quasi lebensnotwendig, dass andere Sichtweisen und Lebenswelten aufeinander treffen und in produktiven Austausch gehen. Das gilt auch für die Generationen. Wir müssen es schaffen, die Dynamik der Jugend mit der Weisheit des Alters zu verbinden. Das gilt in Unternehmen genauso wie in der globalen Gesellschaft beim Kampf gegen den Klimawandel.

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