Die Wirtschaftsform der Zukunft

Müssen wir verzichten, um nachhaltiger leben zu können? Oder bietet uns der technologische Fortschritt neue Handlungsspielräume, unseren Wohlstand zu erhalten? Lassen sich Ökonomie und Ökologie zu einem neuen, zukunftsfesten Wirtschaftssystem verbinden?
Illustration: Carina Crenshaw
Illustration: Carina Crenshaw
Interview: Klaus Lüber Redaktion

Genau daran arbeitet die Forschung zur sogenannten Bioökonomie, ein Konzept, das für die Abkehr von einer erdölbasierten Wirtschaft hin zur Nutzung biologischer Ressourcen, die von Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen stammen. Welche Chancen Bioökonomie konkret bietet und ob wir demnächst tatsächlich biobasiertes Plastik nutzen können – darüber haben wir mit Prof. Dr. Iris Lewandowski von der Universität Hohenheim, einer der führenden deutschen Forscher:innen auf dem Gebiet der Bioökonomie, gesprochen.

Frau Lewandowski, wir sind in einem Dilemma: Einerseits wollen und müssen wir weg von fossilen Rohstoffen, wollen aber gleichzeitig auf den Wohlstand nicht verzichten, den diese uns bringen. Da wäre es doch genial, könnte man Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit zusammenführen. Genau daran arbeitet ihr Forschungsfeld Bioökonomie. Was genau ist damit gemeint?

Unter Bioökonomie versteht man die nachhaltige Erzeugung und Nutzung von biologischen Ressourcen, also nachwachsenden Rohstoffen, und gleichzeitig auch die Nutzung biologischen Wissens zur Bereitstellung von unterschiedlichen Produkten und Verfahren oder Dienstleistungen. Das kann in allen wirtschaftlichen Sektoren sein und zielt im Wesentlichen auf ein zukunftsfähiges und nachhaltiges Wirtschaftssystem ab. Man könnte auch sagen: Bioökonomie schafft die Möglichkeit zur Operationalisierung eines nachhaltigen Wirtschaftssystems.

Heißt das also, wir können einfach weitermachen wie bisher – nur eben mit nachhaltigeren Produkten?

Nein, das wäre ein Missverständnis. Es gibt drei Hauptaspekte der Bioökonomie, die man immer zusammendenken muss. Das ist zum einen die Ressourcensubstitution durch biobasierte Rohstoffe, also der Versuch, von erdölbasierten auf nachwachsende Rohstoffe umzustellen, die dann auch nachhaltig produziert und bereitgestellt werden müssen. Des Weiteren setzen wir auf effizientere, effektivere und weniger umweltbelastende Produktionsverfahren. Und dann ist es die Erkenntnis, dass wir eben trotzdem nicht weitermachen können wie bisher, dass wir auch anders konsumieren, leben und wirtschaften müssen.

In der kürzlich veröffentlichten Nationalen Bioökonomie-Strategie klingt es so, als ob wir nur genug in Technologien wie Biotechnologie, Gentechnik und Digitalisierung investieren müssten, um Ressourcen zu schonen und gleichzeitig unseren Wohlstand zu sichern.

Es ist ja gut, dass wir die Latte hoch legen und sagen: Wir haben das Ziel, Ökonomie und Ökologie zuammenzudenken. Denn nur so werden wir langfristig erfolgreich sein. Da spielt die Technologie natürlich eine entscheidende Rolle und die Forschung an der Substitution fossiler durch biogene Rohstoffe eröffnet uns enorme Handlungsspielräume. Dennoch ist es nicht sinnvoll, einfach das eine durch das andere zu ersetzen. Zum Beispiel muss Bioökonomie immer auch ökonomisch tragfähig sein, denn nur so funktioniert sie ja in der Umsetzung. Und die gesellschaftliche Akzeptanz für nachhaltigere Lösungen muss gegeben sein. So sind nachhaltiger produzierte Produkte oft teurer. Dies funktioniert nur bei aufgeklärten Konsumenten, die bereit sind, faire Preise zu bezahlen.

Wie weit sind wir denn schon mit der Bioökonomie? Was ist konkret möglich?

Dazu muss man sagen: Biologische Ressourcen produzieren und nutzen wir ja schon seit Langem, vor allem in der Land- und Forstwirtschaft und den Sektoren, die land- und forstwirtschaftliche Produkte weiterverarbeiten. Was die bisherige von der anvisierten Bioökonomie unterscheidet, ist ein stärkerer Fokus auf Nachhaltigkeit. Das Ziel ist eine Kreislaufwirtschaft, die zu weniger Materialbedarf und Umweltbelastung führt. Reststoffe aus der Landwirtschaft, etwa Gras, Holz oder Stroh, können in ihre Bestandteile zerlegt und dann auf vielfältigste Weise genutzt werden: etwa zur Erzeugung von Energie oder als Ausgangsmaterial für biobasierte Kunststoffe.

Also können wir demnächst mit „nachhaltigem Plastik“ rechnen?

