Lieber Studium als Lehre

Die deutsche duale Berufsausbildung wird international hoch geschätzt, im eigenen Land dagegen strömen immer mehr junge Menschen an die Hochschulen.
Illustration: Dorothea Pluta
Illustration: Dorothea Pluta
Julia Thiem Redaktion

Es ist ein echter Exportschlager – Ex-Präsident Barack Obama lobt es, Portugal will es, und nun nimmt sogar Frankreichs Präsident Emmanuel Macron es als Vorbild für einen Teil der Reform des eigenen Arbeitsmarktes. Die Rede ist vom dualen Ausbildungssystem in Deutschland. Doch so geschätzt das Bildungskonzept international auch ist, etwa in der Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit, so sehr bröckelt die schöne Fassade der eigentlich so fest verankerten dualen Ausbildung in Deutschland selbst. „Besser, höher, weiter: Auf diese Kurzformel lässt sich der Qualifizierungstrend in Deutschland bringen“, heißt es beispielsweise beim Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. In der Bundesrepublik erwerben immer mehr Menschen einen akademischen Abschluss. Die klassische Berufsausbildung, um die wir weltweit beneidet werden, wird hingegen zunehmend als minderwertig angesehen.

Das hat zwei weitreichende Konsequenzen: Erstens gibt es laut Zahlen des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) derzeit knapp 49.000 unbesetzte Ausbildungsstellen. Und zweitens kratzt das deutsche Bildungssystem mittlerweile an einer historischen Marke von drei Millionen Studenten – knapp eine Million mehr als noch 2005. Experten sprechen von einem regelrechten „Akademisierungswahn“.

Dieser Trend ist problematisch. Zum einen hält nicht jeder sein Studium auch bis zum Ende durch. Und selbst für diejenigen, die es bis zum Abschluss schaffen, gibt es keine Garantie, anschließend einen gut bezahlten Job zu finden. Zudem wollen die wenigsten Studenten einmal in die Lehre oder Forschung gehen, also eine klassische Universitätslaufbahn einschlagen, wofür eine Hochschulausbildung in der Regel alternativlos ist.

Daher ist es perspektivisch nur vernünftig, dass auch die akademische Bildung immer stärker auf eine Kombination aus Theorie und Praxis setzt. So sind laut statistischem Bundesamt mittlerweile knapp eine Million Studenten an den stärker berufsorientierten Fachhochschulen eingeschrieben. Das BIBB zählt mittlerweile 1.600 duale Studiengänge in Deutschland – 600 mehr als 2006. Und auch die Betriebe haben den Mehrwert erkannt und bieten immer mehr Ausbildungsplätze im Rahmen eines dualen Studiums an. So stieg die Zahl der Unternehmen mit entsprechenden Ausbildungsoptionen von 18.200 im Jahr 2004 auf aktuell rund 48.000. Die Zahl der kooperierenden Unternehmen und der Studenten habe sich seither verdoppelt, heißt es vonseiten des BIBB.

Gut die Hälfte der heutigen dualen Studiengänge sind sogenannte praxisintegrierende Angebote, die die Arbeit in einem Unternehmen mit einem Studium kombinieren. Bei über 550 Angeboten handelt es sich um ausbildungsintegrierende Studiengänge, eine Kombination aus Bachelorstudiengang und staatlich anerkannter Ausbildung, 222 sind Mischformen.

Ob ein duales Studium tatsächlich immer die bessere Alternative zur klassischen Ausbildung darstellt, ist fraglich. Es dauert in der Regel länger, ist mit höheren Gebühren verbunden, und von einer signifikanten Verbesserung der Berufseinstiegschancen ist, zumindest bislang, noch nichts bekannt.

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