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Corona sorgt für eine Überlastung der Psychotherapie-Praxen. Apps oder Online-Therapien könnten unterstützen.
Illustrationen: Yvonne Schulze
Illustrationen: Yvonne Schulze
Andrea Hessler / Redaktion Redaktion

In den vergangenen Monaten mussten Millionen Menschen weltweit während des Corona-Lockdowns lernen, ihren Alltag ohne soziales Umfeld, Freunde und sogar ohne Familienmitglieder zu bewältigen. Vielen ist es nur schlecht gelungen. So beklagt etwa die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), dass die anhaltenden Abstands- und Hygieneregeln, Kontaktsperren sowie Quarantänemaßnahmen zu einer nachhaltigen Einschränkung des sozialen Lebens mit negativen psychosozialen Folgen geführt hätten.

 

Corona begünstigt psychische Erkrankungen

 

„Noch ist die Studienlage zu den psychischen Folgen der Corona-Pandemie nicht ausreichend“, sagt Dr. med. Iris Hauth, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Chefärztin am Alexianer St. Joseph-Krankenhaus Berlin-Weißensee und Vorstandsmitglied der DGPPN. „Doch es ist zu befürchten, dass psychische Krisen und Erkrankungen zunehmen werden, je länger die Pandemie und die mit ihr verbundenen Einschränkungen anhalten.“

 

Leider ist die Versorgung mit psychotherapeutischer Unterstützung, das wurde schon vor der Krise deutlich, nicht immer und überall gewährleistet. So waren bereits vor Corona in Deutschland während der vergangenen Jahre jährlich knapp 28 Prozent der erwachsenen Bevölkerung von einer psychischen Erkrankung betroffen, das sind knapp 18 Millionen Menschen. Die häufigsten Leiden sind Angststörungen, Depressionen und Störungen durch Alkohol- und Medikamentenkonsum. Damit zählen psychische Leiden zu den wichtigsten Ursachen für Arbeitsausfälle und Frühverrentungen. Zudem belasten sie unser Gesundheitssystem mit Kosten von mehr als 40 Milliarden Euro pro Jahr.

 

Trotzdem ist es für Betroffene schwierig, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Nur rund 19 Prozent der psychisch Erkrankten suchen Kontakt zu Kliniken, Ärzten oder Therapeuten. Auf ambulante Therapie müssen sie oft monatelang warten. Eine Alternative können Behandlungen per Video und Internet sein. „Wenn ich als Patient mit meinem Therapeuten über Video kommunizieren will, muss ich mir gezielt jemanden suchen, der das anbietet“, sagt Dr. Hauth. Doch vor Corona war nur ein Drittel der deutschen Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie und Psychologen offen für diese Behandlungsmethode, obwohl sie sich in Skandinavien, den Niederlanden und Australien schon längst bewährt hat. Seit Beginn der Pandemie hat sich der Anteil der Befürworter auf zwei Drittel erhöht.

 

Die Videosprechstunde darf nicht über eines der gängigen Programme wie Skype oder Zoom erfolgen, sondern nur über einen speziell hierfür zertifizierten Anbieter, der den reibungslosen technischen Ablauf und den Datenschutz gewährleistet. Zudem müssen das Eingangsgespräch, die Diagnose und die Feststellung der geeigneten Behandlungsmethode immer noch im persönlichen Kontakt stattfinden. Wichtig ist, „dass zunächst andere psychische und körperliche Krankheiten ausgeschlossen werden“, so Dr. Hauth. So könne eine Depression zum Beispiel auch durch eine Schilddrüsenunterfunktion ausgelöst werden.

 

Eine Möglichkeit, die Wartezeit auf einen Behandlungsplatz zu überbrücken, sind Online-Programme, mit denen Patienten in Eigenregie an ihren psychischen Problemen arbeiten können. Einige sind, wie etwa die Stiftung Warentest herausgefunden hat, bei bestimmten Problemen wie Depressionen gut wirksam. So bieten zum Beispiel die Krankenkassen AOK (moodgym), DAK (deprexis) und Techniker Krankenkasse (TK-Depressions-Coach) derartige Online-Programme an. „Doch wenn diese Programme ohne Arzt absolviert werden können, halten wir das für gefährlich. Besonders dann, wenn Menschen in suizidale Krisen geraten“, so Dr. Hauth. „Am besten helfen begleitete Programme.“ Sie können während der Wartezeit auf einen Therapieplatz, zur Unterstützung der persönlich durchgeführten Therapie und zur Nachsorge eingesetzt werden. Die Online-Programme bieten Informationen über die Erkrankung und verhaltenstherapeutische Übungsaufgaben, die etwa Depressiven helfen, dysfunktionale Gedanken auszuschalten.

 

Online-Coachings für Angstpatienten

 

Nicht nur Depressive, auch Angstpatienten können von derartigen Online-Coachings profitieren. Barbara Steffens, Leiterin der TK-Landesvertretung in NRW, sagt: „Wegen Corona bleiben viele Menschen lieber zu Hause, statt sich durch die notwendige Therapie Hilfe zu holen. Gerade für Angstpatientinnen und -patienten kann das besonders belastend sein.“ Daher können Mitglieder der TK ihre Ängste zuhause mit einer psychotherapeutischen App, Übungen zur Angstbewältigung, therapeutischer Begleitung durch Videotelefonate und mittels Virtual-Reality-Brille projizierten Übungsszenen bekämpfen.

 

Eine weitere Möglichkeit sind wissenschaftlich geprüfte und von Psychologen und Psychotherapeuten begleitete Programme wie die von HelloBetter und Selfapy. Diese stärkt, ebenso wie die Video-Behandlung, das Gesetz für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation (Digitale-Versorgung-Gesetz), das im Dezember 2019 in Kraft getreten ist. „Unser Angebot einer digitalen Therapie ergänzt klassische Therapien“, sagt Farina Schurzfeld, Mitgründerin von Selfapy und im Unternehmen zuständig für Marketing und Kooperationen. „Sobald wir als digitale Gesundheitsanwendung im DiGA-Verzeichnis beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte gelistet sind, können Ärzte unsere Online-Kurse auf Rezept verschreiben.“

 

Heute schon arbeitet Selfapy eng mit 14 Krankenkassen zusammen, die ihren Versicherten über einen Zugangscode oder über ihre Versichertennummer den kostenlosen Zugang zu den Kursen ermöglichen. Diese wurden gemeinsam mit erfahrenen Therapeuten und Universitäten entwickelt.

 

Rund 3.500 Teilnehmer hat Selfapy aktuell, seit Gründung vor vier Jahren haben rund 35.000 Menschen die Kurse absolviert. „Unsere Teilnehmer zeigen eine gute Reduktion ihrer Symptome; auch Studien laufen gerade, um dies wissenschaftlich zu belegen“, sagt Schurzfeld. Wie Dr. Hauth wünscht sie sich von den Akteuren im Gesundheitswesen mehr Wir-Gefühl. „Wir wollen doch alle, dass Patienten die bestmögliche Versorgung erhalten.“

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