So würde ich das nicht nennen. Was man aber sagen kann: Wir forschen an Verfahren, Plastik umweltfreundlicher zu erzeugen als bisher. Etwa, indem wir die schon erwähnte verholzte Biomasse chemisch so aufschlüsseln, dass man daraus Zucker gewinnen kann. Dieser wird dann zu sogenannten Plattformchemikalien weiterverarbeitet, die zur Produktion von Plastikflaschen oder Nylonstrümpfen verwendet werden. Ein anderer Weg ist die Nutzung von Lignin: das Füllmaterial, das die Cellulosefasern von Pflanzen durchwirkt und den Pflanzen Standfestigkeit verleiht. Hieraus lässt sich ein Granulat herstellen, aus dem man dann so gut wie alles pressen kann, was an Formteilen denkbar ist – von Musikboxen über Lenkräder bis hin zu Kinderspielzeug. Die Möglichkeiten gehen aber noch viel weiter. Schon auf dem Markt sind etwa Sportschuhe aus Spinnenseide, die von Bakterien produziert werden und herkömmliche Synthetikfasern ersetzen können. Oder Leder, das mithilfe eines Extraktes aus Olivenblättern gegerbt wird, von denen jedes Jahr Millionen Tonnen als Ernteabfälle entstehen.

Wenn Sie die Rohstoff-Gewinnung ansprechen: Solange es Abfälle sind, die wir weiter verwerten, klingt das Konzept schlüssig. Aber was, wenn es sich zum Beispiel um Pflanzen wie Raps handelt, die zur Herstellung von Kraftstoff genutzt werden, obwohl sie auch Nahrungsmittel sind.

Bei dem Anbau von Industriepflanzen müssen wir genauer hinsehen. Und ich glaube übrigens nicht, dass die Nutzung von Rapsöl zur Kraftstoffgewinnung wirklich eine gute Lösung ist. Denn pflanzliche Öle sind wichtige Nahrungsmittel und recht aufwendig in der Produktion. Es ist nicht nur relevant, was wir auf unseren Agrarflächen anbauen, sondern auch wie. Die Bioökonomie hat den Anspruch, ein System zu entwickeln, was sich innerhalb der planetaren Grenzen bewegt. Wir müssen so wirtschaften, dass wir gleichzeitig auch den Erhalt von Biodiversität, den Schutz von Böden, die Reinheit von Grundwasser im Blick behalten.

Manche sagen, für eine funktionierende Bioökonomie sei gar nicht genug Fläche vorhanden. Auf der Agrarfläche in Deutschland von rund 16,7 Millionen Hektar werden auf 60 Prozent Futtermittel, auf 22 Prozent Nahrungsmittel angebaut, zwei Prozent machen Brache und Sitlllegung aus. Nur 16 Prozent stehen für Energie- und Industriepflanzen zur Verfügung.

Natürlich könnte man sagen: Werden wir einfach alle Vegetarier, dann bräuchten wir weniger Agrarfläche. Pflanzliche Nahrungsmittel können auf circa einem Zehntel der Fläche erzeugt werden, die für die Fleischerzeugung nötig ist. Aber das zu erwarten ist zumindest im Augenblick noch nicht realistisch, da viele Menschen nicht auf Fleisch verzichten wollen. Dabei muss das auch nicht sein, denn die Tierproduktion ist auch Teil einer integrierten Landwirtschaft und so spielen Tiere für viele Völker nach wie vor eine zentrale Rolle in der Nahrungsmittelproduktion. Optimal wäre hier eine Reduktion des Fleischkonsums und eine konsequent nachhaltige Tierproduktion, die zum Beispiel auf die Fütterung von regional erzeugtem Gras statt auf importierten Soja setzt.

Ist das vielleicht am Ende auch ein Kommunikationsproblem? Wenn man wüsste, was man durch ein bestimmtes Verhalten bewirken könnte, würde man ja auch die Akzeptanz für bestimmte Maßnahmen erhöhen, oder?

Das ist sicher richtig. Meiner Meinung nach sollten wir uns in der Nachhaltigkeitsdebatte stärker damit befassen, wie wir die bisher noch eher allgemein formulierten Nachhaltigkeitsziele konkret erreichen. So schafft der Klimawandel Tatsachen, auf die wir schnellstens reagieren müssen, obwohl gerade das uns als Menschen oft überfordert.

Was meinen Sie?

Viele von uns befürworten konkrete Maßnahmen zum Klimaschutz, aber nur solange sie einen nicht direkt persönlich betreffen – auch bekannt als NIMBY-Effekt (Not in my backyard / „Nicht in meinem Hinterhof“). Nach dem Motto: Bitte gerne Windkraft und Biogas, aber nicht in der Nähe meines Hauses. Auch würde ich erwarten, dass den meisten Menschen sehr bewusst ist, dass das Fahren von SUVs mit hohem Spritverbrauch und das Konsumieren von Billigfleisch schlecht für das Klima und das Tierwohl sind. Trotzdem bleiben sie zumeist bei diesem Verhalten. Hier ist noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten.

Eine weitere Herausforderung dürfte der Einsatz von Gentechnik bei der Pflanzenzüchtung sein, oder?

Davon, dass wir moderne Züchtungstechnologien benötigen, kann man ausgehen, ja. Denn es ist sehr wahrscheinlich, dass wir mit konventionellen Züchtungsmethoden nicht schnell genug sein werden, um unseren Pflanzen die Resistenzen gegen Krankheiten oder die Toleranzen gegen Trockenstress anzuzüchten, die sie brauchen werden, um unter den Bedingungen des Klimawandels weiter ausreichend produktiv zu sein.

Prof. Dr. Iris Lewandowski

ist Leiterin des Fachgebiets Nachwachsende Rohstoffe in der Bioökonomie und Chief Bioeconomy Officer der Universität Hohenheim. Zudem berät sie die Bundesregierung als Mitglied des Bioökonomierats.

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