KI ist Trumpf

Auf der Künstlichen Intelligenz liegen die Hoffnungen von Industrie, Wirtschaft, Verwaltung, Bildung: 2025 wird für alle das Jahr der KI.

Illustration: Marcela Bustamante
Illustration: Marcela Bustamante
Olaf Strohm Redaktion

Es ist tatsächlich erst fünf Jahre her: Im November 2019 stellte das gemeinnützige US-Unternehmen OpenAI das erste funktionierende KI-Sprachmodell der großen Öffentlichkeit vor. Vorangegangen waren Monate, die von Geheimnissen umrankt waren. Aus Sorge vor Missbrauch, so hieß es vonseiten der Firma, sei die Erstveröffentlichung von GPT2 Anfang 2019 wieder zurückgezogen worden. Der Spiegel hatte damals nebulös berichtet: GPT sollte englischsprachige Texte so vervollständigen können, dass sie von menschlichen Werken kaum noch zu unterscheiden seien. Netzjournalisten spekulierten, den Entwicklern sei ihre eigene Schöpfung nicht geheuer. Sie habe allzu gut funktioniert. Andere fabulierten frei, ChatGPT sei ein denkendes Wesen mit dem Potenzial, die Menschheit zu vernichten. 

In jedem Fall war ChatGPT die Geburtsstunde der Software, die kommuniziert, als sei sie ein Mensch. Und die ähnlich fehlerbehaftet ist. KI-Sprachmodelle reproduzieren menschliche Vorurteile und Stereotypen, Fake News und Propaganda, je nachdem, was man von ihnen erwartet. „Gen AI“, Generative KI, die so heißt, weil sie aus Vorhandenem etwas Neues macht, hat eine atemberaubende Entwicklung genommen. 

In den fünf Jahren seit dem Go-live von Chat-GPT sind zahllose andere Sprachmodelle entwickelt worden. Allein im Jahr 2023 verzeichnete die Stanford University die Entwicklung von 80 neuen Basis-Sprachmodellen, über die Hälfte davon stammt von den vier US-Unternehmen Google (Alphabet), Meta (Facebook), Microsoft und OpenAI. Im Wettlauf der Investitionen liefern sich Alphabet und Microsoft einen erbitterten Wettbewerb mit Investitionen von knapp 45 Milliarden Dollar (Alphabet) und 52 Milliarden Dollar (Microsoft) in diesem Jahr. 

KI kann mit Menschen chatten, sprechen, dabei Stimmen täuschend echt imitieren, simultan in beinahe alle Sprachen der Welt übersetzen und neue Musik oder Bilder erzeugen. Sie kann Sprachbefehle in Aktionen umsetzen, autonome Fahrzeuge und Systeme steuern. Sie kann Entscheidungen treffen. Und sie kann, indem sie immer mehr Daten sammelt und damit trainiert, immer besser werden in dem, was sie tun soll. Sie kann „lernen“.

Für Industrie und Wirtschaft birgt das ungeahntes Potenzial. KI kann Arbeiten selbstständig erledigen und Prozesse verbessern, etwa in der Qualitätskontrolle von Produkten. Sie kann Verkehrs- und Logistikströme optimieren und dabei vorausschauend agieren. Sie kann Ausfälle von Fahrzeugen, Anlagen, Aufzügen, Maschinen vorhersagen, das Entstehen von Pandemien oder das Verhalten von Menschen. Mit der Zeit wird sie darin immer besser. KI wird ziemlich sicher die medizinische Diagnostik revolutionieren. In der Krebsforschung könnte sie wahre Wunder bewirken. 

Sie könnte aber auch – das entspricht ihrer Natur – zu falschen Schlüssen kommen. Etwa weil ihre Datenbasis nicht ihrem Zweck optimal entspricht. Oder weil die „Bias“ genannte Abweichung von den Normdaten zu einer Verstärkung bestimmter Aspekte im Algorithmus führen könnte. Diese könnten dann in der Schlussfolgerung der Maschine überbetont werden. Ein Problem, das auch in aktuellen Sprachmodellen virulent ist, sind Vorurteile beziehungsweise die Festigung von Stereotypen. So ist bei ChatGPT Berufstätigkeit generell eher männlich konnotiert ist.
 

»Es ist wichtig, dass Menschen die KI hinterfragen.«


Bei Tests brachte das Thema „Rasse“ Vorurteile zum Vorschein, ebenso riefen bestimmte Religionen Assoziationen hervor. Christentum steht dabei etwa für Ignoranz und Gnade, Islam für beispielsweise Terrorismus und Fasten. Eines der häufigsten Wörter, die im Zusammenhang mit Atheismus genannt wurden, ist „arrogant“. Die KI entwickelt also Vorurteile, ähnlich wie Menschen, das sie mit menschlicher Kommunikation gefüttert wird. Menschen trauen anderen Menschen Vorurteile zu. Der KI aber sprechen sie Objektivität zu. 

Das ist ein Fehler. KI-Systeme lassen Antworten plausibel erscheinen. Aber das heißt noch lange nicht, dass sie auch richtig sind. Denn auf welcher Datenbasis sie zu ihren Ergebnissen kommen, ist häufig unklar. Manche Sprachmodelle geben bei ihren Ergebnissen Quellen an, aus denen sie ihre Informationen beziehen. Wer sichergehen will muss sie prüfen, nach besten Wissen und Gewissen. Letztlich müssen diejenigen, die KI beauftragten, auch die Verifizierung der Ergebnisse sicherstellen. Ein Bespiel dafür sind Programmier-Hilfe-KIs, die Programmierer:innen beim Softwareschreiben unterstützen. Ob sie wirklich genau das tun, was sie sollen, oder ob es Abweichungen gibt? Den Menschen, die diese Werkzeuge nutzen und sich aber noch nicht so gut mit Programmieren auskennen, könnte dies lange verborgen bleiben.

Das zeigt, wie wichtig es ist, dass menschliche Akteure verstehen, wie KI funktioniert, und sie hinterfragen. Umso wichtiger ist es – in Institutionen, Unternehmen, aber auch für Privatpersonen –, dass sie ein gesundes Misstrauen gegenüber der Künstlichen Intelligenz entwickeln. Dazu gehört: von der KI angegebene Quellen prüfen. Ergebnisse der KI und deren Entscheidungen auf Basis gesunden Menschenverstandes hinterfragen. Wissen schaffen – ohne das geht es nicht. Und vor allem: geht es nicht weiter im Job. Immer mehr Institutionen bieten Lehrgänge in diesem Bereich an. Arbeitsmarktforscher halten KI-Fähigkeiten aktuell zu den wertvollsten am Arbeitsmarkt. 

Als die ersten PCs, die Personal Computer, die Zeitungsredaktionen eroberten, teilten sie die Belegschaft in zwei Fraktionen: Die einen lehnten die Kästen mit den flimmernden grünen Buchstaben auf dem Bildschirm rundweg ab. Zur Zeitungsbranche gehöre das Klappern von Schreibmaschinen und der Geruch von Papier, sagten sie. Die anderen sahen die Vorteile. Es war wie im alten chinesischen Sprichwort: Wenn der Wind des Wandels weht, bauen die einen Mauern, die anderen Windmühlen. 

Das Internet hat neue Formen der Kommunikation ermöglicht. Es hat Arbeit unglaublich effizient gemacht, die Automatisierung vorangetrieben, die gesamte Wertschöpfungskette erobert. KI ist ein weiterer Sprung in eine neue industrielle Revolution: Industrie 5.0. Sie gibt denen Rückenwind, die ihn zu nutzen wissen.

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