Wie wäre es eigentlich, man würde all diese typischen Fragen, die erfolgreichen Frauen ständig gestellt werden, an ihre männlichen Pendants richten? Diese nette Idee hatte die junge Berliner Unternehmerin Fränzi Kühne, nachdem sie 2017 in den Aufsichtsrat des DAX-Unternehmens freenet berufen wurde. Die Wirtschaftspresse des Landes drehte durch. Eine junge, gut aussehende Frau mit trendigem Äußeren (Undercut, stylisches Outfit) erkämpft sich doch tatsächlich einen Platz im männerdominierten Kontrollgremium eines Unternehmensschwergewichts. Dementsprechend verlief ein Großteil der vielen Interviews, die Kühne im Zuge ihres Karrieresprungs in den Monaten danach absolvierte. Ob sie ihr vergleichsweise schrilles Outfit ganz bewusst einsetze? Wie sie ihre Vorbildrolle für andere Frauen sehe? Wie das denn funktioniere mit so einem Job und der Familie? (Kühne hatte kurz davor ihr erstes Kind bekommen.)
Zusammen mit zwei Freunden aus Studienzeiten hatte Fränzi Kühne 2008 TLGG gegründet, inzwischen eine der erfolgreichsten Social Media Agenturen Deutschlands. Den Job bei freenet bekam sie durch ihre Expertise in Fragen der Digitalen Transformation. Und weil das Unternehmen eine Frauenquote zu erfüllen hatte. Auch die Fragen nach diesem Umstand blieben ihr natürlich nicht erspart: Wie gehen Sie damit um, dass Sie den Job vielleicht nur deshalb bekommen haben, weil Sie eine Frau sind?
»22 Männer meldeten sich zurück und wollten sich auf das Experiment einlassen.«
Also entschied sich die Unternehmerin nach einiger Zeit, in der sie, wie sie selbst sagt, immer irritierter und genervter wurde, den Spieß umzudrehen. Sie sammelte die häufigsten „Frauen-Fragen“, die ihr gestellt wurden, und schrieb rund 50 Männer an, Politiker, Journalisten, Künstler, Wissenschaftler, alle auf ihre Weise erfolgreich und lange genug im Job, um über ihren Erfolg reflektieren zu können. Die Idee: Sie stellte den Männern „ihre“ Fragen und beobachtete einfach, was passiert. Viele der Angefragten sagten ab, darunter auch leider im Kontext hochinteressante Kandidaten wie Dieter Bohlen. Aber immerhin 22 Männer meldeten sich zurück und wollten sich auf das Experiment einlassen. Etwa Heiko Maas, damals noch Außenminister, Siemens-Manager Joe Kaeser, Musiker wie Bausa und Bosse oder Digital-Unternehmer Frank Thelen und der umtriebige Gründer Waldemar Zeiler (einhorn Kondome).
Herausgekommen ist das im letzten Jahr erschienene, hoch spannende Buch „Was Männer nie gefragt werden“, in dem Kühne nicht nur auf amüsante Art und Weise von den Interviews selbst berichtet, sondern aus den bislang überraschenden Reaktionen der Männer sehr präzise ableitet, was im Bereich Gleichstellung nach wie vor in vielen Unternehmen im Argen liegt. So fragt sie etwa Rainer Esser, Geschäftsführer des ZEIT-Verlages, nach dessen Vorbildrolle für männliche Kollegen – eine Standard-Frage, wie sie an viele weibliche Führungskräfte gerichtet wird. Esser kann damit erstaunlich wenig anfangen. Nein, warum denn ein Vorbild? Tipps geben, gefragt werden, zum Nacheifern anregen: gern. Explizit Vorbild sein: eher schwierig. Ähnlich äußern sich viele andere Gesprächspartner. Kühne kommt zum Schluss: Viele Männer sind sich ihrer Rolle und ihren Privilegien gar nicht bewusst. Weil sie nämlich selbst in einer auf Männer optimierten Arbeitswelt leben. Daher auch die merkwürdige Unsicherheit bei der Frage nach ihrer Vorbildrolle? „Weil das bedeuten würde, das eigene Verhalten und die eigene Strahlkraft nach außen stärker zu reflektieren. Und darin haben die meisten überhaupt keine Routine“, wie Kühne schreibt.
„Was Männer nie gefragt werden“ ist voll von solch klugen Beobachtungen. Noch ein Beispiel: Wie man sich denn auf die großen Herausforderungen der aktuellen Top-Position vorbereitet habe, ist eine weitere Standard-Frage an weibliche Führungskräfte – mit der Implikation, man habe sich doch bestimmt sehr intensiv die notwendigen Kompetenzen angeeignet, schließlich sei es als Frau besonders schwer. Kühne fragt die Männer und kommt zum erstaunlichen Ergebnis: Keiner, vom Popstar in der Öffentlichkeit über den Physikprofessor und den Autor bis zum Bundesminister – hat sich gezielt auf karrieredefinierende Positionen und Rollen vorbereitet.
Warum ist das so? Kühnes Analyse auch hier: Weil wir es eben immer noch mit einer durch männliche Prägungen und überwiegend männliche Vollzeitkräfte bestimmten Arbeitswelt zu tun haben. Oder, anders formuliert: mit einer strukturellen Ungleichheit, die noch immer so tief im System verankert ist, dass Frauen auch immer noch und immer wieder an die inzwischen berüchtigte gläserne Decke stoßen, sobald sie sich anschicken, Führungspositionen zu übernehmen. Verzweifeln sollte man dennoch nicht. Im Gegenteil: „Wenn wir alle unsere jeweilige Gestaltungsmacht und unsere Position erkennen und nutzen, können wir unsere Kräfte, Wünsche, Forderungen und Möglichkeiten für eine gute Zukunft kombinieren“, schreibt Kühne am Ende.
Fränzi Kühne. Was Männer nie gefragt werden.
Fischer 2021