Zentralorgan des Lebens

Schon die alten Griechen hielten das Herz für unser wichtigstes Organ – wenn auch zuständig für Empfindung und Wahrnehmung und nicht als lebensspendendes, unermüdlich arbeitendes Pumpwerk. Ein gesundes Herz, ein gesunder Kreislauf sind Grundlage für unsere Lebensqualität. Und doch sind die Folgen von Herz-Kreislauf-Erkrankungen die häufigste Todesursache. Die moderne Medizin hält dagegen – mit immer neuen Methoden zu Diagnose und Therapie.

Illustration: Lara Paulussen
Illustration: Lara Paulussen
Jost Burger Redaktion

„Das Herz der Lebewesen ist der Grundstock ihres Lebens“ – so begann 1628 William Harvey die Einleitung zu seiner Schrift „Die Bewegung des Herzens und des Blutes“. Dem englischen Arzt verdanken wir mit seinem Werk eine medizinische Erkenntniswende, denn Harvey gilt als der erste Mediziner, der die Funktion des Herzens und des Kreislaufes korrekt beschrieb. Seit der Antike hatte man geglaubt, das Blut werde in der Leber produziert, durch Kontraktion der Arterien durch den Körper gepumpt und dort verbraucht.

»Bis ins 17. Jahrhundert glaubte man, das Blut werde in der Leber produziert.«

Tatsächlich besteht unser Herz eigentlich aus zwei hintereinander geschalteten Muskelpumpen. Das kleinere Rechtsherz pumpt sauerstoffarmes Blut in die Lunge, man spricht vom Lungenkreislauf. In der Lunge wird das Blut mit Sauerstoff angereichert und gelangt in die größere linke Herzkammer, die das sauerstoffreiche Blut über die Arterien des Körperkreislaufes in den Körper pumpt. Von dort gelangt das Blut über die Venen wieder ins rechte Herz – der Kreislauf schließt sich. Zwischen 60 und 90 Mal schlägt das Herz pro Minute, ein 80-jähriges Herz hat also zwischen 2,5 und 3,8 Milliarden Schläge geleistet. Natürlich versorgt sich das Herz auch selbst mit Blut, über die sogenannten Herzkranzgefäße.

Häufigste Todesursache in Deutschland


Seit dem 17. Jahrhundert hat die Medizin atemberaubende Fortschritte gemacht. Und eines der großen Felder war und ist die Erforschung des Herz-Kreislauf-Systems, die Diagnose und Therapie möglicher Erkrankungen und natürlich deren Vorbeugung. Dennoch sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen (HKE) nach wie vor die häufigste Todesursache in Deutschland. Laut statistischem Bundesamt führten sie 2020 zu rund 338.000 Todesfällen. Und sie sind ein erheblicher Kostenfaktor. Die jüngsten Zahlen stammen von 2015 – in jenem Jahr wurden für die Behandlung von Herz-Kreislauf-Krankheiten über 46 Milliarden Euro ausgegeben, bei Gesamtkosten im Gesundheitssektor von rund 350 Milliarden Euro. Damit verursachen HKE die höchsten Kosten im Gesundheitswesen. Dabei wären viele vermeidbar: „Mehr als 90 Prozent der Ausgaben bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen fließen in die Behandlung bereits aufgetretener Erkrankungen“, sagt Professor Heyo Kroemer, Vorstandsvorsitzender der Berliner Charité. „Durch frühgreifende Präventionsmaßnahmen könnte hier die Zahl der Patienten deutlich gesenkt und Kosten in erheblichem Umfang eingespart werden.“

Am häufigsten haben es Ärzt:innen bei ihren Herzpatienten mit den Folgen der koronaren Herzkrankheit (KHK) zu tun. Dabei verengen sich die Arterien, die das Herz mit Blut versorgen, durch Arteriosklerose, also Ablagerungen in den Blutgefäßen – der Herzmuskel wird nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt. Die KHK ist eine chronische Krankheit, die unbehandelt zu einer immer stärker voranschreitenden Schwächung des Herzens führt, einer Herzinsuffizienz, und schließlich einen – oft tödlichen – Herzinfarkt verursachen kann. Eine Herzinsuffizienz führt zu einer oft beträchtlichen Schwächung der körperlichen und geistigen Leistung, nicht selten kommt es auch zu Wassereinlagerungen in Lunge oder Beinen. Ablagerungen, nicht nur in den Herzarterien, können sich auch ablösen, ins Gehirn wandern und dort Arterien verstopfen – eine Ursache des Schlaganfalls, bei dem oft unwiederbringlich Hirnareale durch fehlenden Sauerstoff untergehen.

