Frau Dr. Horvath, Schätzun-gen zufolge leiden weltweit inzwischen rund 350 Millionen Menschen an einer Depression. Wirklich offen wird mit der Erkrankung dennoch nicht umgegangen. Wie stark erschwert das die Behandlung?
In der Tat verhindert Scham häufig, dass sich Betroffene bei psychischen Erkrankungen, wie etwa einer Depression, Hilfe suchen – im Schnitt dauert es sechs bis acht Jahre. Und wenn sie sich nach dieser langen Zeit endlich zu einer Behandlung durchgerungen haben, macht es ihnen das deutsche Gesundheitssystem nicht immer leicht. Durchschnittlich müssen Betroffene in Deutschland bis zu sechs Monate auf einen Behandlungsplatz warten. In der Konsequenz bleiben zu viele Depressionen unbehandelt und werden mit der Zeit zu chronischen Erkrankungen.
Sie haben bereits während Ihrer Promotion 2015 nach Lösungen für dieses Problem gesucht. Mit welchem Ziel?
Dr. Elena Heber, Prof. Dr. David Ebert und ich haben damals zusammen das GET.ON Institut gegründet. Wir hatten eine Versorgungslücke im deutschen Gesundheitssystem erkannt und wollten dazu beitragen, sie zu schließen. Uns ging es darum, Menschen mit psychischen Beschwerden ein niederschwelliges Angebot jenseits der herkömmlichen Psychotherapie zu bieten. In Folge dessen haben wir uns zunächst daran gemacht, evidenz-basierte Online-Trainings zur Behandlung und Prävention psychischer Erkrankungen zu entwickeln.
Nachdem Sie gesehen hatten, dass Ihre Trainings funktionierten, wollten Sie sie dann in die Regelversorgung bringen?
Ganz genau. Unsere Forschung hat gezeigt, dass Online-Trainings die Eintrittshürde, sich Hilfe zu suchen, für Menschen mit psychischen Erkrankungen deutlich senken können – und die psychische Belastung der Patienten als auch Folgekosten für die Krankenversicherungen verringern. Aufgrund des Engpasses bei der psychotherapeutischen Versorgung sahen wir die Notwendigkeit, digitale Angebote zu schaffen. Anfang dieses Jahres haben wir dann die Marke HelloBetter entwickelt und uns als Team neu aufgestellt. Aus unserem Gründungs-Trio und zwei weiteren Mitarbeitern in Vollzeit, sind aktuell 35 Mitarbeiter an zwei Standorten in Hamburg und Berlin geworden. Wir bieten insgesamt elf verschiedene Online-Trainings aus acht Behandlungsbereichen an und beschäftigen ein Team aus über 20 Psychologen, das sich persönlich um jeden unserer Teilnehmer kümmert.
»Barmer Versicherte können unser Angebot daher schon jetzt kostenfrei nutzen.«
Sie sprachen gerade die geringeren Folgekosten für Krankenversicherer an. Haben die Interesse an Ihren Online-Trainings und übernehmen die Behandlungskosten?
Noch unter dem Namen „GET.ON“ haben wir mit der BARMER bereits frühzeitig eine der größten Krankenkassen des Landes von unserem Angebot überzeugen und eine enge Kooperation eingehen können. Barmer Versicherte können unser Angebot daher schon jetzt kostenfrei nutzen. Wir sind aktuell dabei, derartige Kooperationen mit einer Reihe weiterer Krankenkassen abzuschließen. Zudem ist es für Ärzte und Psychotherapeuten ab diesem Jahr möglich, auch Gesundheitsanwendungen wie Online-Trainings oder Smartphone-Apps zu verschreiben – die App auf Rezept. Möglich macht es das neue Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG). Wir sind eines der ersten Unternehmen bundesweit, das eine solche digitale Gesundheitsanwendung zur Prüfung und Genehmigung einreichen wird. Bis zur Zulassung im Rahmen des DVG werden die Kosten von den Krankenkassen ganz oder teilweise erstattet. Bis dahin kann man mit nur ein paar Klicks auf HelloBetter.de prüfen, welche Krankenkassen unsere Online-Trainings schon heute anbieten.
Welche Kriterien müssen Anwendungen für die Genehmigung erfüllen?
Das ist leider einer der Punkte des DVG, bei dem aus unserer Sicht hätten strengere Anforderungen gestellt werden sollen. Denn bei der Gesundheit kann nur der höchste Standard der klinischen Forschung als Maßstab dienen. Das heißt: Nur Anwendungen, deren Wirksamkeit in randomisiert-kontrollierten Studien nachgewiesen wurde, sollten eine Zulassung erhalten. Mit mittlerweile über 30 durchgeführten Studien dieser Art, sind wir einer der wenigen Anbieter, die diesem hohen Standard schon heute gerecht werden. Zusätzlich sind wir das einzige Digital-Mental-Health-Unternehmen, das eine derartig hohe Anzahl an wissenschaftlichen Studien nachweisen kann.
Haben die Studien konkrete Erkenntnisse gebracht, ob die HelloBetter Trainings mit einer herkömmlichen Psychotherapie vergleichbar sind?
Das haben sie – und zwar ist der Effekt unserer Trainings mit dem der klassischen Face-to-Face-Psychotherapie absolut vergleichbar. Zudem bieten wir das einzige Online-Training weltweit an, das die Entstehung einer Depression verhindern kann. Der Prävention kommt eine entscheidende Bedeutung zu, wenn es darum geht, das Leiden der Betroffenen zu reduzieren und die Anzahl psychischer Erkrankungen zu begrenzen. So sind beispielsweise Schlafbeschwerden nach dem HelloBetter Training im Schnitt um 50 Prozent reduziert. Ein Drittel der Teilnehmer ist dank unserer Online-Therapie sogar komplett symptomfrei!
Sie sind außerdem an verschiedenen nationalen und internationalen Projekten zur Implementierungsforschung von Digital Mental Health beteiligt.
Das stimmt. Getsleep.de ist ein aktuelles Beispiel. Durch ein Stufenmodell aus hausärztlicher Erstbehandlung und anschließendem Online-Training sollen lange Wartezeiten verhindert und Menschen so unterstützt werden, ihre Schlafstörung zu bewältigen. Von Schlafstörungen Betroffene können sich für eine kostenfreie Teilnahme auf getsleep.de ab sofort voranmelden.
Der Name ist Programm
HelloBetter bietet psychologische Online-Trainings zur Prävention und Behandlung psychischer Erkrankungen wie etwa Depression, aber auch bei Stress, Schlafstörungen, Angst und Panik oder chronischen Schmerzen an. Die Patienten werden dabei jederzeit professionell von Psychologen begleitet. In HelloBetter stecken zwölf Jahre Forschungsarbeit und über 160 Publikationen. Die Wirksamkeit der digitalen Psychotherapie konnte in bisher über 30 randomisiert-kontrollierten Studien mit über 20.000 Teilnehmern nachgewiesen werden. Zu den Forschungspartnern von HelloBetter gehören unter anderem die Leuphana Universität, die Harvard University, sowie die VU Amsterdam, die FAU Erlangen und die Universität Ulm.