Ein paar Pfunde zu viel können nicht so schlimm sein, oder? Leider doch. Auch leichtes Übergewicht schadet der Gesundheit, vor allem in Kombination mit zu wenig Bewegung. Es erhöht das Risiko für Herz und Kreislauf- sowie für einige Krebserkrankungen, kann die Blutgefäße schädigen und lässt den Blutdruck ansteigen. Außerdem fördert das Fettgewebe, das sich um die Organe herum bildet, Entzündungsprozesse. Übergewicht belastet die Gelenke und sorgt besonders bei Knie und Hüfte für einen schnelleren Verschleiß. Gleichzeitig steigt die Wahrscheinlichkeit, einen Typ-2-Diabetes zu entwickeln signifikant an – um nur einige der gesundheitlichen Folgen zu nennen.
GRENZEN DES BMI
Als "übergewichtig" gilt, wer einen Body Mass Index zwischen 25 und 29,9 aufweist. Eine 1,70 m große Frau zum Beispiel, die 73 Kilo schwer ist, hat einen BMI von 25. Mittlerweile sind demnach 60 Prozent der Männer in Deutschland und etwa 45 Prozent der Frauen übergewichtig – Tendenz steigend. Auch 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen sind Zahlen des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zufolge schlicht zu dick. Diese Kinder tragen fast die gleichen gesundheitlichen Risiken wie betroffene Erwachsene und sind auch später nur selten schlank. Der BMI ist als Maßeinheit allerdings auch mit Vorsicht zu genießen. Berechnet wird er mit der Formel Körpergewicht in Kilogramm geteilt durch Körpergröße in Metern zum Quadrat. Wer trainiert ist, überschreitet schnell sämtliche Grenzwerte und zwar, weil Muskeln deutlich schwerer sind als Fett. Bei einem unsportlichen normalgewichtigen Menschen werden dagegen, wenn vor allem auf den BMI geschaut wird, oft die Fettreserven unterschätzt.
FRÜHERKENNUNG IST WICHTIG
Übergewicht ist ebenso wie Adipositas ein Thema mit hoher Relevanz für die öffentliche Gesundheit. Die Kosten, die dem Gesundheitssystem aus den Folgeerkrankungen entstehen, sind enorm. Doch Forschende sehen für die Zukunft gleich mehrere Stellschrauben. Eine davon ist Prävention. Mehr "Gesundheitsgerechtigkeit" soll hier eine wichtige Rolle spielen. Augenblicklich ist Übergewicht häufig vor allem mit niedrigem Bildungsstand und geringerem Haushaltseinkommen verbunden, entdeckte ein Forschungsteam von der Sektion Sport- und Rehabilitationsmedizin des Universitätsklinikums in Ulm. Die Untersuchung "Beyond Correlates: The Social Gradient in Childhood Overweight" zeigte auch, dass Übergewicht oft noch immer die ganze Familie betrifft. Eltern, die selbst zu viel auf die Waage bringen, hielten das höhere Gewicht ihrer Kinder oft fälschlich für okay. Eine Möglichkeit sei es, schon in Kindergärten und Schulen Wissen zu Gesundheitsthemen zu vermitteln und spielerisch gesundheitsförderndes Verhalten einzuüben. Freude an Bewegung und gesunder Ernährung fördert zum Beispiel das Programm "Komm mit in das gesunde Boot", das vor dem Hintergrund der Ulmer Studie entstanden ist und Angebote für Kinder von Krippe bis Schule ebenso wie virtuelle Elterntrainings umfasst. Außerdem könnten Früherkennungsprogramme und personalisierte Ernährungsberatung wichtige Beiträge zur Prävention von Übergewicht und Folgeerkrankungen leisten. KI-gestützte Systeme sind schon jetzt in der Lage, große Mengen an Patientendaten, zum Beispiel zur medizinischen Vorgeschichte, Ernährungsgewohnheiten oder körperlicher Aktivität zu analysieren. Durch die Analyse von Mustern in diesen Daten können algorithmenbasierte Empfehlungen entwickelt werden, die spezifisch auf Einzelne zugeschnitten sind. Das Spektrum reicht hier vom Ernährungs- oder Bewegungsprogramm bis hin zur medikamentösen Therapie.
DIE GENE HABEN EINFLUSS
Neue Ergebnisse soll auch die junge Forschungsdisziplin der Epigenetik bringen, die sich mit Veränderungen in der Genexpression beschäftigt, die nicht durch Änderungen der DNA-Sequenz selbst verursacht werden. Übergewicht ist zu einem Teil genetisch, zum Teil durch den Lebensstil bedingt. Bekannt ist mittlerweile auch, dass Ernährung die DNA epigenetisch verändern kann und sogar das Ernährungsverhalten der Eltern einen Einfluss auf die DNA der Kinder hat. Forschende der Klinik für pädiatrische Endokrinologie der Charité in Berlin fanden heraus, dass das Risiko für schweres Übergewicht bei Frauen um etwa 44 Prozent steigt, wenn am POMC-Gen, das für das Sättigungsgefühl verantwortlich ist, auffällig viele Methylgruppen haften. Durch diese Methylgruppen wird das "Sättigungsgen" epigenetisch schon früh beim Embryo markiert. Das kann zu einer verminderten Produktion von Sättigungssignalen führen, was wiederum zu übermäßigem Essen und Gewichtszunahme beitragen kann. Das POMC-Gen selbst wird durch die Markierung nicht verändert. „Im Vergleich wirken sich sozioökonomische Faktoren allerdings deutlich stärker aus, sie können das Risiko (für Übergewicht) um das Zwei- bis Dreifache erhöhen. Warum der Effekt der Methylierung nur bei Frauen zum Tragen kommt, wissen wir noch nicht,“ sagt Studienleiter Prof. Dr. Peter Kühnen. Es kann auch sein, dass sich eine solche Markierung zufällig entwickelt. Erste Ergebnisse weisen darauf hin, dass sich das markierte Sättigungsgen künftig medikamentös beeinflussen lässt.
DIGITALE TECHNIK HILFT
Beim Sättigungsgefühl setzt auch die sogenannte "Abnehmspritze" an, ein Antidiabetikum, dass den Blutzucker reguliert, die Entleerung des Magens verlangsamt und das Sättigungsgefühl fördert. Einmal pro Woche injiziert, kann ein Medikament, das den Wirkstoff Semaglutid enthält, das Körpergewicht in etwa eineinhalb Jahren im Schnitt um 10 bis 15 Prozent reduzieren. Zukünftige Behandlungen von Übergewicht könnten außerdem darauf abzielen, das Gleichgewicht der Darmbakterien zu verändern, um den Stoffwechsel zu verbessern und Übergewicht zu reduzieren oder die Wirkungen des "Hungerhormons" Ghrelin und des "Sättigungshormons" Leptin zu beeinflussen. Doch auch Wearables, mobile Computertechnologien, die als Uhr am Handgelenk oder als Schmuck getragen werden, unterstützen im Alltag immer häufiger bei der Behandlung und Prävention von Übergewicht. Smarte Sensoren und Apps sammeln kontinuierlich Daten über Kalorienverbrauch, körperliche Aktivität, Herzfrequenz und Schlafmuster, coachen Betroffene durch personalisierte Empfehlungen und liefern manchmal auch wichtige Informationen für Therapien.