Neuland in Sicht

Die Arbeitswelt hat sich in den vergangenen Monaten stark gewandelt. Vieles muss neu geklärt werden.
Illustration: Malcolm Fisher
Illustration: Malcolm Fisher
Axel Novak Redaktion

Flexibles Arbeiten, Homeoffice und digitale Kollaborationstools sind fester Bestandteil des Bürolebens geworden. Die Computer in den Wohnungen summen, und die Wirtschaft nimmt wieder Fahrt auf. Alles Friede, Freude, Eierkuchen in den Chefetagen und unter HR-Managern? Mitnichten: „Die Möglichkeiten des zeit- und ortsunabhängigen Arbeitens führen zum einen dazu, dass sich der Kampf um die besten, digital-affinen Ressourcen verschärfen wird”, prophezeit der post-Corona „CEO-Outlook”, für den die Unternehmensberater von KPMG hunderte CEO weltweit befragt haben. „Der Kreis der entsprechend qualifizierten Mitarbeiter wird kleiner, und der Kampf um die besten Talente nimmt zu.“

Oder doch nicht? Marcus Werner, Kolumnist des Magazins Wirtschaftswoche, beschrieb jüngst genüsslich, wie sich das heimische Büro zum Büro-Heim wandelt – Homeoffice wird zum Officehome – und wir damit endlich Abschied nehmen können von überkommenen Ritualen: „Deutschlands Büro-Angestellte erarbeiten sich gerade Schritt für Schritt neue Freiheiten im Homeoffice. Denn es stellt sich heraus: Viele Büro-Marotten waren nur Blendwerk. Um mitzuhalten.“ Sein Fazit: Alles, was ohne Stress Zeit spart, ist ein Gewinn. Und schafft Raum für Schönes.

In der Praxis entspinnt sich ein Szenario, in dem Mitarbeiter neben der x-ten Videokonferenz Kartoffeln schälen, weil ja irgendwer für das Abendessen sorgen muss. Die Chefs richten derweil ihr Unternehmen strategisch neu aus. Gerade erst hatten sich die Unternehmen und ihre Mitarbeiter auf eine neue Bürowelt eingestellt: Große Räume, locker angeordnete Schreibtische, keine festen Arbeitsplätze. Mit Corona aber geht es ums flexible, ortsunabhängige Arbeiten.

Fachkräfte: Risiken steigen
 

Führungskräfte schätzen nun – anders als vor der Krise – die Themen „Mitarbeiter und Fachkräfte“ als mit Abstand größtes Risiko für das Unternehmenswachstum ein, so der KPMG-CEO-Outlook. Mehr als zwei Drittel der CEO erleben gleichzeitig eine bessere Kommunikation mit den Mitarbeitern, weshalb sie nun mehr digital zusammenarbeiten wollen – und die Büroflächen verkleinern. Auch für die Arbeitnehmer hat sich einiges geändert: Die Mehrheit der Beschäftigten will künftig zumindest teilweise zu Hause arbeiten. Sie sind mit dem Homeoffice sehr zufrieden, genießen eine bessere Work-Life-Balance und sind produktiver – trotz Kinder und oft unüblicher Arbeitszeiten.

Doch der organisatorische Rahmen für die neue Arbeitswelt ist noch längst nicht geschaffen. Es gibt noch vieles zu klären auf dem Weg ins Homeoffice. Nicht nur die technischen Voraussetzungen: Wer im aktuellen Breitbandatlas der Bundesregierung die Breitbandverfügung der Haushalte in Deutschland anschaut, erkennt schnell, dass es selbst in den Boomregionen und urbanen Räumen weiße Flecken gibt. Schlechte Technik aber ist einer der größten Stressfaktoren im Homeoffice.