Arteriosklerosen sind auch die Ursache der sogenannten peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK), im Volksmund auch als „Schaufensterkrankheit“ bekannt. Dabei kommt es durch Ablagerungen zu Verengungen und Verschlüssen in den Arterien der Beine. Im fortgeschrittenen Stadium verursachen die Verengungen durch den Sauerstoffmangel im Gewebe vor allem bei Belastung Schmerzen in den Beinen, die durch eine Pause und ein vermeintliches Betrachten etwa einer Schaufensterauslage gemildert werden können.

Risikofaktoren Diabetes und Bluthochdruck


Die Ursachen der Arteriosklerose sind vielfältig. Unbestritten ist ein Zusammenhang mit Rauchen, Übergewicht, zu hohem Alkoholkonsum, ungesunder Ernährung und zu wenig Bewegung. Diabetiker haben ebenfalls ein erhöhtes Risiko, eine Arteriosklerose zu entwickeln. Herz-Kreislauf-Erkrankungen stellen die häufigste Todesursache von Diabetikern dar, denn unter anderem spielen auch erhöhte Zuckerwerte eine Rolle bei der Bildung von Ablagerungen, den sogenannten Plaques, in den Gefäßen. Hinzu kommt, dass viele Diabetiker weitere Risikofaktoren wie Übergewicht oder Bluthochdruck aufweisen. Umso wichtiger ist bei Diabetikern das frühzeitige Erkennen und Behandeln von Gefäßverengungen.

Stichwort Bluthochdruck: Auch er führt zu einem erhöhten Arteriosklerose-Risiko. Ein erhöhter Druck belastet nicht nur Herz und Gefäße mechanisch, er kann auf Dauer auch zu winzigen Verletzungen der Gefäßinnenwände führen. Dort können sich dann Fette, Zucker, Blutplättchen und andere im Blut enthaltene Stoffe ablagern und zu einer Verengung führen. Bluthochdruck ist aber auch eine der bedeutendsten Ursachen für Vorhofflimmern, die häufigste Herzrhythmusstörung. Vereinfacht gesagt, schlagen dabei die Vorhöfe des Herzens oft anfallsartig, unregelmäßig. Die größte Gefahr besteht hierbei, dass sich Blutgerinnsel bilden, sogenannte Thromben, die dann Arterien verstopfen – zum Beispiel im Gehirn. So geht man davon aus, dass etwa 20 Prozent aller Schlaganfälle im Zusammenhang mit einem Vorhofflimmern stehen. Das Robert Koch-Institut stellte in einer groß angelegten Studie zur Gesundheit der Deutschen fest, dass fast ein Drittel der Erwachsenen einen zu hohen Blutdruck aufweist, bei älteren Menschen steigen die Zahlen deutlich.
 

Illustration: Lara Paulussen
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Kaputte Klappen und Kinder mit Herzfehlern


Weit verbreitet sind auch Erkrankungen der Herzklappen. Laut der deutschen Herzgesellschaft leiden rund 13 Prozent der über 75-Jährigen in Deutschland an einer Herzklappenerkrankung. Herzklappen sind, vereinfacht gesagt, Ventilklappen zur Regelung des Blutflusses im Herzen. Sie können verengt oder undicht sein. Als Folge kann unter anderem eine Herzinsuffizienz auftreten. Herzklappenerkrankungen können im Lauf des Lebens zum Beispiel durch mechanische Abnutzung entstehen, aber auch angeboren sein.
 
Angesichts der Vielzahl erworbener Herz-Kreislauf-Erkrankungen wird eine Patientengruppe oft übersehen: die der Kinder mit angeborenen Herzfehlern. Dabei treten sie bei rund einem Prozent der Lebendgeborenen weltweit auf und sind damit auch in Deutschland die häufigste organische Fehlbildung bei Neugeborenen – das sind jedes Jahr rund 5.600 Fälle. Oft müssen sie unmittelbar nach der Geburt oder in den ersten Lebensjahren behandelt werden. Ein Beispiel ist die Transposition der großen Arterien (TGA). Hierbei sind die großen Herzarterien „falsch herum“ angeschlossen – Lungen- und Herzkreislauf laufen getrennt voneinander, das Neugeborene wird nicht mit Sauerstoff versorgt. Zur Rettung werden die Arterien operativ durchtrennt und umgesetzt. Da die Behandlungsmethoden und damit auch die Überlebenschancen zumindest hierzulande immer besser werden, gibt es tendenziell auch immer mehr Erwachsene, die mit den Folgen einer angeborenen Herzerkrankung leben.

