Unsichtbare Kraftwerke

Bei der Energiewende und beim Bremsen des Klimawandels spielen Gebäude eine wichtige Rolle. Sie müssen mehr Energie produzieren als sie verbrauchen, auch mithilfe von Photovoltaik.
Illustration: Nicole Pfeiffer
Illustration: Nicole Pfeiffer
Lars Klaaßen Redaktion

Das rechnet sich nicht nur finanziell, sondern kann auch richtig gut aussehen.

Der Parkplatz mitten in Frankfurt am Main galt als „praktisch unverbaubar“, so die Jury. In acht Geschossen übereinander – neun Meter breit, 150 Meter lang – befinden sich dort nun 74 Wohnungen. Die Auszeichnung Vorbildlicher Bauten im Land Hessen bekam das Aktiv-Stadthaus im November aber vor allem für sein Energiekonzept, das unter solch speziellen Bedingungen realisiert worden ist. Dieses entspricht dem Effizienzhaus Plus-Standard. Übers Jahr erzeugt das Haus also mehr Energie, als es verbraucht. Ohne erneuerbare Energiequellen wie Photovoltaik (PV) geht so etwas nicht. Der Haken: Das schmale Dach bietet nicht genügend Fläche. Bleiben die Fassaden. Technisch ist das kein Problem, ästhetisch hingegen eine Herausforderung, wenn man nicht auf den ersten Blick sehen soll, dass daran PV-Module verbaut worden sind. Für solche Fälle gibt es bereits eine große Bandbreite an Fassadenelementen, die photovoltaisch Strom erzeugen. Doch bislang werden solche gebäudeintegrierten Module nur selten eingebaut.

„Weltweit wird aktuell nur etwa zwei Prozent der übers Jahr installierten PV gebäudeintegriert installiert, also als Teil einer Fassade oder eines Daches, beispielsweise“, sagt Björn Rau, der die Beratungsstelle für bauwerkintegrierte Photovoltaik (BAIP) in Berlin leitet. Die BAIP schlägt eine Brücke zwischen Bauwelt und Photovoltaik. Das vierköpfige Team vermittelt Wissen an Akteure aus der Architektur und Planung, am Bau und in der Stadtentwicklung: über Technologien, Gestaltungsoptionen, Produkte, technische Umsetzbarkeit und rechtliche Rahmenbedingungen. „Nicht nur im Neubau, sondern gerade im Bestand gibt es quantitativ enorme Einsatzmöglichkeiten“, betont Rau. „Das mag auf den ersten Blick aufwendig erscheinen, aber die Gestaltungsmöglichkeiten sind vielfältig, selbst im Denkmalschutz lässt PV sich im Dach oder an der Fassade einsetzen, ohne dass die Optik leidet.“

Bis zum Jahr 2050 soll der Gebäudebestand in Deutschland nahezu klimaneutral sein. Um dieses Ziel zu erreichen, muss die Energieeffizienz unserer Häuser deutlich verbessert werden. Photovoltaik auf dem Dach reicht dafür nicht. „Auf Flachdächern ist oft Wärme- und Kältetechnik untergebracht, Dachbegrünung ist gefordert oder eine Terrasse gewünscht“, so Rau. „Dennoch schlummern gerade in den Städten enorme Potenziale.“ Dort sind die Häuser höher als Einfamilienhäuser in den Vororten oder Gebäude auf dem Land. So steht in den urbanen Zentren im Verhältnis zu den Dächern mehr Fläche an Fassaden zur Verfügung. „Bei der Solarstromerzeugung kommen Fassaden in Europa zurzeit nur auf einen Anteil weniger Prozent“, sagt Rau. „In Deutschland könnte aber bis über ein Viertel des aktuellen Strombedarfes durch bauwerkintegrierte Photovoltaik, kurz BIPV, gedeckt werden.“ Das entspricht etwa 136 Terawattstunden Energie, die von mehr als 1.200 Quadratkilometern potenziell verfügbaren Gebäudeflächen stammen.

