Präzisionsmedizin für alle

Individualisierte, zielgerichtete Therapien sollten insbesondere in der Onkologie zum Standard gehören. Tun sie aber nicht. Eine Spurensuche.
Über genombasierte, molekulare Analysen zu personalisierter Behandlung: Digitale Entscheidungsunterstützungssysteme in der Onkologie können Ärzten und Patienten entscheidenden Mehrwert im Kampf gegen den Krebs bieten.
Molecular health Beitrag

Individualisierte Medizin, Präzisionsmedizin oder personalisierte Medizin – zielgerichtete, auf das jeweilige Individuum angepasste Therapieansätze haben viele Namen. Und sie sind in aller Munde. Es gibt kaum einen Kongress, auf dem sie nicht DAS Thema schlechthin sind. Insbesondere in der Onkologie haben sie einen hohen Stellenwert – und das schon seit etwa zwei Jahrzehnten. Damals wurde erkannt, dass bei etwa 20 Prozent aller Brustkrebspatientinnen die Anzahl der HER2-Rezeptoren auf der Oberfläche der Krebszellen deutlich erhöht war. HER2 ist vereinfacht ausgedrückt eine Eiweißstruktur, durch die eine Zelle Wachstumssignale erhält. Das ist ein völlig normaler Vorgang – solange die Anzahl der HER2-Rezeptoren überschaubar bleibt. Bei 20 Prozent der Patienten mit einem Mammakarzinom sitzen die besagten Rezeptoren jedoch dicht an dicht. Die Zellen werden mit Wachstumssignalen regelrecht überflutet, was letztendlich zu einer sehr aggressiven Form des Brustkrebses führt.


Das klingt zunächst nach einer schlechten Prognose für die Betroffenen. Die Mutation hat jedoch auch einen Vorteil. Denn dank Präzisionsmedizin konnten gezielt therapeutische Antikörper entwickelt werden, die äußerst positiv in das Krankheitsgeschehen bei HER2-positiven Brustkrebs eingreifen können. Ähnlich erfolgreich ist die Präzisionsmedizin auch bei vielen anderen Krebserkrankungen wie beispielsweise dem Lungenkarzinom. Auch hier sorgt eine molekulare Analyse bestimmter Biomarker dafür, dass Therapien nicht nur deutlich zielgerichteter, sondern auch wesentlich erfolgreicher durchgeführt werden können. „Präzisionsmedizin und Krebs-Immuntherapie machen es selbst bei einem Lungenkarzinom im metastasierenden Stadium möglich, Therapien so zu gestalten, dass die Patienten im Median bis zu fünf Jahre überleben. Das war noch vor drei Jahren undenkbar und zeigt, wie weit wir die Biologie einiger Tumorerkrankungen bereits verstanden haben“, erklärt Dr. Christian Meisel, Chief Medical Officer bei dem auf computergestützter Präzisionsmedizin spezialisierten Unternehmen Molecular Health.


Was jedoch bei relativ häufig auftretenden Veränderungen wie dem HER2-Rezeptor noch gut funktioniert, wird dann kompliziert, wenn nur wenige Tumore eine bestimmte Mutation aufweisen. Dann nämlich wird die Entwicklung personalisierter Therapieansätze allein schon aus wirtschaftlicher Sicht sehr teuer. Das ist auch einer der Gründe, warum in Deutschland im Vergleich zu den USA bei wesentlich weniger Krebspatienten Präzisionsmedizin zum Einsatz kommt. „In der Erstlinientherapie kommt Präzisionsmedizin tatsächlich nur selten zum Einsatz. Wenn überhaupt, wird sie nur unter bestimmten Voraussetzungen oder erst sehr spät in die Behandlung integriert, wenn leitliniengemäß bereits ‚austherapiert‘ wurde“, kritisiert Meisel. Hinzu käme, dass im Gegensatz zu den USA, wo die Leitlinien tatsächlich alle paar Monate angepasst würden, in Deutschland für eine solche Überarbeitung im Extremfall Jahre ins Land gingen.


Eine weitere Hürde hierzulande ist die Nutzenbewertung, die durch das unabhängige Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, kurz IQWiG, durchgeführt wird. Dort wird explizit als Nutzenbeleg nach kontrollierten randomisierten Studien verlangt, damit eine Therapie von den Kassen übernommen wird. Das ist aufgrund der Patientenpopulation bei vielen speziellen Tumoren jedoch schlicht nicht möglich. Auch hier gehen andere Länder einen anderen, für die Patienten vorteilhafteren Weg. Sie lassen auch sogenannte Real World Data Evidenzen zu, bei denen die Wirksamkeit von Therapien im normalen Alltag der Patienten analysiert wird. Voraussetzung für eine solche Anerkennung sind bestimmte Qualitätsstandards der Daten, die heute jedoch allein schon aufgrund der durch die Digitalisierung vorhandenen Auswertungsmöglichkeiten gut darstellbar sind. Von der Präzisionsmedizin für alle Patienten können wir in Deutschland derzeit also nur träumen – und mit Blick auf die Anpassungsgeschwindigkeit der Leitlinientherapie bleibt das wohl auch in den kommenden Jahren so.

 

MOLECULAR HEALTH
Molecular Health hat sich auf die computergestützte Präzisionsmedizin spezialisiert. Im Zentrum der Aktivitäten stehen die Erfassung, das Kuratieren, die Integration sowie die Analyse großer Datenmengen aus der Biomedizin und der Arzneimittelforschung. Ziel von Molecular Health ist es, eine flächendeckende Anwendung der Präzisionsmedizin zu ermöglichen und verwertbare Erkenntnisse über die Wirkung von Medikamenten zu generieren. Seit mehr als einem Jahrzehnt hat das Unternehmen Dataome entwickelt, ein einzigartiges und systematisch kuratiertes System, das klinisch-molekulare und Medikamentendaten mit eigenen Analyseverfahren vernetzt.

 


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