In Ihrem aktuellen Buch greifen Sie ein Heiligtum des Personalwesens an: das jährliche Mitarbeitergespräch. Warum stellen Sie es in Frage?
Die meisten Mitarbeitergespräche basieren immer noch auf einem klassischen hierarchischen Verständnis: Die Führungskraft gibt die Ziele vor. Dann, im Gespräch, fragt die Führungskraft den Mitarbeiter, ob die Ziele umgesetzt wurden. Das ist nicht mehr zeitgemäß. Gespräche sollten auf Augenhöhe stattfinden, nicht von oben nach unten. Im modernen Verständnis von Betriebsführung geht es außerdem längst nicht mehr um einzelne Mitarbeiter, sondern um Teams. Die Mitarbeiter sollten nicht vom Chef beurteilt werden, sondern von ihren Kollegen und Kunden.
Warum findet kein Umdenken statt? Sind die Unternehmen so unflexibel?
Ja, leider. Zwar haben viele Unternehmen theoretisch verstanden, dass sie als Führungskraft keinen Boss mehr benötigen, sondern eher einen Coach. Sie tun sich aber sehr schwer, das umzusetzen. Vor allem Unternehmen mit Tradition, in denen der Chef schon immer entschieden hat, können nicht einfach umsteuern. Dazu sind tiefgreifende Veränderungen in der Unternehmenskultur nötig.
Warum verändern sich die Anforderungen an Mitarbeiterführung und Arbeitsorganisation derzeit so rapide?
Der wichtigste Grund ist der technologische Wandel, also die enorme Geschwindigkeit, mit der sich neue Technologien entwickeln und damit etablierte Unternehmen und ganze Branchen aufgelöst werden, Stichwort: „Disruptive Technologien“. Dazu kommen der zunehmende globale Wettbewerb und die Folgen der Digitalisierung, etwa durch das Internet, das die Märkte sehr transparent macht. Zudem verursacht der demografische Wandel hierzulande bei den Unternehmen Nachwuchssorgen.
In der Tat beklagen immer mehr Unternehmen nicht nur Fachkräftemangel, sondern auch den „Mismatch“, also unpassende Qualifikationen für ihre offenen Stellen. Was läuft hier falsch?
Bisher formulieren die Unternehmen sehr detaillierte Anforderungen an ihre Bewerber. Für sie gilt es, ein Rädchen im Getriebe zu ersetzen, und wenn das gefunden ist, läuft die Maschine weiter. Von dieser Vorstellung werden sie sich verabschieden müssen. Dazu sind die heutigen Arbeitsprofile viel zu speziell. Mitarbeiter werden künftig nicht mehr für bestimmte Tätigkeiten eingestellt, sondern für Systeme. Dazu müssen Bewerber mit einer Grundqualifikation rekrutiert werden, die neugierig sind, intelligent und aufgeschlossen. Viele Dinge, die sie in den Unternehmen tun sollen, werden sie erst über die Jahre lernen.
Müssten nicht auch die Hochschulen umdenken?
Natürlich, wir werden auch die Ausbildungsgänge weiter öffnen müssen. Statt Wissen anzuhäufen, wird es in der Ausbildung in Zukunft darum gehen, Problemlösungskompetenzen zu erlernen. Studierende müssen analytische Fähigkeiten erwerben und lernen, in eigenständigen Teams komplexe Fragestellungen zu lösen.
Manche Unternehmen beklagen, sie müssten sich bei den Talenten der Zukunft bewerben. Ist es wirklich schon so weit?
Auf bestimmte Engpassfunktionen trifft das zu. Natürlich gibt es viele Jobs, für die es nach wie vor zahlreiche Bewerber gibt. Sucht man aber zum Beispiel Krankenpfleger oder Ärzte in strukturschwachen Regionen oder bestimmte Verfahrensingenieure, dann kommt es vor, dass Unternehmen auf eine Stellenanzeige eine einzige Bewerbung erhalten, und die ist auch noch schlecht. In bestimmten Bereichen gibt es einfach keine Experten, die arbeitslos und auf Jobsuche sind. Hier müssen sich Unternehmen aktiv bewerben.
Für sie wurde der Begriff des Employer Brandings geprägt. Was umfasst es?
Im Kern geht es für Unternehmen um die Frage: Warum soll sich ausgerechnet bei dir jemand bewerben? Darauf haben viele Unternehmen keine überzeugende Antwort, jedenfalls keine, die sich von anderen abhebt. Was bisher von Bewerbern erwartet wurde – dass sie sich auf die Bewerbung vorbereiten, dass sie wissen, in welchen Disziplinen sie gut sind und warum sie der Richtige für den Job sind – diese Mühe müssen sich Unternehmen künftig auch machen.
Ein weiteres Instrument ist das so genannte Active Sourcing. Wie funktioniert es?
Hierbei nutzt man die Netzwerke im eigenen Unternehmen. Dominierendes Element sind Empfehlungen von Mitarbeitern. Ich habe zu diesem Thema eine Umfrage unter 150 Unternehmen durchgeführt. Sie kam zu dem Ergebnis, dass von sieben empfohlenen Mitarbeitern drei eingestellt wurden. Das ist eine sensationelle Quote, die für die Mitarbeiterempfehlung spricht. Kein anderes Instrument ist so erfolgreich.
Welche Möglichkeiten gibt es sonst, gezielt Fachkräfte für sein Unternehmen zu gewinnen?
Immer mehr Unternehmen setzen mit Erfolg auf die frühzeitige Bindung von potenziellen Kandidaten. Das kann etwa damit beginnen, dass ein Schüler einen Aushilfsjob im Unternehmen macht. Er fällt auf, charakterlich und durch gute Leistungen. Auf ihn könnte man zugehen und ihm anbieten, später eine Ausbildung im Betrieb zu machen. Man kann ihm einen Vertrag zustecken. Natürlich muss nichts unterschrieben werden, aber der Schüler hat etwas in der Hand. Man bietet ihm weitere Ferienjobs an und baut eine Beziehung zu ihm auf.
Nehmen wir den Fall einer klassischen Stellenausschreibung. Wie soll man heute mit Bewerbern umgehen?
Hierfür wurde der neudeutsche Begriff des „Candidate Experience“ geprägt, ich nenne es „positives Bewerber-Erleben“. Häufig werden Bewerber in den Einstellungsgesprächen wie Bittsteller behandelt. Dann sitzen vier Menschen vor einem Bewerber, also eine gefühlte Übermacht. Sie wissen viel über den Bewerber, er weiß nichts über sie. Das ist bereits die zweite Asymmetrie. Mindestens einer von den Vieren beantwortet während des Gesprächs eine E-Mail auf dem Smartphone – man stelle sich nur vor, das würde sich der Bewerber erlauben! Immer noch glauben die Arbeitgeber, dass sie es sind, welche die Arbeit vergeben und dass sie deshalb in der besseren Position sind. Das ist vorbei. Genau wie die eingangs angesprochenen Mitarbeitergespräche müssen auch Bewerbungsgespräche auf Augenhöhe stattfinden. Die Basis ist der beiderseitige Respekt.