Herr Maiwaldt, die noventic group bezeichnet sich selbst als Wegbereiter für die klimaintelligente Immobilie. Woher stammt diese Expertise?
Unsere Unternehmensbeteiligungen kommen aus dem Bereich der dezentralen Energieversorgung und energienahen Dienstleistungen. Wir verfügen über langjährige Erfahrung im Messen und Abrechnen individueller Energieverbräuche. Mit dem Umbau unserer Unternehmensgruppe 2017 haben wir unsere Kompetenzen erweitert: Um die Entwicklung und Fertigung von Sensorik, Dateninfrastrukturen bis zu digitalen Anwendungen und Plattform-Lösungen. Wir sind damit in die neue IoT-Welt der Interoperabilität und Vernetzung eingetreten und haben unser Wissen auf eine höhere Nutzungsebene gehoben.
Mit welcher Motivation?
Wir wollen Energieeffizienz und Wirtschaftlichkeit zusammenbringen – für klimaschonendes und bezahlbares Wohnen. Dafür haben wir führende Experten aus den Bereichen Sensorik, Hardware-Lösungen und Messdienstleistung vereint – gemeinsam erschaffen wir so im Bestand und mit bereits heute verbauter Messtechnik Lösungen für klimaintelligente Gebäude. Damit leisten wir einen wirklich bezahlbaren Beitrag zur Erreichung der Klimaziele.
Was ist der nächste wichtige Schritt in der Digitalisierung der Energiewende?
Definitiv der Startschuss zum Smart Meter Rollout. Wir sind bereit. Das von unserer strategischen Beteiligung PPC entwickelte Smart Meter Gateway (SMGW) war das erste, welches das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) vor genau einem Jahr zertifiziert hat. SMGW sind der zentrale Baustein der Digitalisierung der Energiewende. Denn über diese digitale Kommunikationszentrale im Gebäude werden Immobilien ebenso wie Netze erst intelligent.
Wie wichtig ist die Digitalisierung für den Erfolg der Klimaziele?
Sie ist essenziell. Laut Umweltbundesamt verursachen Gebäude in Deutschland rund 35 Prozent des Energieverbrauchs – fast ein Drittel davon entfällt auf das Heizen oder die Wassererwärmung. Ändert sich an diesen Zahlen nichts Grundlegendes, lässt sich das Ziel der Bundesregierung, bis 2050 klimaneutral zu wohnen, nicht erreichen. Allein bis 2030 sollen die Emissionen von Gebäuden um 66 Prozent im Vergleich zu 1990 gesenkt werden. Dass wir die für 2020 gesteckten Klimaziele – nämlich eine Reduktion der nationalen Treibhausgas-Emissionen um 40 Prozent – verfehlen werden, ist heute jedem klar.
Konkret: Inwiefern können Gebäudedaten sowie deren Vernetzung auf einer zentralen Plattform tatsächlich zur Energieeffizienz von Immobilien beitragen?
Wenn wir Messpunkte sparten-übergreifend – also beispielsweise Strom und Heizwärme – über ein SMGW bündeln, schaffen wir über einen kosteneffizienten Weg eine neue hochwertige Datenbasis. Diese können wir nutzen, um die Energiebereitstellung zu optimieren, aber eben auch, um Bewohnern beim Energiesparen zu helfen.
Haben Sie ein Beispiel?
Wenn es gelingt, Wetterprognosen mit den Daten des aktuellen, tatsächlichen Energiebedarfs zusammenzubringen, lassen sich mit der damit geschaffenen Datengrundlage dezentrale Heizungsanlagen energieeffizienter steuern, die solarthermische Wärme optimal in die Gebäudeversorgung integrieren. Und: Mit dieser Basis schaffen wir auch die Grundlage für digitale Anwendungen für Bewohner – zum Beispiel für eine moderne Form der unterjährigen Verbrauchsinformation für Mieter.
Funktioniert eine solche Verknüpfung auch für die allgemeinen Stromnetze?
Absolut! Das SMGW bildet die Grundlage für die Einbindung von Gebäuden in den intelligenten Las-tenausgleich von Verteilnetzen, der optimalen Einspeisung von Strom aus Erneuerbaren Energien oder der Bereitstellung flexibler Tarife durch die Energieversorger.
Das Stichwort heißt also Plattformökonomie?
Ganz genau. Wir haben uns zunächst darauf konzentriert, was wir am besten können – nämlich das Submetering. Anschließend haben wir die verschiedenen Welten des Meterings mit der des Submeterings verbunden und schaffen damit eine Multi-Metering-Plattform mit einem erheblichen Mehrnutzen. Das funktioniert allerdings nur durch Öffnung, Verabredungen und Standards: Man muss im ersten Schritt die bislang proprietären Systeme ablösen und anerkennen, dass die Daten den Kunden gehören. Man muss, zweitens, die Kunden-entscheidung akzeptieren, mit welcher Infrastruktur die eigene Situation am besten gelöst werden kann. Erst dann bewegt sich aus unserer Erfahrung etwas. Wir setzen deshalb, drittens, konsequent auf Technologieoffenheit und Interoperabilität.
Und wo würden Sie sagen, steht die noventic group auf dem Weg zur Plattformökonomie heute?
Die Unternehmen der noventic sind – jede für sich – auf einem sehr guten Weg. Und auch als ganze Gruppe sind wir schon sehr weit bei unserem Vorhaben, eine volldigitale und vollintegrierte Plattform zu erschaffen, die sich über standardisierte Schnittstellen mit den Plattformen und Systemen unserer Partner verbindet. Mit der Mieter-App „Cards“ verfügen wir zudem über eine sehr moderne Schnittstelle zum Bewohner – den Menschen.
Mensch ist ein gutes Stichwort: Ansprüche an Wohnkomfort steigen, sie verändern sich. Wie lässt sich das mit Klimaschutz vereinbaren?
Genau das ist der Hintergrund unserer App „Cards“. Sie erlaubt es Bewohnern, neben dem Strom- auch ihren Heizwärme- und Wasserverbrauch jederzeit abzulesen und bei Bedarf gegenzusteuern. „Cards“ soll in erster Linie Transparenz über den Verbrauch schaffen. Studien wie die des Zentralverbands der Immobilienwirtschaft haben gezeigt, dass sich durch regelmäßige Verbrauchsinformationen bis zu 20 Prozent Energie einsparen lassen – und das zahlt sich für den Mieter auch auf der Nebenkostenabrechnung aus. Die Transparenz über den Verbrauch wird damit ein zentraler Faktor für mehr Klimaschutz im Gebäudesektor.
Das heißt, nachhaltiges Energiesparen im Immobiliensektor lässt sich nur umsetzen, wenn auch der Mensch mit einbezogen wird?
Davon sind wir überzeugt. Ein physikalisches Beispiel aus dem Bereich der energetischen Sanierungen: Im Anschluss sind regelmäßig sogenannte Rebound-Effekte zu beobachten. Bewohner ändern ihr Verhalten, weil sie nach der Modernisierung von einem effizienteren Energieeinsatz ausgehen, und erhöhen die Raumtemperatur und damit ihren Verbrauch. Visuelle Anwendungen wie „Cards“ leisten hier einen Beitrag, das Bewusstsein für den eigenen Verbrauch zu schärfen, überhaupt erst einmal eine Entscheidungsgrundlage zu schaffen und somit dem Rebound-Effekt entgegen zu wirken.