Doch worauf kommt es da besonders an?
Franz Emanuel August Geibel war nicht nur ein deutscher Lyriker und ab Mitte des 19. Jahrhunderts beliebter Autor, ihm ist es gelungen, die Quintessenz guter Führung in nur einem Satz zu verpacken: „Des Schülers Kraft entzündet sich am Meister – doch schürt sein jugendlicher Hauch zum Dank des Meisters Feuer auch.“
Übersetzt heißt es nichts anderes, als dass ein Schüler immer nur so gut sein kann, wie das Wissen, das ihm vermittelt wird – wenn es dem Meister gelingt, seinen Schüler für sein Fach zu begeistern. Andererseits gibt es ohne Schüler eben auch keinen Meister. Zugegeben, das Wort „Meister“ ist im Deutschen nicht durchweg positiv besetzt. Dennoch leitet es sich vom lateinischen „Magister“, also dem Lehrer, dem Gelehrten ab – eben einer echten Führungspersönlichkeit.
Und damit sind wir direkt beim Thema: Denn auch heute noch muss es einer Führungskraft in erster Linie gelingen, das eigene Team zu begeistern, das Feuer entzünden, wie Geibel es nennt. Hierzu gibt es eine interessante Studie der Online-Jobplattform StepStone und der Forschungseinrichtung Kienbaum Institut aus dem Jahr 2019, die sich hauptsächlich der Frage widmete, wie richtige Führung im Zuge der Digitalisierung aussehen sollte. Die überragende Mehrheit der Befragten, nämlich 94 Prozent, bevorzugt eine Führungskraft, die als Vorbild dient, eine Vision vermittelt und das Team motiviert. Dahinter verbirgt sich der sogenannte transformale Führungsstil, der vor allem langfristig und übergeordnet zu höheren Leistungen motivieren soll. Aber auch die strategische Führung, gemeint sind Vorgesetzte, die konkrete Ziele formulieren und konstruktive Rückmeldung geben, wird von 88 Prozent der Befragten gewünscht. Und auch die ethische Führung schneidet mit 84 Prozent sehr gut ab. Sie stellt ein wertorientiertes Handeln sowie die Förderung von Selbständigkeit in den Vordergrund.
Die Realität – auch das zeigt die Studie – sieht hingegen anders aus. Mehr als die Hälfte der Befragten gab an, stattdessen von einem direktiven Vorgesetzten geführt zu werden, also einer Führungskraft, die erwartet, dass Anweisungen Folge geleistet wird. „Die Digitalisierung und die sich wandelnden Märkte zwingen Unternehmen dazu, ihre Organisationsstrukturen neu zu denken. Hierbei sind es vor allem Führungskräfte, die sich neu aufstellen müssen“, sagte Dr. Sebastian Dettmers, Geschäftsführer bei StepStone, im Rahmen der damaligen Veröffentlichung der Ergebnisse. „Führungskräfte müssen effektiv und menschenorientiert führen, auf ihre Mitarbeiter eingehen und deren individuellen Bedürfnisse und Entwicklung berücksichtigen.“
„Neue“ Führungspersönlichkeiten sind auch deshalb gefragt, weil sich das hybride Arbeiten, also eine Mischung aus Präsenz im Unternehmen und Homeoffice vermutlich auch weit über Corona hinaus etablieren wird. Eine aktuelle Studie von Hays zeigt: Das Arbeiten von zuhause sowie die verstärkte Nutzung digitaler Tools werden langfristig integraler Teil der neuen Arbeitsrealität werden, davon sind 44 Prozent, respektive 49 Prozent der Mitarbeitenden überzeugt. Die Mehrheit begrüßt diese Entwicklung: So sind dreiviertel der Befragten positiv überrascht, wie gut das Arbeiten zuhause funktioniert, 64 Prozent geben an, produktiver zu sein und 70 Prozent empfinden das Verschmelzen von Beruflichem mit Privatem als angenehm. Eine Schelte gibt es lediglich für die Vorgesetzten. Die Befragten beklagen mangelndes Fingerspitzengefühl bei ihren Vorgesetzten, wenn es um die Einführung neuer Technologien und Prozesse geht. Sie sehen die Gefahr, dass diese neuen digitalen Tools zur Steuerung und Kontrolle missbraucht werden und geradewegs in den digitalen Taylorismus führen.
Auch die Hays-Studie unterstreicht also: Führung, die lediglich Aufträge verteilt oder gar kontrolliert, hat in einer modernen, digitalen Arbeitswelt ausgedient. Doch was brauchen junge Nachwuchsführungskräfte dann für „Skills“, um das Feuer einer Belegschaft zu entfachen? Zunächst einmal muss die eigene Persönlichkeit zu den Führungsaufgaben passen. Das heißt, dass eine gewisse mentale und emotionale Stabilität Voraussetzung ist, um auch unter Druck und Stress einen kühlen Kopf zu behalten und damit Vorbild zu bleiben. Bis zu einem gewissen Grad ist eine Führungspersönlichkeit zudem auch extrovertiert. Das heißt nicht, dass er oder sie sich permanent in den Vordergrund spielen muss, sondern vielmehr offen und transparent unterstützt, proaktiv das Gespräch sucht und Themen frühzeitig anspricht.
Neugier gehört unbedingt auch zu dem Mix an Skills, die ein Vorgesetzter heute braucht. Denn ohne die gibt es keine Visionen oder kommen keine Innovationen zustande. Und Stillstand ist das letzte, was moderne Führung in einer digitalen Welt braucht. Und dann sind natürlich auch die berühmten „Peopleskills“ von Nöten. Das heißt, Führung ist immer auch Mediation, Psychotherapie und Coaching. Mitarbeiter wollen gehört und verstanden werden. Letztendlich muss ein gutes Vorbild zu all dem voran genannten dann auch noch gut im Job sein, also mit fachlicher Qualität überzeugen, Ziele nicht nur setzen, sondern auch selber einhalten, und die eigene Arbeit mit Sorgfalt erledigen. Auch das hat Vorbildcharakter.
Vor diesem Hintergrund muss man sich direkt fragen, ob mit der Digitalisierung nun das Zeitalter der Frauen in Führungspositionen angebrochen ist. Denn gerade bei den sogenannten Softskills, also Faktoren wie Empathie, Motivation oder ein nahbarer Führungsstil schneiden Frauen meist besser ab. Das unterstreicht aktuell auch ein Beitrag der beiden Amerikaner Jack Zenger und Joseph Folkman von der Leadership Development Consultancy Zenger/Folkman in der Harvard Business Review. Sie haben die Daten von 360-Grad-Bewertungen durch Mitarbeiter ausgewertet, die zeigen: Frauen schneiden bei 17 von 19 Führungsqualitäten besser ab als Männer. Hat das Feuer also vielleicht doch eine weibliche Vertreterin des Homo erectus entdeckt?