Ein anderes sind die Verhaltensweisen in der neuen Arbeit: Viele Mitarbeiter befällt irgendwann die so genannte Zoom-Fatigue, die Zoom-Müdigkeit. Das Syndrom ist technisch bedingt: Statt endloser Meetings der Vergangenheit reiht sich heute Call an Call. Ein Klick, und wir betreten eine neue Konferenz mit neuen Köpfen. Alle beobachten sich, aber niemand schaut jemanden an. Denn dafür müssten Teilnehmer direkt in die Kamera blicken – und nicht auf den Bildschirm. „Studien weisen darauf hin, dass man Homeoffice nicht übertreiben sollte“, sagt Prof. Dietmar Harhoff, Direktor im Bayerischen Forschungsinstitut für Digitale Transformation. „Je nach Aufgabe scheinen zwei bis drei Arbeitstage pro Woche ideal.“ Neue Verhaltensformen zu trainieren – und damit Calls lebendiger zu gestalten, erfordert Disziplin und Schulung – aber wer kümmert sich darum? Die Anbieter von Videokonferenz-Software bieten manchmal einen „Together Mode“ an: Microsoft beispielsweise schneidet bei „Teams“ die Köpfe der Konferenzteilnehmer aus und fügt sie in einen gemeinsamen Raum ein.
 

Und die Arbeitssicherheit?
 

Es gibt viele Standards für Gesundheit und Arbeitssicherheit am Arbeitsplatz, zum Beispiel bei der ergonomischen Ausstattung von Büros. Das soll Verspannungen, Nacken- und Kopfschmerzen verhindern. Wer regelmäßig zu Hause arbeitet, braucht also einen ergonomisch gut ausgestatteten Arbeitsplatz. „Die wenigsten Menschen, die nun ins Homeoffice gehen, werden ein eigenes Arbeitszimmer haben oder gar einen passenden Bürostuhl. Viele müssen zudem parallel ihre Kinder betreuen oder die Betreuung zumindest mit dem Partner oder der Partnerin teilen“, so Prof. Dr. Dirk Windemuth vom Institut für Arbeit und Gesundheit der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung, auf der Webseite der Initiative Neue Qualität der Arbeit des Bundesarbeitsministeriums. Sein Tipp für den Anfang: „Beschäftigte sollten sich einen Arbeitsplatz schaffen, an dem sie sich wohlfühlen, ungestört sind und an dem nach Möglichkeit nur gearbeitet wird.“

Aber wer kümmert sich darum, dass das auch bei den Mitarbeitern zuhause funktioniert?  Und was passiert mit Mitarbeitern, die nicht in der Lage sind, einen solchen Arbeitsplatz einzurichten– weil möglicherweise die Wohnung zu klein ist, zwei Kinder um den Küchentisch krabbeln oder der Partner nicht von einem raumgreifenden Hobby lassen möchte?

Oder ganz allgemein die Kosten: Arbeitgeber müssen die Arbeitsgeräte stellen. Aber wer zahlt das mehr verbrauchte Wasser, den Strom und allgemein die Miete für das Homeoffice? Der Arbeitgeber spart schließlich Betriebskosten für die Büros und kann auf viele zusätzliche Kleinigkeiten wie Blumen oder Kaffeemaschinen verzichten.  
 

Was macht Arbeitgeber attraktiv?
 

Und noch ein Aspekt der digitalen Arbeitswelt: Irgendwann stellen selbst die loyalsten Mitarbeiter im Homeoffice die Frage: Was macht eigentlich meinen Arbeitsplatz so besonders, wenn niemand mehr den schicken Dienstwagen sieht, wenn keiner mehr den Agenturkicker wahrnimmt und der teure Obstkorb ungenutzt vor sich hin gammelt?

Die Antwort ist simpel: Wenn alle ohne Unterschied im Officehome, dem Büroheim, sitzen, zählt möglicherweise nur noch eines: das Geld. Dann werden die Gehaltsforderungen künftig entsprechend ausfallen. Gut möglich, dass die, die sich heute über mehr Effizienz ihrer Mitarbeiter im Homeoffice freuen, dann darüber wundern, dass dieselben Mitarbeiter mehr Geld wollen.

 

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