Kritisches Missverhältnis

Welche Bedeutung haben SammlerInnen für die Gegenwartskunst? Die Debatte über einen angeblichen Exodus privater Institutionen aus Berlin gibt Gelegenheit zur Reflexion
Sophia Al-Maria, Beast Type Song, 2019, Video, 38′03″, Farbe, Ton. Videostill. Courtesy of the artist and Project Native Informant, London. Aus: HORIZONTAL VERTIGO: Sophia Al-Maria – Bitch Omega, Julia Stoschek Collection.
Kito Nedo Redaktion

In diesem Frühjahr wurde bekannt, dass mit der Friedrich Christian Flick Collection sowie der Sammlung Olbricht zwei renommierte Kunstsammlungen Berlin verlassen. Als eine dritte Sammlerin damit drohte, ihren privaten Ausstellungsraum dicht zu machen, wurden besorgte Stimmen laut. Pauschal war vom „Sammler-Exodus“ die Rede, sogar vom Ende der Kunststadt Berlin. Die Schuldige war auch schnell gefunden: Es ist die sogenannte „Berliner Kulturpolitik“. Doch stimmt das tatsächlich? Und wie hängt das alles zusammen?

Eine genauere Analyse zeigt: Die drei Fälle haben wenig gemeinsam. Zum Symptom einer allgemeinen Krise der Kunststadt Berlin taugen sie nicht. An ihnen lässt sich hingegen die schwierige Balance zwischen privaten und öffentlichen Interessen im Kunstfeld gut studieren. Einmal ist da der Essener Arzt und Wella-Erbe Thomas Olbricht, 72 Jahre alt, der zehn Jahre lang ein privates Ausstellungshaus in der Auguststraße in Berlin-Mitte betrieb. Das Programm des „me Collectors Room“ war populär, mitunter bizarr und entsprach somit ganz den Vorlieben des Hausherren. Zugleich zeugte die Initiative von sozialer Verantwortung. Denn das Vermittlungsprogramm zielte darauf ab, Kindern und Jugendlichen einen Zugang zu Kunst und Kultur zu öffnen. Von der Berliner Kunstwelt wurde Olbricht eher gelitten. Das kühle Verhältnis hatte wohl auch mit dem klotzigen Neubau zu tun, den der Sammler seinerzeit ins Herz von Mitte wuchtete. Die Mieteinnahmen aus den oberen Etagen nutzte Olbricht zur Teilfinanzierung seines Privatmuseums. Mit Einführung des Berliner Mietendeckels hätte dieses Modell zukünftig wohl weniger gut funktioniert. Nach einer Dekade in Berlin kehrt Olbricht nun zurück ins heimische Essen. Dort ist er schon lang im Verwaltungsrat des Folkwang-Museums aktiv. Seine Mission sei erfüllt, so der Sammler am Telefon. Als Berlin-Kritik will er seinen Abschied nicht verstanden wissen. „Der einzige Grund, jetzt zu gehen, ist absolut privat“, erklärt er und fügt hinzu, dass die Entscheidung schon im vergangenen Jahr gefallen sei.

Schwerer wiegt hingegen der Weggang des 75-jährigen Unternehmers und Milliardärs Friedrich Christian Flick mit Wohnort Zürich. Seine beachtliche Sammlung internationaler Gegenwartskunst mit wichtigen Werkkonvoluten – etwa von Stan Douglas, Martin Kippenberger, Bruce Nauman oder Roman Signer – wird im September 2021 nach Ablauf der Leihfrist aus dem Hamburger Bahnhof in die Schweiz zurückkehren. In die deutsche Hauptstadt geholt wurde die Flick-Sammlung ursprünglich 2004 – noch in der Ära Gerhard Schröder, auch dank tatkräftiger Unterstützung durch den damaligen Regierenden Bürgermeister, Klaus Wowereit.

Der Sammler zahlte die Herrichtung der Rieckhallen neben dem Gegenwartsmuseum Hamburger Bahnhof zu Ausstellungszwecken aus eigener Tasche. Kosten: rund 8,25 Millionen Euro. Flick vereinbarte zunächst eine siebenjährige Leihfrist, im Frühjahr 2011 verlängerte er den Leihvertrag mit der Stiftung Preussischer Kulturbesitz (SPK) um weitere zehn Jahre. Die Sammlung stand unter Obhut der Staatlichen Museen Berlin (SMB), die Bilanz ist gemischt. Zwar darf die Berliner Nationalgalerie zwei umfangreiche 2008 und 2015 getätigte Schenkungen von insgesamt 268 Werken aus der Flick-Sammlung behalten. Nach Recherchen der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) verkaufte Flick aber während der Leihzeit Kunst aus den Berliner Beständen – von der Öffentlichkeit weitestgehend unbemerkt. Solche Deals beschädigen die Institution Museum nachhaltig.

