Lust auf ein gesundes Leben

Die Schulmedizin ist unverzichtbar, aber die menschliche Seite kommt im Alltag der Ärzte oft zu kurz. Viele Patienten fühlen sich bei alternativen Medizinern besser aufgehoben. Eine Reform wäre dringend geboten.
Elisabeth Schwiontek Redaktion

Fit und gesund bleiben, Lebensenergie bewahren: Diesen Zielen widmen immer mehr Menschen immer mehr Zeit und Kraft. Sie sind aber auch bereit, dafür mehr zu bezahlen. Das beginnt schon beim Thema Selftracking. Mit Hilfe digitaler Sensoren an Armbändern oder Clips zählen die gesundheitsbewussten Selbstvermesser die Schritte, die sie pro Tag zurücklegen. Sie erfassen ihr Tempo beim Joggen, kontrollieren Blutwerte und den Kalorienverbrauch oder dokumentieren ihre Schlafphasen. Auch die Nachfrage nach Nahrungsergänzungsmitteln steigt, und in manchen Arztpraxen kann man sich Infusionen zusammenstellen, um bloß keinen Mangel an Vitaminen oder Mineralien entstehen zu lassen.

Knapp ein Drittel der Deutschen wendet laut einer Studie des Frankfurter Zukunftsinstituts bevorzugt Naturheilmittel an, 64 Prozent wünschen sich ein verbessertes Angebot alternativer Behandlungsmethoden. Die bezahlt man zwar in der Regel aus eigener Tasche, dennoch liegen alternative Therapien bei Osteopathen, Heilpraktikern oder in der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) im Trend.

Diese Entwicklung spiegelt zugleich ein sinkendes Vertrauen in die Schulmedizin und das kassenärztliche System wider. Denn die gesetzliche Krankenversicherung finanziert zwar jedes Jahr Gesundheitsleistungen in Höhe von rund 200 Milliarden, dennoch sind die Patienten unzufrieden und die Ärzte verstimmt. Was tun? Über die Wirksamkeit von Globuli lässt sich streiten, doch von den Methoden der Homöopathie kann die Schulmedizin sicherlich lernen. Einfühlsam auf den ganzen Menschen einzugehen, statt ihn auf bestimmte Symptome zu reduzieren – allein dies hat schon eine heilende Wirkung. Davon ist jedenfalls der Schulmediziner Prof. Dr. med. Fritz von Weizsäcker überzeugt. „Der Arzt nimmt sich keine Zeit für das Gespräch mit seinem Patienten. Das ist der Fehler im System, der ganz am Anfang geschieht“, sagte er kürzlich bei einer Podiumsdiskussion.

Das Problem: Mit einfühlsamen Gesprächen verdient der Kassenarzt kein Geld – dazu muss er stechen, schneiden oder Apparate in Gang setzen. Es ist also höchste Zeit für eine radikale Reform, die Gespräche nicht geringer honoriert als andere ärztliche Leistungen. Ein Arzt, der seinem Patienten Zeit und Zuwendung schenkt, schafft Vertrauen. Aber sind Diagnose und Therapie auf dieser Grundlage tatsächlich oft wirksamer und kostengünstiger als technisch hoch spezialisierte Behandlungsmethoden? Hilft zum Beispiel die Schröpftherapie, ein seit Tausenden von Jahren bekanntes Verfahren, besser bei Rückenschmerzen als teure orthopädische Spritzen? Ja, sagen die Verfechter der Alternativmedizin. Schon möglich, antworten die Skeptiker, aber wissenschaftliche Nachweise fehlen.

Die Schieflage des Gesundheitssystems hängt auch damit zusammen, dass die meisten Studien von der Pharmawirtschaft finanziert werden. Ihr Ziel ist es, neue Wirkstoffe zu entwickeln, neue Medikamente, mit denen sie mehr Umsatz erzielen können. Hingegen fehlen unabhängig finanzierte Studien, die sich mit der Wirksamkeit alternativer Heilverfahren beschäftigen und herausfinden, welche die Schulmedizin sinnvoll ergänzen könnten.

Denn die Fortschritte der konventionellen Medizin sind natürlich unverzichtbar.  Herzinfarkte oder Krebserkrankungen lassen sich nicht mit Massagen und Heilkräutern behandeln. Doch medizinischer Fortschritt besteht auch darin, die Grundlagen der Heilkunst zu erweitern und den Patienten ganzheitlich wahrzunehmen. Ein guter Arzt interessiert sich für die Lebens-umstände seines Patienten. Er möchte wissen, wie sich der Kranke ernährt, ob er sich genug bewegt und was ihn stresst. Ob man dann nach erfolgreicher Therapie von harmonisierter Lebensenergie spricht oder sich einfach nur über einen Schmerz weniger freut, spielt keine Rolle.  

Ärztinnen und Ärzte, die mit ihren Patienten reden und in diese Gespräche Zeit und Wissen investieren, haben Zukunft. Schließlich krempelt die Digitalisierung auch die Gesundheitsbranche um. Wenn Roboter operieren oder Spritzen setzen und Herzen aus dem Drucker kommen, sind Mediziner mit menschlichen Qualitäten stärker gefragt denn je. 

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