Kritischer Konsum

Ein Glas Wein am Abend, die Zigarette danach, die Kopfschmerztablette, um über den Tag zu kommen – Substanzen wie diese gehören für einen Großteil der Bevölkerung zum Leben dazu. Doch ab wann ist es Sucht?

Illustration: Sabine Zentek
Illustration: Sabine Zentek
Iunia Mihu Redaktion

Alkohol, Nikotin, Zucker, Social Media, Cannabis, Sex – fast jeder Mensch hat etwas, von dem sie oder er gar nicht genug bekommen kann. Problematisch wird es, wenn man schlichtweg die Kontrolle verliert und nicht mehr aufhören kann, eine bestimmte Substanz zu konsumieren oder einer bestimmten Tätigkeit nachzugehen.

Allerdings gilt nicht alles, wonach man süchtig sein kann, aus medizinischer Sicht als Sucht – auch, wenn das Verhalten einer Sucht ähnelt. Beispiel Kaufsucht: Der Begriff suggeriert zwar, dass es sich dabei um eine Suchterkrankung handelt, jedoch steckt ein anderes Krankheitsbild dahinter. Bislang wird Kaufsucht als „Störung der Impulskontrolle“ kategorisiert und als solche mittels kognitiver Verhaltenstherapie behandelt. Fachleute diskutieren derzeit aber, ob Kaufsucht als Verhaltenssucht eingestuft werden sollte.

Grob gesagt, kann man zwischen zwei Arten von Sucht unterscheiden: Zum einen die sogenannte nicht-substanzgebundene Sucht beziehungsweise Verhaltenssucht, wozu Mediensucht, Kaufsucht und mittlerweile auch Glücksspiel und Computersucht gehören. Zum anderen die sogenannte substanzgebundene Sucht, wie zum Beispiel die Abhängigkeit von Substanzen wie Alkohol, Nikotin, Medikamenten oder illegalen Drogen.

Experten gehen davon aus, dass eine Sucht durch ein Zusammenspiel von biologischen, psychologischen und sozialen Einflüssen begünstigt wird. Beispiel Alkoholismus: Mit einem alkoholabhängigen Elternteil steigt die Wahrscheinlichkeit, selbst später zur Flasche zu greifen, denn zum gewissen Teil ist Alkoholsucht auch erblich bedingt. Auf psychischer Ebene hingegen können fehlende Strategien zur Stressregulierung dazu beitragen, dass eine Sucht entsteht. Wer nie gelernt hat, sich in stressigen Situationen, etwa im Job oder Familienalltag, selbst zu regulieren, beispielsweise durch spezielle Entspannungstechniken, eine ausgeglichene Work-Life-Balance, aber auch indem man seine persönlichen Grenzen kennt, diese klar formuliert und auch „Nein” sagt, greift vielleicht eher zur Stresszigarette oder zum Feierabendbier. Auch soziale Einflüsse, etwa durch Freunde und Familie, sowie Isolation und Einsamkeit können eine Abhängigkeit fördern.

Nicht alle Menschen, die regelmäßig Substanzen konsumieren, werden letztlich auch danach süchtig. Die Anfälligkeit für eine Abhängigkeit ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich – es ist ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren. Etwa das persönliche Umfeld, die sogenannte Peergroup, die Eigenschaft der Substanz oder das individuelle Risiko.

Nach Angaben der Stiftung Gesundheitswissen liegt eine substanzgebundene Sucht dann vor, wenn innerhalb eines Jahres mindestens drei der folgenden Anzeichen auftreten: ein starkes Verlangen oder Zwang, eine Substanz zu konsumieren; verminderte Kontrolle darüber, wann, wie lange und wie viel konsumiert wird; Entzugserscheinungen, wenn die Substanz abgesetzt wird (etwa körperliche Symptome wie Unruhe, Zittern und Schwitzen); eine Toleranzentwicklung, sodass immer mehr konsumiert werden muss, um die gleiche Wirkung zu erzielen; Vernachlässigung von allem anderen zugunsten des Konsums (Freizeitaktivitäten, Treffen mit Freunden etc.). Oder es wird weiter konsumiert, obwohl bereits gesundheitliche Schäden (zum Beispiel an der Leber) entstanden sind.
Die gute Nachricht: Sucht ist behandelbar. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die sich nach Art der Sucht und der persönlichen Situation der Betroffenen richten. Bei fast allen stoffbezogenen Süchten, Nikotinsucht ausgenommen, übernehmen Krankenkassen beziehungsweise Rentenversicherungsträger die Kosten einer Behandlung.