»Bis 2023 wird Solartechnik auf den Dächern von Neubauten oder zu modernisierenden Gebäuden obligatorisch.«

„Eine neue Analysemethode, die ähnlich wie für Google Maps jedes einzelne Haus erfasst, macht deutlich, dass viel größere Potenziale für die Nutzung von PV an der Fassade vorhanden sind, als bislang vermutet“, sagt Susanne Rexroth, Architektin und Professorin im Fachbereich Ingenieurwissenschaften – Energie und Information der HTW Berlin. „Diese Potenziale werden wir mittelfristig sicherlich nutzen.“

Dahinter steht auch politischer Druck. So planen die meisten Bundesländer, dass auf den Dächern von Neubauten und zu modernisierenden Gebäuden bis 2023 obligatorisch Solartechnologie installiert wird. „Dies wird auch BIPV einen enormen Schub geben“, so Rexroth. „Der Bestand, wo ohnehin energetisch großer Nachholbedarf steht, wird dann folgen.“ Gemäß den aktuellen Landesbauordnungen ist eine PV-Anlage genehmigungsfrei. Doch sobald das Modul an die Gebäudehülle kommt, wird es rechtlich zum „ungeregelten“ Bauprodukt. „Dies erfordert unter anderem oftmals die Zulassung über Bauteiltests und Prüfverfahren“, sagt Rexroth. An anderen Ländern, wie etwa Dänemark, könne man sich ein Beispiel nehmen, wie Solartechnik mit weniger Bürokratie und in größerem Umfang an die Wände käme. Unter technischen wie unter ästhetischen Gesichtspunkten sieht die Architektin erfreuliche Fortschritte: „Mittlerweile gibt es sogar schon weiße Photovoltaik-Module, das wäre vor zwanzig Jahren noch undenkbar gewesen.“

Wer BIPV einsetzt, steht nicht nur vor Fragen zur Genehmigung. Für den laufenden Betrieb empfiehlt sich in der Regel auch eine Versicherung. Prinzipiell kann eine PV-Anlage in die Wohngebäudeversicherung aufgenommen werden. Die Anlage erhöht in solch einem Fall den Wert des Hauses. Ein Vorteil hierbei ist, dass im Schadensfall keine Zuständigkeiten zu klären sind. Bei einem Hausbrand etwa muss nicht geprüft werden, ob der Brand vom Haus auf die PV-Anlage überging oder umgekehrt. Einige Versicherer schließen den Schutz von PV-Anlagen jedoch vollständig aus, bieten nur einen geringen Schutz oder nicht den passenden Tarif. Vor allem der Ertragsausfall wird von einigen Wohngebäudeversicherern nicht übernommen. Hier gilt es abzuwägen, ab welcher Produktionskapazität eine separate Versicherung des Ausfalls lohnt. Eher selten ist es, dass auch eine Betreiberhaftpflicht ratsam wäre, so Geld-Ratgeber Finanztip mit Blick auf eine herkömmliche PV Anlage: Habe ein Fachbetrieb die Anlage montiert und wurden entsprechende Schutzmaßnahmen wie etwa gegen Blitzeinschlag eingehalten, sei das Risiko einer Schadenshaftung gering. Neuere Privathaftpflichtversicherungen schließen das Haftpflichtrisiko einer Photovoltaikanlage mit ein.

Private Bauherren greifen noch selten auf die Möglichkeiten der BIPV zurück, bislang sind es primär Unternehmen, die hier vorangehen. Stiebel Eltron etwa hat Photovoltaik-Module eingesetzt, passenderweise auf seinem Energy Campus in Holzminden. Diese Fassadenelemente folgen einerseits der Sonne, andererseits schützen sie die Innenräume vor deren Strahlung. Auch hier ist die BIPV Teil eines umfassenden Energiekonzepts. Die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen hat den Campus Platin-zertifiziert. Mit solch einem Label lässt sich werben: für das eigene Unternehmen – und damit auch für Photovoltaik an Hauswänden. So wird man künftig sicher häufiger auch schöne Fassaden von Wohngebäuden sehen, die den Schein der Sonne für mehr als gute Optik nutzen.

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