Die Diagnose

Unsere Autorin leidet unter thrombotisch-thrombozytopenischer Purpura (TTP) – als eine von etwa 400 Menschen in Deutschland. Sie hatte Glück im Unglück.
Adella Karayusuf
Adella Karayusuf
Adella Karayusuf Redaktion

Immer diese Angst. Da wachte ich morgens vor ein paar Wochen auf und hatte viele blaue Flecken und Streifen auf den Beinen; über Nacht entstanden und nicht schmerzhaft.

 

Sofort rief ich meinen Arzt an, schickte ihm Fotos und beschrieb die Symptome. Auch er war in Sorge. Er wollte mich umgehend sehen. Auf seiner Liege schob ich die Hose hoch und zeigte ihm das sich auf meinen Beinen abgebildete Drama. Er bückte sich, guckte, rieb und fühlte, setzte seine Brille auf, setzte sie ab, holte eine Lupe. Dann drehte er sich mit konzentriertem Blick um, nahm ein Tuch, sprühte etwas drauf und fing sorgfältig an, die Flecken wegzuwischen.

 

„Ein Hinweis auf akutes Tennissockenfarbstreifenabdrucksyndrom der Unterschenkel ist nicht mehr nachweisbar.“ Ich brauche bei dieser Witzdiagnose wohl nicht genauer zu beschreiben, wie laut unser erleichtertes Gelächter war. In keinem Augenblick der letzten anderthalb Jahre habe ich mich befreiter gefühlt! Die Angst vor einem erneuten Schub meiner Krankheit, der thrombotisch-thrombozytopenischen Purpura (TTP), die an diesem Morgen wohl ihren Höhepunkt erreicht hatte, war mit einem Mal weg. Vorerst.

 

Gerne hätte ich mich auch damals, bei meiner Diagnose, so blamiert. Um die 400 Menschen in Deutschland haben TTP. Eine seltene Krankheit unter den Seltenen. Unbehandelt ist sie zu 90 Prozent tödlich, selbst behandelt sterben noch 20 Prozent innerhalb von Tagen. Es ist eine unheilbare, in Schüben kommende Krankheit, die mit der Blutgerinnung zu tun hat und zu multiplen Thromben mit oft bleibenden Schäden an Hirn, Herz und Niere und zu Anämie führt. Man weiß meist nicht, was sie auslöst und ob sie überhaupt wiederkommt; heilen kann man sie nicht, aber man weiß, wie sie zu therapieren ist. Man kennt Auswirkung und Symptome.

 

Blaue Flecken waren bei mir schon immer ein Problem. Deshalb hatte ich auch vor anderthalb Jahren eine Ausrede parat, als sie über Nacht und im Übermaß auftraten. „Das muss beim Aussteigen aus dem Auto passiert sein, beim Spielen mit den Nichten.“ Die Erschöpfung kam vom Wetterwechsel, die Rückenschmerzen vom Tragen der Koffer nach dem Urlaub zwei Tage zuvor. Ich war glücklich und entspannt. Wer hätte ahnen können, dass ich kurz davor war zu sterben?

 

Ich hatte Glück, mehrmals. Erstens hatte sich zu meinem Entsetzen beim Tragen einer Kiste eine nussgroße blutgefüllte Beule auf meiner Hand gebildet. Zweitens schickte mich mein Hausarzt sofort in die Charité. Drittens erkannten die Ärzte dort in kürzester Zeit durch Ausschlussdiagnostik die Krankheitskategorie und leiteten lebensrettende Maßnahmen ein. Mit Erhalt des Laborbefundes eines bestimmten Enzyms eine Woche danach, konnte die TTP-spezifische Therapie beginnen. Acht Wochen später konnte ich mit Glück sagen: Ich habe – ohne gravierende Organschäden – überlebt.

 

Aber ist Glück das richtige Wort? Es ist nicht leicht, mit der ständigen Angst vor einem neuen Schub zu leben. Den Ärzten, Pflegern und sozialen Medien, der Apotheke und Krankenversicherung und letztendlich der Liebe und Unterstützung meiner Familie und Freunde ist es zu verdanken, dass ich Ihnen heute trotzdem munter schreiben kann. Die Ahnung, dass man durch Forschung in Medizin und Pharmakologie immer mehr über die TTP erfährt, gibt mir Zuversicht und Hoffnung für ein langes Leben. Das ist mehr als Glück. Das ist die Liebe der Menschen zum Nächsten und zur Wissenschaft, die eben Wissen schafft. ■

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