New Work braucht New Business

Die New-Work-Debatte in Deutschland findet Thomas Sattelberger „verzwergt“. Es fehle das richtige Mindset.

Illustration: Marina Labella
Illustration: Marina Labella
Interview: Julia Thiem Redaktion

Sie sind einer der Pioniere des New Work, haben das Thema während Ihrer Zeit als Telekom Vorstand vorangetrieben. 2015 kam Ihr Buch „Das demokratische Unternehmen“ heraus. Wie bewerten Sie die aktuelle Diskussion um New Work?
Die Diskussion, die wir hierzulande führen, hat wenig mit New Work zu tun. Wir verpassen alten Themen einen neuen Anstrich. Homeoffice-Regelungen sind kein New Work, führen auch nicht zu einem demokratischeren Unternehmen. Unsere Nachbarn in den Niederlanden oder Dänemark rezipieren New Work kulturell ganz anders. Ich habe eine einfache These: Nur in neuen Geschäftsmodellen gelingt New Work wirklich. Alles andere ist Reparaturbetrieb in oder Verschönerung von industriellen Kasernen und Effizienzmaschinen.


Das ist ein hartes Urteil, gerade weil Deutschland für die „Old Economy“ steht. Ist diese mangelnde Transformationsbereitschaft für Sie auch ein Grund für das verhältnismäßig schwache Abschneiden Deutschlands in Europa?
Deutschland ist nicht nur in der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung, sondern spiegelbildlich auch in der digitalen Transformation der Unternehmen hinten an. Die deutsche Wirtschaft kann in Sachen technologische wie soziale Innovation nicht vorne mithalten. Wir können industrielle Effizienz, aber tun uns schwer mit Kreativität, Kreation und Experimentieren. Beim Ausquetschen von Effizienzen ergeben sich dann in der Konsequenz Probleme mit der sogenannten Work-Life-Balance. 


Und das kann vermutlich auch keine Homeoffice-Regelung der Welt verändern…
Im Gegenteil: Die wirklich interessante Frage ist doch, warum die ganzen US-Software-Häuser ihre Belegschaften wieder im Büro haben wollen. Es gibt inzwischen genügend Studien, die darauf hinweisen, dass Routinearbeiten, auch intellektuell anspruchsvolle, sehr gut im Homeoffice erledigt werden können. Wenn es aber um innovative, kreative Prozesse geht, dann führt das Homeoffice zu deutlichen Produktivitätsverlusten. Warum klappt Homeoffice in Deutschland also so passabel? Weil wir wenig Innovationsarbeit haben. Old Business kann sich New Work nur in einer „verzwergten“ Version leisten und das ist das viel diskutierte Homeoffice.

 

Sie sagen also, um kreativ und innovativ zu sein, brauchen wir Nähe?
Absolut und das zeigt sich nicht nur innerhalb eines Unternehmens. Warum sind bestimmte Regionen wie die Valleys dieser Welt denn erfolgreicher als andere? Innovationen brauchen Tuchfühlung, Austausch, ein lebendiges Ökosystem, das sich gegenseitig befruchtet. 


Wo müssten wir denn ansetzen, um Arbeit hierzulande wieder attraktiv zu machen?
Deutschland liegt im aktuellen Expatriate-Report auf dem letzten Platz. Fehlende Digitalisierung in Verwaltung und im gesellschaftlichen Leben, quälende Bürokratie und soziale Kühle sind die wesentlichen Ursachen. Deutschland als Einwanderungsland für Qualifizierte ist ein Mythos. Ich wundere mich zudem, warum sich niemand mit den 2,5 Millionen Menschen im Alter von 20 bis 34 in Deutschland beschäftigt, die ohne berufsqualifizierenden Abschluss sind. Genauso kümmert kaum einen, warum wir in wichtigen MINT-Fächern rund 50 Prozent Studienabbruch haben. Die hausgemachten Probleme für den Arbeitsmarkt werden unter den Tisch gekehrt.


Wie lassen sich die hausgemachten Probleme denn adressieren?
Letztendlich läuft es auf drei Themen hinaus. Talent, das sind die Aspekte, die ich eben aufgezählt habe, sowie Technologie und Toleranz. Technologie meint beispielsweise Ausgründungen aus Wissenschaft und Forschung. Wir brauchen keine neuen E-Commerce-Plattformen, aber BioTech oder auch Künstliche Intelligenz sind Themen, die wir noch besetzen können. Und hier möglichst nicht mit einem Fokus auf einzelnen Start-ups, sondern auf Ökosysteme. Toleranz meint letztendlich das, was Richard Florida in seinem Buch „The Rise of the Creative Class“ beschrieben hat, also die Frage, ob eine Region offen für Unterschied ist. Und damit sind vor allem unterschiedliche, vielleicht auch unkonventionelle Denkweisen gemeint.

 

DR. H.C. THOMAS SATTELBERGER

war von Oktober 2017 bis August 2022 Mitglied des Deutschen Bundestags und von Dezember 2021 bis Juni 2022 Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung. Davor war er lange Jahre Vorstandsmitglied in deutschen DAX-Unternehmen. Er hat unter anderem die Nationale Initiative „MINT Zukunft schaffen“ gegründet und war lange Jahre ihr Vorsitzender.
 

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