Effizienter behandeln

Überfüllte Wartezimmer, Personalmangel in Krankenhäusern, lange Wartezeiten – eine bessere Vernetzung von Ärzten und Patienten sowie Diagnosen und Behandlungen über PC oder Smartphone können Abhilfe schaffen.
Illustration: Ivonne Schulze
Illustration: Ivonne Schulze
Andrea Hessler Redaktion

Während der Pandemie gingen viele Menschen mit chronischen oder akuten Krankheiten aus Angst vor einer Covid-19-Infektion nicht zum Arzt. Dringende Vorsorgeuntersuchungen blieben aus. Laut Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) ging die Zahl ambulanter Behandlungsfälle im ersten Halbjahr 2020 um bis zu 23 Prozent zurück, auch der zweite Lockdown ab November 2020 führte zu einem deutlichen Rückgang. Gleichzeitig stieg die Zahl der Beratungen per Telefon und Video. Allein zwischen März und Dezember 2020 sind laut Zi mehr als sechs Millionen telefonische Beratungen abgerechnet worden, das sind fast 2,7 Millionen mehr als im selben Zeitraum des Vorjahres. Hinzu kamen fast 2,5 Millionen Videosprechstunden; im Jahr zuvor waren es nur wenige Tausend.

Corona hat die Entwicklung hin zur Telemedizin befördert. In wenig bevölkerten Ländern wie Australien, Kanada und den USA gehören Beratung und Behandlung per Video schon länger zum Standardprogramm vieler Ärzte. In den USA ist das Unternehmen Amwell der Platzhirsch in der Telemedizin. Es bietet medizinische und psychotherapeutische Videosprechstunden an und hat Google Cloud als Kooperationspartner gewonnen. Amwell will Googles Künstliche Intelligenz (KI) für Datenanalyse und Fernüberwachung nutzen.

Deutschland hinkt noch hinterher, doch auch hier ist die Telemedizin auf dem Vormarsch. Mehr als vier Ärzte pro 1000 Einwohner kümmern sich hier um die Gesundheit der Einwohner. Damit ist die Arztdichte vergleichsweise hoch – im OECD-Durchschnitt liegt sie bei deutlich unter vier. Trotzdem müssen Patienten hierzulande immer noch lange auf bestimmte Untersuchungen warten. Bereits 2018 entschied daher der Deutsche Ärztetag, dass eine ausschließliche Beratung oder Behandlung über Kommunikationsmedien im Einzelfall erlaubt sei. Dies müsse ärztlich vertretbar sein und die ärztliche Sorgfalt müsse gewahrt werden.

Unter den Begriff „Telemedizin“ beziehungsweise „telemedizinische Methoden“ fallen medizinische Leistungen der Gesundheitsversorgung in den Bereichen Diagnostik, Therapie und Rehabilitation sowie ärztliche Entscheidungsberatung über räumliche Entfernungen oder zeitversetzt hinweg. Die Telemedizin ist ein Bereich der eHealth-Methoden, welche die WHO bereits 2005 definiert hat. Danach sollen Informations- und Kommunikationstechnologien eingesetzt werden, um die allgemeine Gesundheit und gesundheitsbezogene Bereiche wie Gesundheitssysteme, Berichterstattung zum Thema Gesundheit, deren Förderung sowie die Forschung und das Allgemeinwissen über Gesundheit verbessert werden.

Inzwischen werden telemedizinische Methoden auch in Deutschland in nahezu allen Fachgebieten eingesetzt. Dazu zählen nicht nur die klassische Beratung und Diagnosestellung von Haus- und Fachärzten, sondern auch sogenannte Heilmitteltherapien wie Sprech- und Sprachtherapie, Ergotherapie, Ernährungstherapie und Physiotherapie. Sogar Hebammen können Geburtsvorbereitungs- und Rückbildungskurse als Online-Kurs anbieten. Ärztinnen und Ärzte ebenso wie Patientinnen und Patienten können sich über Projekte und Möglichkeiten auf dem Portal www.informationsportal.vesta-gematik.de informieren.

Die Heilberufe nehmen die technischen Angebote der verschiedenen Provider gerne an. Die Nachfrage nach einem elektronischen Heilberufsausweis (eHBA) ist in den vergangenen Monaten laut Bundesärztekammer gestie-gen. Rund 130.000 Ärztinnen und Ärzte, vor allem im ambulanten Bereich, berechtigt dieser Ausweis zur Ausstellung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) sowie zur Implementierung der elektronischen Patientenakte (ePA) und des eRezepts, das ab Januar 2022 für alle Verordnungen von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln verpflichtend wird.

„Telemedizin hat sich als geeignetes Instrument erwiesen, um die Präsenzmedizin zu unterstützen“, sagt Dr. Michael Schwarzenau, Aufsichtsratsvorsitzender des ZTG (Zentrum für Telematik und Telemedizin) und Hauptgeschäftsführer der Ärztekammer Westfalen-Lippe. Ein Beispiel für den Einsatz von Telemedizin ist das Virtuelle Krankenhaus Nordrhein-Westfalen (VKh.NRW). In den Unikliniken Münster und Aachen stellen Spezialistinnen und Spezialisten für Intensivmedizin und der Infektiologie Ärztinnen und Ärzten in anderen Krankenhäusern ihre Expertise mittels Videoberatung zur Verfügung.

Ein weiterer wichtiger Einsatzbereich von Telemedizin ist das Telemonitoring. „Die permanente digitale Überwachung von Gesundheitswerten kann im Ernstfall Leben retten“, ist ZTG-Geschäftsführer Rainer Beckers überzeugt. Er bedauert, dass Telemonitoring in Deutschland immer noch nicht etabliert ist. Effizient durchführen lassen sich Maßnahmen wie das Telemonitoring aber nur dann, wenn alle Protagonisten des Gesundheitssystems vernetzt sind und jeder Behandler Zugriff auf Patientendaten hat. Bereits 2003 hat daher der Bundestag die Partner der gesundheitlichen Selbstverwaltung wie Krankenhäuser, Ärztekammern und Apothekerschaft beauftragt, eine vernetzte Plattform für die sichere Kommunikation und den Austausch sensibler Daten im Gesundheitswesen aufzubauen, die sogenannte Telematikinfrastruktur. Ab 2011 wurde die elektronische Gesundheitskarte eingeführt. Seit 2015 ist sie für gesetzlich Versicherte der ausschließliche Berechtigungsnachweis für Arztleistungen.


Damit ist jedoch noch kein Austausch zwischen den einzelnen Behandlern und den Versicherten gesichert. Diesen soll die elektronische Patientenakte (ePA) bringen, die Krankenkassen seit Beginn des Jahres 2021 allen Versicherten auf Wunsch zur Verfügung stellen. Der Datenschutz ist gewährleistet, der Zugriff auf die ePA, etwa durch die Krankenkasse, ist ohne Autorisierung durch den Versicherten nicht möglich. Allerdings kritisiert der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv), dass die volle Nutzung der ePA nur mittels Apps, Smartphones und Tablets möglich ist. Viele Menschen dürfte dies überfordern. Doch auch für diesen Fall ist gesorgt: Ab 2022 können Versicherte eine Vertreterin oder einen Vertreter benennen, der die ePA für sie verwaltet.

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