ist Geschäftsführerin des Charta der Vielfalt e.V. und in den Beiräten des Instituts für Diversitätsforschung der Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Georg-August-Universität in Göttingen, der PROUT AT WORK-FOUNDATION sowie von Leadership Berlin aktiv.
Frau von Hardenberg, warum müssen wir noch immer über Vielfalt in der Arbeitswelt sprechen, warum ist sie nicht schon zum Selbstverständnis geworden?
Wir alle haben unbewusste Vorurteile, die immer Ängste auslösen. Das gilt auch für Vielfalt in der Arbeitswelt, wenn ich ihr nie begegnet bin. Wer noch nie eine Frau in einer Führungsposition erlebt hat, nie mit einer Führungskraft unter 30 Jahren zu tun hatte oder noch nie mit einem Kollegen mit einer Behinderung gearbeitet hat, hat ganz automatisch Vorurteile, die selbstverständlich auch das Handeln beeinflussen.
Wobei Vielfalt ja etwas ganz alltägliches ist. Kein Mensch ist wirklich gleich, jedes Unternehmen auf seine Art vielfältig.
Absolut richtig. Nur gilt es, das zu erkennen. Letztendlich wünscht sich jedes Unternehmen die geeignete Person für eine Stelle. Allerdings ist oftmals schon der Rekrutierungsprozess vorurteilsbehaftet – der klassische Hans, der nach Hänschen sucht. Hier hat sich zwar schon viel getan, unserer Meinung nach jedoch noch nicht genug.
Was braucht es Ihrer Meinung nach für eine vielfältigere Arbeitswelt?
Vor allem einen ganzheitlichen Ansatz – also einen Blick auf alle Vielfaltsdimensionen – und einen konsequenten Kulturwandel. Rekrutierung und Talentförderung sind ja nur zwei Aspekte. Wie vielfältig sind meine Kunden und meine Märkte? Spreche ich mit den Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf wirklich die Belegschaft an oder nur Frauen? Wie sieht es mit der demografischen Vielfalt im Unternehmen aus? Letztendlich muss Vielfalt in der Unternehmensstrategie fest verankert sein und vor jeder Entscheidung ein Blick durch eben diese Brille geworfen werden.
Weil es ohne Vielfalt langfristig keinen wirtschaftlichen Erfolg gibt?
Ganz genau. Viel zu lange wurde immer im selben Teich gefischt. Schauen Sie sich beispielsweise in der Bankenwelt um. Hier wurden viele Jahre hauptsächlich BWL- und Juraabsolventen eingestellt. Es sind aber nicht alle Bankkunden Juristen oder BWLer. Aus einer zu engen Sichtweise können weder Innovationen entstehen noch Produkte entwickelt werden, die den vielfältigen Anforderungen der Kunden gerecht werden.Was glauben Sie, wie erfolgreich ein Produkt für Rentner in Lateinamerika ist, das von fünf europäischen Männern unter 35 Jahren entwickelt wurde?
Unternehmen stehen an vielen Fronten vor Herausforderungen: Digitalisierung, Fachkräftemangel, internationaler Wettbewerbsdruck. Hat Vielfalt da wirklich Priorität?
Vielfalt ist ja keine zusätzliche Herausforderung. Sie ist da und sie zu ignorieren bringt rein gar nichts. Aus meiner Sicht muss man das Thema nur strategisch angehen. Und das beginnt in der obersten Führung, die eine vorurteilsfreie Unternehmenskultur klar zu einem strategischen Ziel macht. Anschließend geht es mit der Frage in die Personalabteilung, wie sich die Belegschaft zusammensetzt. Mit dieser Erkenntnis geht es weiter in das Produktmanagement. Schaut, das ist unsere Belegschaft. Wie passt die zu unseren Kunden? Man muss nicht alles auf einmal adressieren. Es wäre jedoch auch falsch, heute die Frauen, morgen ältere Kollege und übermorgen Menschen mit Behinderung auf die Agenda zu setzen. Vielfalt will gelebt werden und eine Unternehmenskultur verändert man nicht über Nacht.
Hinter Ihrem Verein, der Charta der Vielfalt, stehen die großen Namen der deutschen Wirtschaft als Mitglieder. Unterstreicht das sowohl die Bedeutung des Themas als auch das Interesse daran?
Wir werden nicht nur von 30 großen Konzernen getragen, sondern haben mittlerweile auch über 3.400 Unterzeichner. Damit erreichen wir 13,4 Millionen Arbeitnehmer. Das Interesse an Vielfalt in der Arbeitswelt ist definitiv groß. Dem kommen wir im Mai nächsten Jahres beispielsweise auch mit dem Wirtschaftsforum Vielfalt 2020 nach. Ziel ist es, Akteure aus Wirtschaft, Politik und Verbänden zusammenzubringen. Und bevor Sie fragen, ob es wirklich ein weiteres Wirtschaftsforum braucht, ja, braucht es! Denn Vielfalt führt nicht nur zu wirtschaftlichem Erfolg, sie ist die Basis für gesellschaftlichen Frieden. Und das Forum soll Entscheider und Entscheiderinnen zusammenbringen, die hierfür konstruktive Lösungen präsentieren.