»MINT hilft uns, die Zukunft aktiv mitzugestalten.«

Lücken bei Fachkräften und in der Nachfolge im Mittelstand, Migration und digitale Transformation – die Liste der Herausforderungen, vor denen die Wirtschaft und Arbeitswelt steht, ist lang. Eine bessere MINT-Bildung kann eine der Antworten sein.
»MINT hilft uns, die Zukunft aktiv mitzugestalten.«
Illustration: Dorothea Pluta
Interview: Julia Thiem Redaktion

Ein Gespräch mit Dr. Ellen Walther-Klaus, Geschäftsführerin der Initiative MINT Zukunft schaffen.
 

Frau Walther-Klaus, Studien sprechen davon, dass der Fachkräftemangel in den MINT-Berufen – also Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik – behoben sei. Warum geben Sie noch keine Entwarnung?
Es stimmt, dass mittlerweile nicht mehr von einem Mangel, sondern von Lücken gesprochen wird. Diese sind unserer Meinung nach aber insbesondere im Handwerk und in den dualen Be-rufen sehr groß. Eine weitere Entwicklung, die wir als kritisch erachten, ist die Nachfolge bei kleinen und mittelständischen Unternehmen. 580.000 aller Unternehmer brauchen bis 2017 und 110.000 der größten Familienunternehmen in den nächsten fünf Jahren einen Nachfolger. Nur etwa ein Fünftel davon haben aber tatsächlich einen.

Das würde das Rückgrat der deutschen Wirtschaft, den Mittelstand, treffen.
Absolut richtig. Und genau deshalb geben wir auch keine Entwarnung. Deutschland hat viele Kernstärken wie die vielen gut ausgebildeten In-genieure, die technische Berufsausbildung oder auch Stärken in der industriellen Produktion. Gleichzeitig sind wir schwach bei Themen wie der digitalen Kompetenz, im Bereich Internet-Technologien, bei innovativen Geschäftsmodellen und auch beim Zugang zu Kapital.

Ihr Plädoyer lautet deshalb: Das Interesse an MINT muss bereits in der Schule geweckt werden.
Richtig, nur leider ist das noch nicht überall angekommen. Die Digitalisierung ist insbesondere für die Schulen eine große Chance. Anstatt also Mobiltelefone vom Schulgelände zu verbannen, könnten sie viel stärker zum Einsatz kommen. Denn ein Handy kann heute mit den zahlreichen Apps fast alles – vom Temperaturmessen über die Filmdokumentation von Spektralanalyse bis hin zum Erfassen von Bewegungsabläufen.

Haben Lehrer denn überhaupt die Kompetenzen und auch die Freiheit, solch kreative Methoden im Unterricht einzusetzen?
Sicherlich müssten hier auch von offizieller Seite andere Voraussetzungen geschaffen werden. Wir zeichnen mit der Initiative MINT Zukunft ja beispielsweise MINT-freundliche Schulen aus und hören aus dem Kollegium immer wieder, dass bei all dem bürokratischen Aufwand und den Vorgaben wenig Zeit für neue, kreative Wege bleibt, die Schülerinnen und Schüler stärker an die MINT-Fächer heranzuführen. Und natürlich dürfen sich die Lehrer auch nicht davor fürchten, dass mal eines der Kinder fitter in der Bedienung der digi-talen Medien ist, als sie selbst. Kein Lehrer muss perfekt sein.

Wie kann man Schülerinnen und Schüler denn besser an MINT heranführen?
Ich glaube, dass der Praxisbezug hier entscheidend ist. Lassen Sie mich das an einem Beispiel verdeutlichen: Eine unserer MINT-freundlichen Schulen hat in einem Projekt für einen Zoo die Futtermengen ausgerechnet, die die Tiere dort zum Überwintern brauchen. So vergessen die Schüler garantiert den Dreisatz nicht, weil sie lernen, dass man ihn im Job und im Alltag tatsächlich braucht.

Sollten sich Unternehmen also schon um Schüler bemühen, anstatt erst an Universitäten um potenzielle neue Mitarbeiter zu buhlen?
Wir würden ein solches Engagement begrüßen, denn dann könnten die Kinder und Jugendlichen schon viel früher in verschiedene Berufe reinschnuppern und sich viel zielgerichteter um ihre Zukunft kümmern. Denn heute heißt es doch oft, Hauptsache erst einmal irgendetwas studieren, auch wenn noch nicht klar ist, wo die Reise einmal hingehen soll oder kann. Bei über 16.000 Studiengängen in Deutschland aber eigentlich auch nicht verwunderlich. Wir würden uns freuen, wenn insbesondere der Mittelstand diese Chance erkennen und nutzen würde. Denn so könnte in den Schulen auch gleich für die Ausbildung geworben werden. Denn es braucht nicht immer unbedingt ein Studium, um im MINT-Bereich Karriere zu machen.

Welche Anreize bieten MINT-Berufe den Arbeitnehmern?
Schauen Sie sich die Gehaltsstruktur in Deutschland an. Ingenieure verdienen erstmals deutlich mehr als Betriebswirte. Das ist natürlich ein schlagendes Argument. Darüber hinaus heißt MINT auch teilhaben an der Gesellschaft, Werte schaffen, die Zukunft aktiv mitgestalten. Und MINT ist ein Kulturgut, ohne das wir alle noch in Höhlen leben würden. Auch hier muss ich noch einmal auf die Schulbildung zurückkommen. Gerade der letzte Aspekt kommt mir in unseren Geschichtsbüchern oft zu kurz. Es wäre wichtig, deutlicher zu kommunizieren, welche Erfindungen die Gesellschaft auf welche Weise verändert haben. Auch so könnte man die Neugier an MINT fördern.

Sie betonen immer wieder, dass mehr für Frauen in MINT-Berufen getan werden muss. Warum ist es so schwer, sie zu begeistern?
Ich denke, eines der Probleme liegt ebenfalls in unserem Schulsystem. Mädchen lernen ganz anders als Jungs, sind insgesamt umsichtiger, halten sich mehr an Vorgaben und beschäftigen sich intensiver mit der Fehleranalyse. Auch hier haben wir ein schönes Beispiel aus einer unserer MINT-freundlichen Schulen. Es ging in einem Projekt darum, Roboter zu programmieren. Bei Problemen haben sich die Mädchen akribisch auf Fehlersuche begeben, während die Jungs erst einmal den Stecker gezogen haben, in der Hoffnung, dass dann schon wieder alles läuft. Diesen unterschiedlichen Herangehensweisen muss im Unterricht genügend Raum gegeben werden, um Fähigkeiten und Begeisterung zu fördern.

Ein weiteres Thema, das für die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands entscheidend ist, ist die Migration. Welche Rolle spielt sie für MINT?
Eine sehr wichtige. Bereits heute hat jedes dritte Kind unter fünf Jahren in Deutschland einen Migrationshintergrund. Hier gilt es, insbesondere stärker in die Wertediskussion einzusteigen – beispielsweise was die Gleichberechtigung der Frau angeht. Aber auch mit der Abwanderung junger Akademikerinnen und Akademiker müssen wir uns beschäftigen, die im Ausland etwa in der Genforschung viel freier agieren können.


Dr. Ellen Walther-Klaus hat Mathematik, Physik, Informatik und Philosophie studiert und auf dem Fachgebiet Logik promoviert. Seit 2008 ist sie Geschäftsführerin der Initiative „MINT Zukunft schaffen“, eine Initiative der deutschen Wirtschaft und ihrer Partner, mit dem Ziel der gezielten Förderung junger Menschen in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik, kurz: MINT.

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