Kleiner Pieks mit großer Wirkung

Zielgerichtete Therapien, digitale Technologien und sogar Impfungen – in der Krebsforschung gibt es einige Ansätze, die langfristig Anlass zur Hoffnung geben.
Illustration: Sascha Düvel
Illustration: Sascha Düvel
Julia Thiem Redaktion

Viel hilft viel, war lange Zeit die Devise in der Krebstherapie. Schwere Geschütze wie Chemo-, Strahlentherapien oder noch besser eine Kombination aus beiden wurden aufgefahren, um auch die aggressivsten Tumorzellen mindestens in Schach zu halten, bestenfalls komplett zu zerstören. Das Problem daran: Wer mit Kanonen auf Spatzen schießt, läuft Gefahr, das eigentliche Ziel zu verfehlen, dafür aber im unmittelbaren Umfeld Schaden anzurichten. Das war auch der Medizin klar, weshalb seit Jahren an gezielten, individuell auf den jeweiligen Tumor und Patienten zugeschnittenen Therapien geforscht wird. Bis dahin war die Kanone für die Spatzen jedoch die einzig empfehlenswerte Alternative und in vielen Fällen auch Überlebenschance – mit all den damit verbundenen Nebenwirkungen.


Mittlerweile aber mehren sich die positiven Meldungen, wonach Forscher immer wieder neue Fortschritte in der Krebstherapie machen. Den Anfang machten vor ein paar Jahren die sogenannten maßgeschneiderten oder auch zielgerichteten Therapien. Hier hat sich die Medizin neue diagnostische Möglichkeiten vor allem in der molekular-genetischen Untersuchung von Tumorgewebe und Blut zu Nutze gemacht, um jene Veränderungen zu finden, die den Tumor charakterisieren, und diese dann gezielt anzugreifen. Vor allem bei Brust-, Darm- und Lungentumoren sind mittlerweile viele solcher Strukturen auf den Krebszellen bekannt, die für Signale zum Wachstum und zur Ausbreitung der Tumorzellen verantwortlich sind. Zielgerichtete Krebstherapien sollen diese Signale und Signalwege blockieren. Das geschieht in der Regel über monoklonale Antikörper, die außerhalb der Zelle die Signale als eine Art Rezeptorblocker stören, oder über sogenannte „Small Molecules“, die in die Tumorzellen eindringen und dort die Signalkette unterbrechen.


Aber auch neue Technologien wie die künstliche Intelligenz werden mittlerweile als Waffen im Kampf gegen den Krebs eingesetzt. Hierauf hat sich das erst im November letzten Jahres gegründete Start-up Labmaite, eine Ausgründung der Universität Freiburg, spezialisiert. Aktuell befindet sich die Idee noch in einer Machbarkeitsphase. Aber vereinfacht ausgedrückt wollen die Gründer biologische Experimente im Labor mit Hilfe ihrer patentierten Lösung perfektionieren. Gegenüber der Badischen Zeitung sagt Jonas Bermeitinger, einer der Gründer: „Je mehr menschlicher Input, je mehr Handanlegen nötig ist, desto größer sind die Abweichungen.“ Deshalb seien selbst in gut ausgestatteten Laboren, die hoch automatisiert arbeiten, biologische Experimente nicht exakt reproduzierbar. Labmaite hat die Vision, dank der KI In-Vitro-Kulturen von Zellen so optimiert mit Nährstoffen und medizinischen Wirkstoffen zu versorgen, dass „dieses Produkt ein Quantensprung in der Entwicklung personalisierter Zelltherapien“ sein wird, ist Bermeitinger überzeugt.


Zielgerichtete Therapien sind aber nur ein Weg, den die Krebsforschung eingeschlagen hat. Ein anderer ist durch die Corona-Pandemie gerade in den Fokus gerückt: Impfungen. Die mRNA-Impfstoffe gegen SARS-CoV2 standen auch deshalb so schnell zur Verfügung, weil die Wissenschaft die Technologie bereits seit Jahren erforscht. Mit dem Ziel, eine Krebstherapie zu entwickeln, sind auch die beiden Biontech-Gründer 2008 angetreten. So viel vorab: mRNA-Impfstoffe stehen als Krebstherapie noch ganz am Anfang und ihre Wirksamkeit muss erst noch in großen klinischen Studien unter Beweis gestellt werden. Dennoch sind Experten wie Tumorimmunologe und Onkologe Niels Halama vom Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) in Heidelberg verhalten optimistisch, was die Technologie angeht. In einem Interview mit dem Deutschen Krebsforschungszentrum in der Helmholtz-Gemeinschaft sagt er: „Es liegen erste Ergebnisse vor, die darauf hindeuten, dass die Impfung gegen Krebs wirksam sein kann. Deshalb sind wir sehr zuversichtlich.“


Diese Zuversicht beruht sicherlich darauf, dass sich Medizinerinnen und Mediziner insgesamt darin einig sind, dass das Immunsystem der wohl wichtigste Verbündete im Kampf gegen Krebs ist. Eigentlich müsste das Immunsystem Tumorzellen auch als „fremd“ erkennen und diese abtöten. Allerdings haben diese Mittel und Wege, das Immunsystem zu überlisten. Manche Tumorzellen schaffen es, dass die Immunzellen gar nicht erst zu ihnen vordringen. Andere müssen sich auf irgendeine Art tarnen, sodass sie nicht angegriffen werden. Und genau bei letzterer Taktik des Tumors verspricht man sich einen Durchbruch dank der Impfung. Mit der mRNA-Technologie werden den Krebspatienten „Protein-Baupläne“ injiziert, mit denen das Immunsystem dann wieder auf scharf geschaltet werden kann. Und hier spielt dann sogar die personalisierte Therapie mit rein: Die Protein-Baupläne können gezielt auf den jeweiligen Tumor zugeschnitten werden. „Die Sequenz der mRNA kann ganz individuell angepasst werden. Technisch ist das vergleichsweise einfach umsetzbar. Das versetzt den Produzenten in die Lage, sehr schnell einen personalisierten Impfstoff herstellen zu können, der auf die biologischen Merkmale eines speziellen Tumors zugeschnitten ist“, erläutert Halama. Als Zeitspanne nennt er wenige Wochen.


Ein Forscherteam der University of Chicago hatte ebenfalls die Idee, sich das Immunsystem für die Krebstherapie zu eigen zu machen und ihm mit Hilfe einer Impfung auf die Sprünge zu helfen. Allerdings setzt man dort auf eine andere Impftechnologie. Den Forschern ist es gelungen, Krebszellen zu entnehmen und außerhalb des Körpers mit Strahlung zu töten. Diese abgetöteten Zellen werden dann mit pharmazeutischen Hilfsstoffen gestärkt und anschließend wie ein klassischer Grippe-Totimpfstoff injiziert. Mit der Immunantwort des Körpers werden dann die restlichen Tumorzellen bekämpft. In einem Podcast der Universität sagt Melody Schwartz, eine der beteiligten Forscherinnen: „Wir versuchen, nicht so sehr mit einem Vorschlaghammer zu schlagen, sondern zu verfeinern und zu verstehen, was zu einer breiteren und langanhaltenden Immunantwort beiträgt. Darauf konzentriert sich der Impfstoff im Gegensatz zu anderen Ansätzen.“


Wer bei diesen Aussichten allzu euphorisch wird: Der von Schwartz und ihren Kollegen entwickelte Ansatz wurde bisher nur an Mäusen getestet. Klinische Studien müssen nun folgen.

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