Gentests und Fortschritte in der Genomik, der Wissenschaft, die sich dem gesamten Erbgut eines Organismus, dem Genom, beschäftigt, gelten als Hoffnungsträger bei der Diagnose und der Behandlung Seltener Erkrankungen. Immerhin haben bis zu 80 Prozent von ihnen eine genetische Ursache. Seltene Erkrankungen, das sind zum Beispiel die Nervenerkrankung Chorea Huntington, Mukoviszidose sowie etwa 200 seltene Krebsformen. Am Genom wird untersucht, wie Gene und ihre Wechselwirkungen körperliche Merkmale eines Menschen oder auch das Entstehen von Erkrankungen beeinflussen. Als sicher gilt, dass oft kleinste Veränderungen im Erbgut am Entstehen der sogenannten "Rare Diseases" beteiligt sind. Und „selten“ ist eine Erkrankung erst dann, wenn von 10.000 Menschen maximal fünf daran leiden. In der Datenbank "Orphanet" sind zurzeit etwa 6500 verschiedene Seltene Erkrankungen dokumentiert, Schätzungen gehen von bis zu 8000 aus. Allein in Deutschland leiden mehrere Millionen Menschen an einer Rare Disease. Die Betroffenen haben oft eine Odyssee mit unzähligen Arztbesuchen oder Therapien hinter sich, bevor sie endlich ihre Diagnose erhalten. Genau das könnten die Fortschritte in der Genomik ändern.
INDIVIDUELLE ANALYSE
Zentren für Seltene Erkrankungen führen bei einem entsprechenden Krankheitsverdacht Genomsequenzierungen durch, also Analysen des individuellen Erbguts einer Person, die helfen, problematische Veränderungen zu erkennen und daraus Diagnosen und Therapien abzuleiten. Allerdings gibt es innerhalb eines Genoms immer auch eine große Menge harmloser Veränderungen. Die Bedeutung einer Mutation, eines Sprungs im Erbgut, ist so oft schwer einzuschätzen und es besteht außerdem das Risiko, Details zu übersehen. Die Suche nach einer krankheitsfördernden Mutation ist vergleichbar mit der nach der berühmten Stecknadel im Heuhaufen. Eine Genomsequenzierung ist aufwändig und selbst wenn die Kosten zunehmend sinken, noch relativ teuer.
Ein bundesweites Modellvorhaben, an dem mehrere klinische Zentren beteiligt sind, ermöglicht deshalb seit 2024 eine Diagnostik und Therapiefindung mittels Genomsequenzierung im Rahmen der nationalen Strategie für Genommedizin. Für Betroffene mit Verdacht auf eine Seltene Erkrankung ist dies ein gewaltiger Fortschritt. Ärztin oder Arzt überweisen Betroffene an spezialisierte Zentren. Die Krankenkasse übernimmt die Kosten, wenn bisherige Diagnosen zu keinem eindeutigen Ergebnis geführt haben oder die Therapiemöglichkeiten bereits ausgeschöpft sind.
KONZENTRATION AUFS EXOM
Erfolgreich ist außerdem die Methode, auf der Suche nach genetischen Krankheitsursachen vor allem das Exom zu analysieren, also die DNA, die den Bauplan für Proteine enthält – ein deutlich kleinerer Teil des gesamten Genoms. Unter anderem haben die Gen-Untersuchungen den Vorteil, frühzeitige Diagnosen zu ermöglichen. Vor allem bei Kindern verbessern sich dadurch die Heilungsund Behandlungschancen. Zurzeit arbeitet ein von der Alliance4Rare gefördertes Pilotprojekt der Charité daran, gemeinsam mit den Universitäten Heidelberg und Dresden in Deutschland ein flächendeckendes genetisches Screening schon für Neugeborene aufzubauen.