»Im Ernstfall schnell reagieren«

 Die Maligne Hyperthermie ist eine gefürchtete Narkosekomplikation. Rasches Erkennen und zielgerichtete Therapie sind lebensrettend. 

Prof. Dr. med. Werner Klingler  Direktor der deutschen Maligne Hyperthermie Hotline am SRH Klinikum Sigmaringen
Prof. Dr. med. Werner Klingler Direktor der deutschen Maligne Hyperthermie Hotline am SRH Klinikum Sigmaringen
Norgine Beitrag

Herr Prof. Klingler, worum handelt es sich bei der Malignen Hyperthermie?

Die Maligne Hyperthermie, abgekürzt MH, ist eine seltene Stoffwechselstörung, die durch bestimmte Medikamente ausgelöst wird, die vor allem bei Narkosen und vermehrt auch im Bereich der Intensivmedizin zum Einsatz kommen – sogenannte volatile Anästhetika und Succinylcholin. Die Anlage zur MH ist erblich bedingt, man geht mittlerweile von einer genetischen Häufigkeit von 1:3000 aus – das tatsächliche klinische Auftreten ist aber unbekannt, da milde Verlaufsformen einer MH-Krise häufig nur unspezifische Symptome aufweisen und unerkannt bleiben können.
 

Wie äußert sich das genau?

Es kommt zu einem Überschießen des Kalziumstoffwechsels in verschiedenen Organsystemen im Körper – am stärksten ist das Skelettmuskelgewebe betroffen, denn unser Körper besteht zu 30 bis 40 Prozent aus Muskulatur. Das kann zu Muskelsteifigkeit, einer Unterversorgung mit Sauerstoff, und der namengebenden stark erhöhten Körpertemperatur führen. Im weiteren Verlauf kann es zum Zerfall von Muskelgewebe sowie zum Nieren- oder Herzversagen kommen. Es handelt sich um eine Stoffwechselentgleisung, die unbehandelt in 70 bis 80 Prozent der Fälle tödlich endet.
 

Was passiert im Ernstfall?

Dazu muss man sagen, dass das Erkennen einer MH-Krise oft nicht einfach ist, denn sowohl der Zeitverlauf als auch die Symptomatik sind sehr variabel. Man arbeitet deshalb mit einem Punktesystem, bei dem einzelnen klinischen Parametern Punkte zugeordnet werden, die ab einem bestimmten Wert für eine MH-Krise sprechen. Zum Glück gibt es seit Langem ein wirksames Gegenmittel. Das muss dann rasch verabreicht werden und auch immer im Notfallschrank vorrätig sein. Es ist deshalb lebenswichtig, dass das ärztliche und pflegerische medizinische Personal gut geschult ist, die Symptome einzuordnen weiß und schnell reagieren kann. Wir betreiben hier in Sigmaringen die deutsche Maligne Hyperthermie Hotline. Sie wendet sich vor allem an Fachpersonal, wird aber auch von Betroffenen genutzt.
 

Was muss ich tun, wenn ich eine MH-Krise durchstanden habe?

Da die Symptome eben auch andere Ursachen haben können – eine Infektion zum Beispiel – kann letztlich nur eine genetische Untersuchung mittels einer Blutprobe oder, wenn sich hier kein Befund ergibt, eine Untersuchung von Muskelgewebe das Vorliegen sicher nachweisen. Da es sich um eine erbliche Anlage handelt, sollten Blutsverwandte vom Ergebnis in Kenntnis gesetzt werden.
 

Wie lebe ich mit der Diagnose?

Die Anlage zur MH an sich ist ja keine Krankheit – die Lebenserwartung sinkt dadurch nicht. Gefährlich wird es erst im Ernstfall. Zunächst geht es natürlich darum, im Vorfeld einer geplanten Operation die Klinik zu informieren. Dann können Narkoseverfahren gewählt werden, bei welchen Triggersubstanzen nicht zum Einsatz kommen. Auch für einen Notfall will vorgesorgt sein. So kann ein spezieller Notfallausweis ausgestellt werden, es gibt Handy-Apps für den Notfall, in Apotheken gibt es Anhänger oder Armbänder, auf denen die Diagnose verzeichnet werden kann. Letzteres funktioniert allerdings bei Kindern nicht immer problemlos – deshalb sollte gerade bei ihnen das Umfeld, wie etwa die Schule, die Kita oder der Sportverein informiert sein, falls von dort aus einmal ein Notarztwagen gerufen werden muss.
 

INFORMATIONSBROSCHÜRE MALIGNE HYPERTHERMIE

Die Hotline ist für Fachpersonal und Betroffene rund um die Uhr unter 07571-100-2828 zu erreichen.

https://www.norgine.de

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