Der Kampf um Talente

Welche großen Trends bestimmen den Arbeitsmarkt der Zukunft? Welche Vorkehrungen treffen Unternehmen, Talente zu finden und zu fördern?
Der Kampf um Talente
Illustration: Dorothea Pluta
Klaus Lüber Redaktion

Die Digitalisierung und Globalisierung setzt Unternehmen unter Druck. Wer schnell auf die Disruptionen der digitalen Transformation reagieren und sich auf zunehmend internationalen Märkten behaupten will, muss neue Maßstäbe an die Qualität und Quantität seiner Produktion stellen.

Doch jede noch so ausgeklügelte Zukunftsstrategie muss sich auch umsetzen lassen. Dies kann nur gelingen, wenn die Mitarbeiter dazu fähig sind. Waren in der ersten und zweiten Industriellen Revolution die Hardskills, also die fachlichen Fähigkeiten, am stärksten gefragt, um berufstypische Aufgaben erfolgreich zu erledigen, so haben in der dritten Industriellen Revolution zunehmend die Softskills, wie zum Beispiel Teamfähigkeit oder kommunikative Kompetenz, an Bedeutung gewonnen. War in der alten Arbeitswelt Employ-ability (Beschäftigungsfähigkeit) wichtig, so liegt der Fokus in der neuen Arbeitswelt auf der sogenannte Uniquability, ein individueller Mix aus Stärken, Talenten und Leidenschaft.

Das Problem ist nur: Der Arbeitsmarkt ist auf diesen grundlegenden Wandel noch nicht vorbereitet. Zwar haben Unternehmen schon seit einer geraumen Zeit Probleme, hochqualifiziertes Personal zu rekrutieren. War for Talents nannte der McKinsey-Berater Steven Hankins diese Suche nach High Potentials bereits 1997 im Rahmen einer Studie, die den Wandel in der Personalwirtschaft untersuchte. Doch inzwischen hat sich die Situation weiter verschärft.

Weniger Talente, andere Werte

Einer der Gründe ist der demografische Wandel. In den Industriestaaten sinkt die Geburtenrate und führt zu einem Engpass an Nachwuchskräften. Schon bald werden sich die Angehörigen der Babyboomer-Generation, also die zwischen 1956 und 1965 geborenen Menschen, als bislang größte Bevölkerungsgruppe in die Rente verabschieden. Für Deutschland prognostiziert das statistische Bundesamt einen Rückgang der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter von aktuell 50 Millionen auf 39 Millionen Menschen im Jahr 2035. Im Jahr 2060 werden dann noch rund 33 Millionen Menschen im Erwerbsalter sein, 35 Prozent weniger als heute.

Es ist aber nicht nur so, dass die Zahl derer, die für den Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, immer kleiner wird. Ein großer Teil der neue Generation an Erwerbstätigen, die sogenannte Generation Y der zwischen 1981 und 1996 Geborenen, ist geprägt von einem Wertesystem, das sich in vielen entscheidenden Faktoren von dem der Babyboomer unterscheidet. Dazu gibt es inzwischen viele Studien, eine der aktuelleren hat die Unternehmensberatung CEB kürzlich vorgelegt. Sie befragte 10.000 Vertreter der Generation Y nach ihren Vorlieben und beruflichen Erwartungen.

Demnach verlieren Geld und Karriere an Bedeutung, stattdessen sind flexible Arbeitszeiten und ein schlüssiges Konzept zur Work-Life-Balance gefragt. Die Generation Y will mehr Mitsprache im Unternehmen, kann mit starren Hierarchien nichts mehr anfangen, sondern fordert eine agile und selbstbestimmte Arbeitsweise. Im Kern, so formulierte es CEB-Chef André Fortange kürzlich für das Handelsblatt, strebe die Generation Y nach größtmöglichen Entfaltungsoptionen im Job: „Die Angehörigen der Generation Y sind Erfahrungs-Junkies. Um diese jungen Mitarbeiter zu binden, sind vielfältige Chancen gefragt, um neue Erfahrungen zu sammeln.“

Alles für die Generation Y

Bringt man nun die immer höheren Ansprüche der Unternehmen an Talente, die Tatsache, dass ihre Gesamtzahl immer weiter schrumpft und den Wandel der Ansprüche, die die Talente wiederum an ihren Arbeitsplatz stellen, zusammen, ergibt sich für die Unternehmen eine schwierige Situation: Wie sollen sie unter diesen Umständen geeignete Mitarbeiter finden? Und wie ist es möglich, sie auch langfristig an das Unternehmen zu binden?

Viele Firmen locken mit Homeoffice und mobilen Arbeitsmitteln für eine bessere Balance von Berufs- und Privatleben. Auch das Angebot, bei Bedarf eine persönliche Auszeit für ein Aufbaustudium oder eine Doktorarbeit zu nehmen, gilt inzwischen in vielen Unternehmen als gern eingesetzte Strategie für ein effektives Talentmanagement. Immer beliebter werden auch Angebote im Bereich des betrieblichen Gesundheitsmanagements. Eine gesunde Unternehmenskultur gilt für viele High Potentials als wichtiges Entscheidungskriterium für einen Job.

Noch ausgefeilter sind Strategien, die sich konkret am Erfahrungshunger der jungen Talente orientieren. So bietet beispielsweise das Beratungsunternehmen Boston Consulting Group (BCG) ihren Mitarbeitern seit kurzem die Möglichkeit, ein Jahr lang auf die Seite der Kunden zu wechseln. Alternativ können Mitarbeiter sich auch zwölf Monate in einer gemeinnützigen Institution engagieren. Social Secondment nennt sich dieses Programm.

Chancen durch Migration

Dabei beschränkt sich der War for Talents bei weitem nicht nur auf die Suche der Top-Firmen nach Top-Talenten. Hochqualifizierte Fachkräfte werden auch und gerade im deutschen Mittelstand gesucht, besonders in den Ausbildungsberufen, die seit Jahren unter schwindenden Absolventenzahlen leiden. Seit Jahrzehnten sinkt die Zahl der neu abgeschlossenen Lehrverträge in Deutschland. 2015 schlossen nur noch 522.000 neue Lehrlinge Verträge mit Ausbildungsbetrieben – ein historischer Tiefststand.

Dies hat mit einem Trend zur Akademisierung der beruflichen Bildung zu tun. 1968 standen 1,8 Millionen Lehrlingen noch 200.000 Studenten gegenüber. Inzwischen werden nur noch 1,4 Millionen Lehrlinge, aber 2,8 Millionen Studierende gezählt. Die hoch gelobte duale Ausbildung, nach wie vor eines der Steckenpferde des deutschen Bildungssystems, sei in Gefahr, warnen Experten seit Jahren.

Entwarnung gab es nun im Zusammenhang mit einem weiteren noch zu nennenden Global-trend, der die Zukunft der Arbeit in den nächsten Jahrzehnten maßgeblich mitgestalten wird: Die Migration. 6,9 Prozent mehr Ausbildungsverträge bei Schreinern, Bäckern, Metallbauern und anderen Handwerkern meldete die Berliner Zentrale des Deutschen Handwerks im Juli 2016, allein 12,5 Prozent in Bayern. Alles deutet darauf hin, dass es die im letzten Jahr in Deutschland aufgenommenen Flüchtlinge sind, die die kränkelnde deutsche Berufsausbildung beleben.

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