Moderne Diagnosemittel


Der modernen Medizin steht eine breite Palette an Diagnosemöglichkeiten von Herz-Kreislauf-Erkrankungen zur Verfügung. Ein Elektrokardiogramm (EKG) etwa zeichnet die Herzströme auf, aus ihrem Verlauf können Erkrankungen des Herzmuskels ersehen werden. Oft wird dabei ein Langzeit-EKG geschrieben, denn viele Herzereignisse treten nicht dauerhaft auf, wie etwa das Vorhofflimmern. Mittlerweile gibt es Aufzeichnungsgeräte, die ihre Werte per Funk direkt an die behandelnden Ärzt:innen senden. Hohe Bedeutung kommt dem regelmäßigen Blutdruckmessen zu. Bei Katheteruntersuchungen wiederum wird unter Röntgenkontrolle ein Katheter durch eine Vene ins Herz geschoben. Dort kann zum Beispiel der Druck in den Herzkammern und den Herzkranzgefäßen untersucht werden. Außerdem kann über den Katheter ein Kontrastmittel ins Herz gebracht werden, das die Herz- und Gefäßstrukturen auf dem Röntgenschirm sichtbar macht. Weitere bildgebende Verfahren sind das Herz-CT, ein spezielles Röntgenverfahren, und Aufnahmen mittels Magnetresonanztomografie (MRT). Auch Ultraschalluntersuchungen gehören zur Standarddiagnostik. Ein weiteres Beispiel für die Diagnostik sind Untersuchungen bestimmter Blutwerte, die auf Herzerkrankungen hinweisen können.

Fortschritt in der Behandlung


Neben medikamentöser Behandlung, wie etwa mit Blutdrucksenkern und Gerinnungshemmern, sorgt die moderne Medizintechnik für innovative Behandlungsmethoden. Verengte Arterien etwa können durch eine Art Ballon aufgebläht werden, häufig werden Stents eingesetzt, röhrenförmige Stützen, die das Gefäß offenhalten. Mittels eines Bypasses durch ein anderweitig entnommenes Gefäß werden verschlossene Stellen umgangen. Defekte Herzklappen können durch künstliche Herzklappen ersetzt werden. Implantierte Herzschrittmacher sorgen dafür, dass der Herzrhythmus gleichmäßig bleibt. Sogenannte Ablationen, also das Veröden fehlerhafter Leitungsbahnen und Erregungsherden im Herzen, per Katheter, tragen ebenfalls zur Stabilisierung des Rhythmus bei. Katheterbehandlungen kommen mittlerweile für immer mehr Eingriffe am Herzen zum Einsatz, etwa beim Einsetzen einer künstlichen Herzklappe. Nicht nur für ältere Patienten bedeutet dies einen wesentlich schonenderen Eingriff.  

Vorbeugung zählt


Eines ist klar: Viele Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind vermeidbar. Allen voran zählt hier ein Lebensstil, der Risiken vermeidet: Tabakverzicht, mäßiger Alkoholkonsum, ausreichend Bewegung, die Reduzierung von Übergewicht. Auch die Vermeidung von Stress beziehungsweise der förderliche Umgang mit beruflichen und persönlichen Belastungssituationen sind gut für Herz und Kreislauf. Bekannt sind diese Faktoren, doch einzig der Appell ans Gewissen reicht nicht: „Der Ratschlag ‚Äpfel essen, nicht rauchen, kein Alkohol‘ funktioniert offensichtlich nicht ausreichend“, um noch einmal Charité-Professor Kroemer zu zitieren. Und immer noch sei oft unklar, warum etwa manche Raucher ohne größere Herzprobleme alt werden. Kroemer fordert deshalb größere Anstrengungen, die individuellen Entstehungsgründe für eine Herz-Kreislauf-Erkrankung zu erforschen und auf dieser Grundlage Präventionsmaßnahmen zielgerichteter verbreiten zu können. Angesichts einer alternden Bevölkerung und des wachsenden Mangels bei Pflege- und Behandlungspersonal der richtige Kurs, um möglichst vielen Menschen ein gesundes Herz, den „Grundstock des Lebens“, zu erhalten.

 

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