Geteilte Teller

Immer mehr Menschen haben den Wunsch, sich gesund zu ernähren. Doch zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft eine große Lücke.
Illustrationen: Maria Corbi Illustration
Julia Thiem Redaktion

Unausgewogen, schlecht oder zu viel – eine aktuelle, im Fachmagazin Lancet veröffentlichte Analyse zum Ernährungsverhalten legt nahe, dass der Teil der Weltbevölkerung, der nicht unter Hunger leidet, offensichtlich das Falsche isst. Laut Studie geht mittlerweile jeder fünfte Todesfall weltweit auf das Konto einer falschen Ernährung. „Die Studie bestätigt, was wir lange vermutet haben: Schlechte Ernährung fordert weltweit mehr Tote als jeder andere Risikofaktor“, unterstreicht Christopher Murray vom Institute of Health Metrics and Evaluation der Universität Washington die Ergebnisse. Er ist einer der federführenden Autoren, die dafür zwischen 1990 und 2017 Daten aus 195 Ländern ausgewertet haben. Den größten Tribut fordern demnach Herzkreislaufleiden: Zehn der etwa elf Millionen ernährungsbedingten Todesfälle gehen auf einen Infarkt oder Schlaganfall zurück. Die Vereinten Nationen schätzen sogar, dass fast eine Milliarde Menschen weltweit unterernährt ist, während zwei Milliarden Menschen deutlich mehr Kalorien zu sich nehmen als sie benötigen.


Und auch Deutschland is(s)t geteilt, wie die Nestlé Ernährungsstudie 2019 offenbart. Essen ist demnach eine Geschlechterfrage: Für 48 Prozent der Frauen gehören Obst und Gemüse zur Ernährung dazu. Dem würde hingegen nur jeder vierte Mann zustimmen. Männer sind eben eher Fleischesser. 57 Prozent genießen mindestens viermal pro Woche Mahlzeiten mit Fleisch. Bei den Frauen sind das nur 30 Prozent. Aber auch das Alter spielt für das Ernährungsverhalten eine Rolle. Die Generation Z – Jugendliche, die heute zwischen 14 und 19 Jahre alt sind – essen wesentlich spontaner. 51 Prozent haben keine festen Essenszeiten mehr.


Insgesamt möchte in Deutschland sowieso niemand mehr einfach nur essen, um satt zu werden. Vielmehr gilt es, übergeordnete Ziele zu erreichen. 60 Prozent wollen fit, 57 Prozent gesund werden oder bleiben. 51 Prozent möchten mit dem, was sie essen und trinken, ihr Wohlbefinden steigern. 35 Prozent wollen sich selbst optimieren und 24 Prozent etwas für ihr Aussehen tun. Doch obwohl die Menschen bei der Gestaltung ihrer Ernährung ein genaues Ziel vor Augen haben, ist der Frust dennoch groß. Denn 85 Prozent sind mit dem eigenen Ernährungsverhalten nicht rundum zufrieden. Größtes Problem sind abendliche Heißhungerattacken (33 Prozent), gefolgt vom Wissen, zu wenig Obst und Gemüse zu essen (31 Prozent). 28 Prozent sind der Meinung, ihre Ernährung sei zu fettig, 25 Prozent beklagen zu wenig Zeit.


Der Wunsch, „sich gesund zu ernähren“, ist in den letzten zehn Jahren von 52 auf 55 Prozent gestiegen. Und für immer mehr Menschen lautet eine Antwort: frisch zubereitetes Essen. Ihr Anteil ist innerhalb von zehn Jahren um 13 Prozent gestiegen. Doch statt in Ruhe zu Hause zu kochen, ernähren sich die Menschen heute spontaner, impuls- und gelegenheitsgetriebener. Jeder Dritte sagt, dass er isst, wenn er gerade Zeit oder Hunger hat. Man entscheidet auch gerne spontan, was gegessen wird. Und nur noch etwa die Hälfte kocht noch täglich. 2009 waren es noch 62 Prozent. Zwischen Ansprüchen und Wirklichkeit klafft also eine immer größere Lücke. ■

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