Die Zukunft Personal Europe ist das europaweit führende Expo-Event rund um die Welt der Arbeit. Jährlich trifft sich hier die HR-Branche in Köln zum Netzwerken und für neue Impulse rund um die Arbeitswelt. Große Player wie Stepstone oder Personio sind vertreten, aber auch kleinere Unternehmen und Start-ups, die sich spezifisch relevanten Zukunftsthemen wie Mental Health am Arbeitsplatz oder auch Employer Branding widmen.
Am Stand der Beratungsagentur DEBA (Deutsche Employer Branding Akademie GmbH) herrscht Hochbetrieb, der schwarz gehaltene Messestand wirkt modern und gleichzeitig einladend. Die dunklen Stellwände sind tapeziert mit gelben, quadratischen Karten, auf denen sich Fragen finden, die zur Selbstreflexion einladen: „Was, wenn es nicht Unternehmen an Fachkräften, sondern Fachkräften an attraktiven Arbeitgebern mangelt?“ Oder: „Was, wenn CEOs rekrutieren müssten?“ Oder auch: „Was, wenn eine Frau das auch könnte?“
Dass auf einer der wichtigsten HR-Messen Europas vor allem die letzte Frage noch gestellt werden muss, regt zum Nachdenken an. Die Fakten sprechen für sich: Nur knapp jede dritte Führungskraft in Deutschland ist eine Frau, je höher die Hierachierstufe, desto kleiner der Anteil. Durch die gesetzlichen Vorgaben ist zwar ein deutlicher Zuwachs von Frauen in Vorständen zu verzeichnen, jenseits davon gibt es auf anderen Ebenen aber noch viel Nachholbedarf. Noch immer ist es nicht unüblich, dass Frauen in ihren Bewerbungsunterlagen für eine Jobbewerbung bewusst ihre Elternzeit verschweigen, die sie ansonsten in eine nachteilige Lage brächte. Dauert die Auszeit „nur“ ein halbes Jahr, gilt die Bewerberin als wenig empathisch und karrieregeil, bei über einem Jahr als überfürsorgliche Mutter, von der wenig Leistungsbereitschaft im Job zu erwarten ist.
"MINI-ME EFFEKT"
Gerade im Einstellungsprozess verhindern unsere oftmals unbewusst erlernten Annahmen, Überzeugungen oder Einstellungen (sogenannte „Unconscious Biases“), dass Frauen Zugang zu Posten in Führungspositionen erhalten. Ein Beispiel ist das Prinzip der Ähnlichkeit, auch „Mini-Me Effekt“ genannt. Menschen, die uns selbst ähnlich sind, erscheinen uns oft sympathischer und somit passender. Somit entscheiden sich Männer öfter für Männer – auch wenn die weibliche Kandidatin vielleicht besser für die Stelle geeignet gewesen wäre. Durch geschlechtsbezogene Stereotypen und Vorurteile wird die gleiche Leistung unterschiedlich interpretiert. Nur wenige Strategien oder Kampagnen sprechen im Augenblick gezielt Frauen als Zielgruppe an.
Dabei würde sich genau das lohnen. Laut einer McKinsey Analyse von 2020 haben Unternehmen mit einem Frauenanteil von mehr als 30 Prozent in ihren Führungsteams eine deutlich höhere Wahrscheinlichkeit, wirtschaftlich besser abzuschneiden als Unternehmen mit weniger Frauen. Gerade im Hinblick auf Führung sind Frauen aber oft zurückhaltender, obwohl sie im Vergleich zu gleichaltrigen Männern sogar ein höheres Niveau ausweisen, was die schulischen und beruflichen Qualifikationen angeht.
MEHR DIVERSITÄT DURCH CO-LEADERSHIP
Was hindert Frauen also daran, in Führung zu gehen? Oft sind es die nach wie vor starren und traditionellen Strukturen in Organisationen. Denn laut einer Studie des HR-Tech-Entwicklers HiBob vom März 2023 legen gerade Frauen Wert auf faire Entwicklungsmöglichkeiten, Gleichberechtigung, Gehaltsparität und ein förderndes Umfeld. Wie im Modell eines Co-Leaderships, das etwa Edding-Digitalvorständin Fränzi Kühne seit 2022 vorlebt. Zusammen mit ihrem ehemaligen Geschäftspartner Boontham Temaismithi besetzt sie das erste Vorstands-Tandem in Deutschland und setzt damit ein Zeichen im Hinblick auf Führungsverständnis. „Führung im Tandem, auch und gerade auf Vorstandsebene, ist dabei ein wichtiger Hebel“, so Kühne. Dabei gehe es um mehr als nur um „Teilzeit auf Managementebene“, so Kühne im „Change Magazin“ der Bertelsmann Stiftung. Jobsharing bringe unterschiedliche Erfahrungen und Perspektiven in eine Position. Damit schaffen duale Führungsmodelle nicht nur Raum für Diversität, sondern bringen auch betriebswirtschaftliche Vorteile. Ein Co-Leadership-Ansatz fördert den Wissensaustausch und ermöglicht schnelleres und effektiveres Entscheiden.
FRAUEN AN DIE GROSSEN ENTSCHEIDUNGSTISCHE
Die 2022 gegründete Female Leadership Academy „10 more in“ von der Unternehmerin und Investorin Lea-Sophie Cramer (ehemals CEO Amorelie) stärkt Frauen in ihren Führungsqualitäten. Zum Einsatz kommt eine E-Learning Coaching-Methode, die auf Führung, Wachstum und Persönlichkeitsentwicklung basiert. Durch eine Kombination aus physischem Coaching und Online-Lernen im Team bietet die Akademie eine umfassende Ausbildung und Unterstützung für Frauen, die ihre Führungsqualitäten entwickeln und verbessern wollen. Cramers Mission: mehr Frauen an die großen Entscheidungstische! Darauf setzt auch das junge Wirtschaftsmagazin STRIVE, das mit einem kürzlich gestarteten Managementprogramm namens „Becoming CEO“ mehr Frauen auf Spitzenpositionen vorbereiten will. Auch hier werden neben Leadership weitere Skills wie Kommunikation, Strategie oder Verhandeln gefördert. Mutig für sich und die eigenen Ziele einstehen, sich trauen in Führung zu gehen und somit nicht nur die persönliche Entwicklung, sondern die Transformation in der eigenen Organisation voranzutreiben: Auch das ist Female Leadership. Unternehmen selbst sollten vom Einstellungsprozess bis hin zur gelebten Kultur ihren Beitrag dazu leisten, ein chancengleiches Arbeitsumfeld zu kreieren. Female Leadership ist keine Bruchstück-, sondern Mosaikarbeit: Es ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern auch ein entscheidender Faktor für Diversität, Erfolg und Innovationskraft – für Individuen, Organisationen und Gesellschaft.
BIRGIT AMELUNG
ist integrale Organisationsentwicklerin, mehrfach ausgezeichnete Kreativ-Direktorin und Gründerin der Beratungsagentur AWAKE. Als Mitgründerin von The HER KLUB, ein über 2.000 Frauen starkes Netzwerk, setzt sie sich für mehr Sichtbarkeit und Gleichstellung von Frauen ein.