Gut für die Wissenschaft, gut für Betroffene

 Angeborene Immundefekte beeinträchtigen das Leben von Kindern erheblich. Register, die Falldaten sammeln, unterstützen bei Diagnose und Therapie.

Prof. Dr. Stephan Ehl, Institutsdirektor am Centrum für Chronische Immundefizienz der Universitätsklinik Freiburg
Prof. Dr. Stephan Ehl, Institutsdirektor am Centrum für Chronische Immundefizienz der Universitätsklinik Freiburg
Pharming Group Beitrag

Wer mit kleinen Kindern zu tun hat, weiß: Gefühlt die Hälfte hat immer einen Schnupfen. An sich nicht schlimm, harmlose Infektionen gehören zum Aufwachsen und trainieren das Immunsystem. Doch wenn ein Kind deutlich häufiger an Infektionen leidet, diese schwerer verlaufen oder von ungewöhnlichen Erregern ausgelöst werden, kann das Anlass zur Sorge geben: Möglicherweise liegt ein genetischer, also angeborener, Immundefekt vor, der das Immunsystem gegenüber Infektionen schwächt. Solche Immundefekte zählen zu den seltenen Erkrankungen, mehr als 500 sind mittlerweile bekannt, jährlich werden rund 30 neu identifiziert. Wie bei den meisten seltenen Erkrankungen ist die Diagnose in der Regel langwierig, doch genetische Immundefekte weisen eine besondere Tücke auf: „Die Grundkrankheit Immundefekt ist selten, aber die Krankheitserscheinungen, Infekte, sind häufig. Man muss erst einmal auf die Idee kommen, dass hinter dem Häufigen etwas Seltenes steckt. Deshalb dauert es oft Jahre, bis bei Kindern, die scheinbar normal geboren sind, ein Immundefekt entdeckt wird“, erklärt Prof. Dr. Stephan Ehl, Institutsdirektor am Centrum für Chronische Immundefizienz der Universitätsklinik Freiburg. Und hier geht es nicht nur um Schnupfen. Infektionen können den ganzen Körper betreffen – von der Lunge über das Herz bis zum Nervensystem, mit potenziell tödlichen Folgen. Neben der körperlichen Bedrohung kann das noch ganz andere Konsequenzen haben: Entwicklungsverzögerungen, seelische Not, soziale Isolation, verpasste schulische Chancen. Hinzu kommt die Belastung für die Angehörigen.
 

REGISTER SAMMELN WISSEN


Noch etwas macht die Diagnose eines genetischen Immundefekts so schwierig: „Betroffene mit wiederholten Lungenentzündungen, Infektionen im Hals-Nasen-Ohrenbereich oder häufigen Durchfallerkrankungen gehen damit oft zum Spezialisten. Dort wird oft nur die jeweilige Krankheit behandelt, ohne nach zugrundeliegenden Faktoren zu sehen“, so Stephan Ehl. Wichtig sei aber, die gesamte Krankengeschichte der Kinder abzufragen, entsprechend zu dokumentieren – und vor allem, diese Daten mit denen anderer Betroffener vergleichen zu können. Genau das können Register schaffen, wie etwa das Europäische Immundefektregister, das in Deutschland Falldaten zu seltenen Immundefekten sammelt. Dazu gehören zum Beispiel die Art der Symptome und wann sie zuerst auftraten, der Verlauf der Erkrankung, aber auch Laborwerte und welche Therapien eingesetzt wurden – oder auch nicht. „Mit diesen Daten können wir den natürlichen Verlauf dieser Erkrankungen mit und ohne therapeutische Eingriffe dokumentieren“, so Stephan Ehl. Zwar gehe das mit einem hohen dokumentarischen und damit auch organisatorischen und letztlich finanziellen Aufwand einher. Doch der Nutzen liegt auf der Hand.
 

GEWISSHEIT FÜR BETROFFENE


Das Register dient nicht nur als Plattform zum Austausch zwischen Fachpersonal. Über das Register können Betroffene auch Zugang zu Selbsthilfegruppen bekommen. Und forschende Pharmaunternehmen können die Datensätze nutzen, um Probanden für Medikamente in einer späten Testphase zu gewinnen – natürlich nur mit deren Einverständnis. Für breit angelegte Studien ist das Register allerdings nur bedingt geeignet. Denn neben der nicht immer vergleichbar vollständigen Dokumentation sind die Fallzahlen naturgemäß oft zu niedrig. Nicht nur deswegen ist die Vernetzung mit Datenbanken aus anderen Ländern so wichtig. Sie erweitert die Datenbasis an sich und damit das Wissen um einen bestimmten genetischen Immundefekt. Und darum geht es: „Das Register dient letztendlich den Betroffenen – es hilft, ihnen endlich Gewissheit über den Krankheitsverlauf zu verschaffen und den Behandelnden Therapieoptionen aufzuzeigen“, fasst es Stephan Ehl zusammen.

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Medizin
November 2024
Illustration: Ivonne Schreiber
Redaktion

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