Gute Lebensqualität

Dr. Alexandre Serra leitet die Sektion Kinderchirurgie der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie des Universitätsklinikums Ulm und arbeitet hier auch für das Zentrum für seltene Erkrankungen (ZSE Ulm).
Dr. Alexandre Serra – Leiter der Sektion Kinderchirurgie der chirurgischen Klinik am Universitätsklinikum Ulm
Dr. Alexandre Serra – Leiter der Sektion Kinderchirurgie der chirurgischen Klinik am Universitätsklinikum Ulm
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Seltene Krankheiten umfassen auch angeborene Fehlbildungen. Können Sie hierfür Beispiele geben?

Im Prinzip kann es überall zu Fehlbildungen kommen. Was mein Team und ich vor allem behandeln, sind zum Beispiel Fehlbildungen des Verdauungstraktes, der Bauchwand und des Thorax – etwa eine nicht durchgängig angelegte Speiseröhre oder ein nicht vorhandener After. Solche Verschlüsse nennt man Atresien, und sie können alle Teile des Darmes betreffen. Daneben gibt es auch Fehlbildungen des Harntraktes, der Genitalien, der Extremitäten, des Halses u.a., zum Beispiel ein nicht richtig angelegter Harnleiter. Solche Fehlbildungen werden heutzutage oft schon vor der Geburt festgestellt, meist bei den regelmäßigen Ultraschalluntersuchungen während der Schwangerschaft. Auch eine Kernspintomographie des Kindes im Mutterleib kommt häufig zum Einsatz. Damit sind wir bei der Geburt schon vorbereitet und diese Fehlbildungen können fast immer mit gutem Ergebnis operativ korrigiert werden. Außer in lebensbedrohlichen Fällen operieren wir aber nicht sofort nach der Geburt, sondern lassen dem Neugeborenen ein paar Tage Zeit, sich an das extrauterine Leben zu adaptieren. In Hinsicht auf die Langzeitergebnisse zeigen mehrere Doktorarbeiten aus meiner Klinik, dass die Betroffenen in der Regel eine ganz normale Lebensqualität erfahren.

 

Sie befassen sich auch mit Varianten der Geschlechtsentwicklung, das Fachwort lautet DSD (differences of sex development).

In diesen selten auftretenden Fällen ist das Geschlecht bei Geburt nicht eindeutig ausgeprägt. Zum Beispiel können männliche externe Genitale zusammen mit weiblichen Organen auftreten, die Genitale sind nicht „eindeutig“, oder das Neugeborene weist weibliche wie männliche Zelllinien auf. Es ist heutzutage nicht zulässig, nach der Geburt operativ ein Geschlecht „festzulegen“. Das entscheiden die Betroffenen selbst, sobald sie dazu in der Lage sind. Am ZSE Ulm begleitet sie dabei über die Jahre hinweg ein interdisziplinäres Team unter anderem aus Chirurgen, Endokrinologen, Humangenetikern und Psychologen.

 

Das ZSE Ulm arbeitet eng mit Patienten- und Betroffenenvereinen zusammen. Wie sieht diese Zusammenarbeit aus?

Die Zusammenarbeit mit diesen Vereinen ist ein essentieller Teil unserer Arbeit. Es gibt für praktisch jede seltene Erkrankung eine Gruppe. Mit der Diagnose stellen wir für die Familien Kontakt zu ihnen her, häufig schon vor der Geburt. Sie informieren, unterstützen und geben praktische Ratschläge, die auch nichtmedizinische Fragen betreffen. In regelmäßigen Treffen zwischen Ärzten, Eltern und den Vereinen werden neue Behandlungsmethoden vorgestellt und der Stand der Forschung diskutiert. Gemeinsam haben wir auch Leitfäden für die langfristige Kontrolle und Begleitung der betroffenen Patienten entwickelt.

 

Das ZSE Ulm veranstaltet jährlich den Tag der seltenen Erkrankungen, zuletzt am 27.02.2021. An wen wendet sich die Veranstaltung?

In verschiedenen Vorträgen informieren wir an diesem Tag Patienten, Eltern, aber auch Kollegen über seltene Erkrankungen und deren Behandlungsmöglichkeiten. Das ist auch eine Möglichkeit des Erstkontakts zwischen dem ZSE und Patienten, deren Behandlung außerhalb begonnen hat und deren Behandlung wir durch eine weitere Begleitung optimieren können. Wir stellen die Arbeit des ZSE Ulm vor und wollen zugleich möglichst viele Betroffene erreichen. Auch Betroffenenvereine sind als Ansprechpartner vor Ort. Die Ergebnisse der Tagung finden sich auf unserer Website.

 

www.uniklinik-ulm.de/zentrum-fuer-seltene-
erkrankungen.html

 

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