Spannung herrschte bei der Verleihung des Deutschen Gründerpreises. Dann: Erleichterung und Jubel bei den Siegern. Maria Birlem, Christian Bruderreck , Philipp Schulien und Mark Kugel, Gründer des Start-ups „yuri“, fielen sich strahlend um den Hals. Maria Birlem erzählt, wie sie bis zur Grundschulzeit in Ostdeutschland aufwuchs. Yuri Gagarin und Sigmund Jähn nennt sie als ihre Helden – der Unternehmensname ist eine Hommage an den Russen, der als erster Mensch ins All flog.
Yuri organisiert für seine Kunden wissenschaftliche Experimente im All, die auf der Erde nur schwer möglich wären oder deutlich länger dauern würden. In vollautomatischen Minilaboren mit einer Kantenlänge von nur zehn Zentimetern fliegen Zellen ins All, um dort zu wachsen und Forschern Erkenntnisse für Medizin und Pharmazie zu verschaffen. „In der Schwerelosigkeit des Alls wachsen zum Beispiel Proteinmoleküle schneller und dreidimensional“, so yuri-Mitgründer Mark Kugel bei der Preisverleihung. Schon elf Mal hat das Team für Kunden aus aller Welt Missionen ins All geschickt. Die Gründerpreis-Jury lobte den außergewöhnlichen Pioniergeist sowie Mut, Kompetenz und Kraft in Krisenzeiten und die Passion, an den Erfolg im All zu glauben.
Gegründet wurde yuri im schwäbischen Meckenbeuren am Bodensee, inzwischen gibt es Standorte in Berlin und Luxemburg. „Wir haben in Meckenbeuren alles, was wir brauchen“, sagt Maria Birlem, „auch hervorragende Ingenieure.“ Yuri beweist, dass erfolgreiche Start-ups nicht zwingend in Großstädten wie Berlin und Hamburg angesiedelt sein müssen. Auch die deutsche Provinz und kleinere Städte bieten Chancen. Zwar ist Berlin weiter der Top-Gründungs-Hotspot. Jedoch schon auf dem zweiten Platz folgt die Metropolregion Rhein-Ruhr, vor München und Hamburg.
Sie alle zusammen sind daran beteiligt, dass Deutschland laut Start-up-Barometer des Beratungsunternehmens EY bei der Zahl der Start-up-Finanzierungsrunden hinter Großbritannien an zweiter Stelle in Europa liegt. Sogar im wirtschaftlich schwierigen Corona-Jahr 2020 legte die Zahl der Finanzierungsabschlüsse deutlich zu. Die Zahl der „Deals“ stieg von 2019 auf 2020 in Großbritannien mit 2.113 auf mehr als das Doppelte, in Deutschland im selben Zeitraum von 704 auf 743. Auch beim Finanzierungsvolumen liegt Großbritannien mit 13,9 Milliarden Euro deutlich vor Deutschland mit 5,3 Milliarden. Spitzenreiter unter den Finanzierungs-Hotspots bleibt London, gefolgt von Paris und Berlin. Auch im Bereich Start-ups bleibt demnach London, Brexit hin oder her, als Finanzmetropole in Europa bisher ungeschlagen.
Deutschland mag als Standort für Unternehmensgründungen diverse Schwächen aufweisen; dazu zählen vor allem eine hemmende Bürokratie mit digitalen Defiziten, die auch den Zugang zu Fördermitteln erschwert, sowie ein genereller Rückstand beim digitalen Ausbau. Doch offensichtlich fallen bei den Start-up-Gründern positive Standortfaktoren wie – im internationalen Vergleich – niedrige Lebenshaltungskosten, insbesondere deutlich niedrigere Mieten für Wohnungen und Geschäftsräume als in London oder Paris, mehr ins Gewicht. Dies gilt besonders beim Ranking der besten deutschen Gründungsstädte, das die Geldanlageplattform Weltsparen in ihrem Start-up-Locations Index 2021 aufgestellt hat. Danach sind nicht etwa Berlin, München oder Hamburg die besten Standorte für Start-ups; auf den Plätzen eins bis drei liegen vielmehr Dortmund, Hannover und Karlsruhe, gefolgt von Münster und Freiburg.
Positiv wirken sich hierzulande zudem kulturelle Vielfalt und verlässliche politische Rahmenbedingungen aus. Eine wichtige Rolle spielen auch das trotz aller Kritik gute Ausbildungssystem und gründerfreundliche Universitäten, die Spin Offs aus dem universitären Forschungsbetrieb heraus ermöglichen. Unterstützt werden Studierende, Absolventinnen und Absolventen sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zum Beispiel mit dem Gründerstipendium „Exist“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie und des Europäischen Sozialfonds.
Die Unterstützung zahlt sich aus. So haben viele Start-ups im Gegensatz zu etablierten Unternehmen während der Corona-Pandemie ihre Mitarbeiterzahl erhöht. Heute schon sind laut Bundesverband Deutsche Start-ups mehr als 400.000 Menschen bei Start-ups beschäftigt. Bis zum Jahr 2030, so die Prognose der Studie „Für ein Wirtschaftswunder 2.0 – wie Start-ups und Scale-ups den deutschen Arbeitsmarkt beflügeln“ sollen es mehr als 900.000 sein. „Die Studie zeigt, Start-ups sind eine Jobrakete“, sagt Christian Miele, Vorstandsvorsitzender im Bundesverband Deutsche Start-ups. „Das muss für eine neue Bundesregierung Ansporn sein, Deutschland zu einer Start-up-Nation zu machen.“
Viele Geschäftsmodelle haben das Ziel, Umweltschutz und Nachhaltigkeit zu fördern. Auch soziale Motive werden immer wichtiger. Über 40 Prozent der im Start-up Monitor des Beratungsunternehmens PwC erfassten Gründungen zählen sich und ihre Angebote zur Green Economy. „Immer mehr Start-ups wollen mit ihrem Business gezielt einen Beitrag zum Umwelt-, Klima- und Ressourcenschutz leisten und gesellschaftliche Probleme lösen. Dabei spielt sicher auch die Erkenntnis eine Rolle, dass die Nachfrage nach grünen Produkten und Dienstleistungen stetig steigt“, sagt Florian Nöll, Head of Digital Ecosystems bei PwC Deutschland.
Dabei bieten auch traditionelle Produkte Raum für Ideen und Verbesserungspotenzial. Erkannt haben das Stefan Holwe und Jan Roosen, Gründer von Horizn Studios in Berlin. Koffer von Horizn Studios richten sich an Geschäftsreisende. Sie verfügen über GPS, Powerbanks und Taschen für Laptop und Smartphone, werden aber nicht aus Plastik, sondern aus pflanzlicher Hartschale produziert – nachhaltig und haltbar, nach dem Motto „Repair, never replace“. Für die Gründer scheint außerdem das James-Bond-Motto „Die Welt ist nicht genug“ zu gelten: Gemeinsam mit der NASA hat Horizn Studios das weltweit erste Gepäckkonzept für die Raumfahrt entwickelt.