Je nach Art der Sucht geht es in einer Therapie um Beratung, Entgiftung oder einen Entzug. Psychotherapie ist eine sehr wichtige Säule, aber auch Medikamente sowie die Teilnahme an Gruppenangeboten und Selbsthilfegruppen. Gerade letzteres ist für Betroffene meist sehr hilfreich, weil sie merken: Ich bin nicht allein. Denn häufig bleibt eine Sucht erst einmal lange unentdeckt, etwa weil sie sich schleichend entwickelt oder aus Scham geheim gehalten wird. Der erste Schritt, von einer Sucht loszukommen, ist die eigene Erkenntnis und Akzeptanz, dass man süchtig ist.

 

Suchterkrankungen: Zahlen und Fakten

 

TABAK

Im Jahr 2020 rauchten in Deutschland 24 Prozent der Frauen und 34 Prozent der Männer ab 18 Jahren. Allein 2018 starben hierzulande 127.000 Menschen an den Folgen des Rauchens. „In der Tabakprävention und Tabakkontrollpolitik bleibt also noch viel zu tun“, sagte Christina Rummel, Geschäftsführerin der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) anlässlich des Erscheinens des DHS Jahrbuchs Sucht 2022 im April dieses Jahres. „Die bisher umgesetzten Maßnahmen haben insbesondere bei jungen Menschen zu einem Rückgang des Rauchens geführt. Das ist erfreulich – aber bei Weitem nicht genug.“ Wichtiges Ziel der Gesundheitspolitik ist es, den Tabakkonsum nachhaltig zu verringern. Um das zu erreichen, wurde im vergangenen Jahr die „Strategie für ein tabakfreies Deutschland 2040“ von einem breiten Bündnis von Gesundheits- und zivilgesellschaftlichen Organisationen veröffentlicht.

ALKOHOL

„Alkohol ist ein Zellgift. Zahlreiche körperliche Erkrankungen, zum Beispiel der Leber und auch Krebserkrankungen, sind auf den Konsum von Alkohol zurückzuführen“, sagt Prof. Dr. Norbert Scherbaum, Vorstandsvorsitzender der DHS. Und dennoch: Deutschland bleibt im internationalen Vergleich weiterhin ein Hochkonsumland – obwohl hierzulande der Verbrauch an alkoholischen Getränken gegenüber dem Vorjahr und auch längerfristig sank: von 14,4 Litern Reinalkohol im Jahr 1970 auf 10,2 Liter im Jahr 2019 pro Bundesbürger:in ab 15 Jahren. In einer Statistik der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) nahm Deutschland im Jahr 2019 beim Alkoholkonsum unter 44 Nationen die 13. Position ein. Damit liegt der Verbrauch hierzulande deutlich über dem Durchschnitt der OECD-Länder pro Bürger:in ab 15 Jahren. In Deutschland starben 19.000 Frauen und 43.000 Männer an einer alkoholbezogenen Todesursache. Das entspricht 4 Prozent aller Todesfälle unter Frauen und 9,9 Prozent aller Todesfälle unter Männern (Zahlen für 2016). Beim Alkohol gilt nach wie vor der Grundsatz: Weniger ist mehr. Denn: Es gibt keine gesundheitsförderliche Wirkung von Alkohol.

GLÜCKSSPIEL

Die Umsätze (Spieleinsätze) auf dem legalen deutschen Glücksspiel-Markt gingen im Jahr 2020 auf 38,3 Mrd. Euro zurück (minus 11,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr). Als größtes Marktsegment verzeichneten die rund 220.000 aufgestellten gewerblichen Geldspielautomaten in Spielhallen und gastronomischen Betrieben einen Rückgang des Umsatzes und Bruttospielertrags um 25,5 Prozent auf 17,9 Mrd. Euro bzw. 4,1 Mrd. Euro. Die Bruttospielerträge des regulierten deutschen Glücksspiel-Marktes erreichten im Jahr 2020 ein Volumen von 10,112 Mrd. Euro (minus 8,7 Prozent). Auf dem nicht-regulierten (unerlaubten) Markt wurde ein geschätzter Ertrag von 1,568 Mrd. Euro erzielt (minus 29 Prozent). Die glücksspielbezogenen Einnahmen des Staates aus erlaubten Angeboten lagen 2020 bei 5,341 Mrd. Euro (minus 1,3 Prozent).
 

Nächster Artikel
Medizin
Dezember 2023
Illustration: Stephanie Hofmann
Redaktion

Das Kreuz mit dem Kreuz

Zu wenig Bewegung, zu viel Sitzen und ein permanent gesenkter Blick auf das Smartphone sorgen dafür, dass die deutsche Bevölkerung kaum noch gesundes Rückgrat hat.