Selin Aydin promoviert im Lehr- und Forschungsgebiet Softwarekonstruktion an der RWTH Aachen. Christina Büsing ist dort Professorin mit dem Lehr- und Forschungsgebiet Kombinatorische Optimierung. Zwei Frauen, die eine akademische Laufbahn eingeschlagen haben und verschiedene Herausforderungen überwinden. Büsing ist Mutter von drei Kindern, Aydin steht unter anderem vor der Frage, wann es eine gute Zeit ist, in diesem System Kinder zu bekommen. Um auf solche Herausforderungen, aber auch Vorurteile und Hürden, die damit verbunden sind, gezielt aufmerksam zu machen und am Ende Frauen Karriereoptionen an der Universität zu eröffnen, weitet die RWTH ihr Engagement in diesem Bereich bewusst aus. Aydin und Büsing sind Vorbilder, die sich bei einem von Büsing organisierten Workshop kennengelernt haben und im Austausch geblieben sind:
Aydin: Christina, was ist das Wichtigste, was Du mir für die zweite Hälfte der Promotion mit auf den Weg geben kannst?
Büsing: Du solltest Dir auf jeden Fall den Spaß an der Forschung behalten und klar formulieren, was Du willst.
Aydin: Bist Du dabei schon mit dem Gedanken konfrontiert worden, dass Du Deine Position nur bekommen hast, weil Du eine Frau bist?
Büsing: Klar gibt es Leute, die sagen, ich hätte Glück gehabt, dass alles so aufgegangen ist. Das glaube ich nicht. Wenn ich junge Professorinnen mit Kindern sehe, dann eint uns, dass wir nie aufgehört und immer an uns geglaubt haben! Und solche Meinungen sind mir mittlerweile egal. Dafür bin ich jetzt selbstbewusst genug. Aber Selin, Frage an Dich. Du hast an unserem Leadership-Kurs teilgenommen, was hat sich dadurch verändert?
Aydin: Ich habe gelernt, mein Verhalten besser zu reflektieren und Souveränität zu fühlen. Und die Vernetzung hat uns Doktorandinnen einen großen Safe Space gegeben, in dem wir gemeinsam Muster entwickeln können, wie wir in schwierigen Situationen reagieren. Wir haben gemerkt, dass viele vor vergleichbaren Herausforderungen stehen, nur wussten wir nicht voneinander.
Büsing: So ein Umfeld hilft auch. Es gehört dazu, auch Hilfe anzunehmen.
Aydin: Ich habe jetzt schon den Eindruck, dass sich durch die Vernetzung unter uns Promovendinnen richtige Supportgruppen bilden, die sich in unterschiedlichen Phasen stützen. Das fühlt sich sehr gut an – und es sind bereits wertvolle Freundschaften entstanden. Die Promotion ist ein sehr spezieller Lebensabschnitt und da hilft es, wenn es Freundinnen gibt, die genau das verstehen.
Büsing: Mir fehlt so ein Netzwerk manchmal. Ich habe deswegen angefangen, Professorinnen zu mir nach Hause einzuladen und so den Austausch zu forcieren. Wir reden über die Nachmittagsbetreuung der Kinder wie auch über Forschungsanträge. Das ist auch das Geniale an der Universität: Ich habe solche Freiheiten und kann mit diesen Freiheiten gezielt Leute zusammenbringen. Wenn wir die komplexen Probleme unserer Zeit lösen wollen, dann brauchen wir viele unterschiedliche Blicke und weniger Einzelkämpferinnen und -kämpfer!
Aydin: Ja, wir brauchen mehr Diversität in den Vorbildern! Es gibt nicht nur einen Karrieretyp. Ich hatte bis zum Informatikstudium keine Vorbilder. Erst als ich dort die ersten Professorinnen kennengelernt habe, merkte ich, welche Vorbildfunktion diese Frauen für mich haben. Hattest Du Vorbilder?
Büsing: Vorbilder nicht. Aber ich habe von meinem Elternhaus mitgenommen: Wenn Du etwas willst, dann mach es!
Aydin: Ich habe in den Freundschaftsbüchern in der Grundschule schon geschrieben, dass ich Forscherin werden wollte. Meine Eltern haben mir dann auch das Gefühl gegeben, dass ich hoch hinaus könnte. Mit Studienbeginn gab es zwar Fragen, warum ich als Frau Informatik studiere, aber nun ist die Akzeptanz groß. Und jetzt: Immer weiter!
Büsing: Es lohnt sich total, diesen Weg zu gehen. Auch oder gerade mit Kindern.
Aydin: Apropos Kinder: Mutterschaft in der Promotion, ist das ein Thema, das man am Ende der Promotion eher weiter wegschieben sollte?
Büsing: Nein, bitte nicht! Mein erster Tipp ist: Wenn Du an der Universität bleiben möchtest, dann hast Du die Möglichkeit, Deine Promotionszeit um die Elternzeit zu verlängern. Der zweite Tipp ist: Berücksichtige, dass Dir die RWTH sehr viel Freiheit gibt, Deinen Tag zu gestalten. Diese Flexibilität braucht man, wenn man Kinder hat. Kinder werden krank, die Kita hat geschlossen – da muss ich zwangsläufig die Arbeitszeiten entsprechend gestalten. Zudem unterstützt die Universität mit vielen Angeboten, etwa bei der Betreuung. Natürlich hatte ich auf dem Weg zur Professur Druck und fragte mich: Schaffe ich das? Wie ist das mit Publikationen und Drittmitteln? Aber: Es wird zunehmend geschätzt, wenn man auf dem Weg zur Professur bereits Kinder bekommen hat, und das ist eine tolle Entwicklung.
Aydin: Bei uns Promovierenden ist da dieses unsichere Gefühl, ob die Dissertation mit einem Kind überhaupt machbar ist … aber das hört sich jetzt so an, als sei die Promotion eine gute Zeit, um Kinder zu bekommen.
Büsing: Ja, und auch die Postdoc-Zeit. Kinder relativieren ganz viel. Wenn ich frustriert aus der Uni komme, weil ich mit einem Beweis nicht weitergekommen bin, dann ist das plötzlich irrelevant. Denn keines der Kinder interessiert sich dafür, ob ich einen Approximationsalgorithmus gefunden habe. Sie wollen, dass ich sie in den Arm nehme, ihnen ein Buch vorlese, mit ihnen spiele. Das gibt mir Entspannung. Kinder sind der Hammer! Ich bin auch schon mit tiefen Augenringen durch die Gegend gelaufen. (lacht) Aber das ist es wert.
VORURTEILE WIDERLEGEN UND ABBAUEN
Die RWTH Aachen engagiert sich aktiv gegen tief verwurzelten Vorurteile und Denkmuster gegenüber Frauen in der Wissenschaft. Vorurteile sollen widerlegt und damit abgebaut werden, um so mehr Frauen den Weg in die Wissenschaften zu ermöglichen. „Wir arbeiten intensiv daran, dass es in Zukunft besser wird“, betont Professorin Sabine Brück, Prorektorin für Personal der RWTH.