Nun steht die Nationalgalerie vor großen Problemen. Der Abzug reißt nicht nur eine gewaltige Lücke in die Berliner Gegenwartskunstbestände, die die Institution aus eigenen Ressourcen nicht zu schließen vermag. Durch ihre Willfährigkeit Sammlern gegenüber hat sie sich proaktiv geschwächt. Noch dazu werden die 2007 durch den Bund an einen Immobilieninvestor verkauften Rieckhallen demnächst abgerissen – eine der eigentlichen Ursachen für Flicks Abgang. Auch der Hamburger Bahnhof selbst gehört nicht der Stadt oder dem Bund, sondern wird durch denselben Investor, das österreichische Immobilienunternehmen CA Immo, lediglich zur Nutzung überlassen – ohne, dass das Thema bis vor kurzem öffentlich geworden wäre. Knapp 24 Jahre nach Eröffnung des Museums bemüht sich Bundeskulturstaatsministerin Monika Grütters nun um den Erwerb der Immobilie, um den Fortbestand des Gegenwartsmuseums zu sichern.

Vergleichsweise viel Lärm um nichts gab es hingegen, als Julia Stoschek, milliardenschwere Sammlerin und Unternehmerin mit Haupthaus in Düsseldorf, effektvoll mit ihrem Abschied aus Berlin drohte. Seit Sommer 2016 betreibt sie, auch dank der Vermittlung des ehemaligen Berliner Kulturstaatssekretärs Tim Renner, eine Hauptstadt-Dependance im ehemaligen Kulturzentrum der Tschechoslowakei in der Leipziger Straße. Ausstellungen mit Kunst von Ed Atkins, Arthur Jafa, Hito Steyerl sind angesagt und garantieren die Aufmerksamkeit der Szene. Die 44 Jahre alte Sammlerin erklärte aber öffentlich, sie sei unzufrieden mit der hiesigen Kulturpolitik. Und seither rätselt die Hauptstadt: Warum eigentlich? Denn mit der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) hat Stoschek einen bis Dezember 2020 laufenden Staffelmietvertrag zu äußerst günstigen Konditionen geschlossen. Derzeit zahlt sie für die 2.690 Quadratmeter große Gewerbefläche in Alexanderplatznähe eine Netto-
kaltmiete von 1,66 Euro pro Quadratmeter zuzüglich einer Betriebskostenpauschale von 2,80 Euro, also insgesamt 4,46 Euro pro Quadratmeter. Von solch einer erschwinglichen Miete können die meisten Kulturschaffenden nur träumen. Doch die Geisterdiskussion inmitten einer realen, für viele Menschen tatsächlich existenziell bedrohlichen Corona-Krise hat der Sammlerin anscheinend nicht übermäßig geschadet. Mitte Juni wurde sie ins Kuratorium der mächtigen Freunde der Nationalgalerie gewählt.

Dass weder von einem „Exodus“ noch vom Ende der Kunststadt Berlin die Rede sein kann, liegt auf der Hand. Doch die Corona-Krise stellt den Berliner Kunstbetrieb tatsächlich vor gewaltige  Herausforderungen. Es waren die Kulturschaffenden, Künstler und Kreativen selbst, die einst aus den Trümmern der Teilung eine kulturell attraktive Stadt zimmerten – natürlich auf eigenes Risiko. Galeristen und Sammler zogen nach. So ist Berlin die lebendige Kulturmetropole geworden – und nicht umgekehrt. Es gilt also, die Basis politisch zu unterstützen. Tatsächlich weisen die drei Beispiele aber auf ein kritisches Missverhältnis hin, das dann entsteht, wenn sich öffentliche Institutionen, allen voran staatliche Museen, von der Gunst privater Sammler abhängig machen. Fatal wird es, wenn Kulturpolitik und Stadtplanung, aber auch der ungebremste Run auf Immobilien, diese keineswegs auf Berlin beschränkte Entwicklung noch begünstigen.
 

Hans-Jürgen Hafner arbeitet als Kunstkritiker, Autor und Ausstellungsmacher, Kito Nedo ist freier Autor und Journalist und schreibt u.a. für art, SZ, taz und frieze.

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