Unaufhaltsame Energiewende

Überfordert das Tempo die Bürger und  Unternehmen? Viele fürchten sich vor  hohen Anschaffungskosten, technischen Herausforderungen und steigenden Energiepreisen. Die Realität ist weniger dramatisch, als Kritiker suggerieren. 

Illustration: Emanuela Carnevale
Illustration: Emanuela Carnevale
Andrea Hessler Redaktion

Seit Putins Angriffskrieg auf die Ukraine und der folgenden Energiekrise wünschen sich immer mehr Menschen eine Wende zu erneuerbarer Energie. Die Akzeptanzumfrage der Agentur für Erneuerbare Energien (AEE) hat Ende 2022 gezeigt, dass die Angst um die Versorgungssicherheit, vor weiterer Abhängigkeit von autokratischen Staaten und vor Inflation zu einem Umdenken geführt hat. 86 Prozent der Bürgerinnen und Bürger sprachen sich damals für den Ausbau erneuerbarer Energien aus, vor allem Solarparks, Solardächer und Windenergieanlagen sowie die Nutzung von Umweltwärme und Wasserkraft, aber auch von Energieholz aus dem Wald und von Energiepflanzen wurden positiv bewertet.

Doch seit Monaten schwächelt die Wirtschaft, viele Menschen sorgen sich um ihre Finanzen. Da wirken Gesetze, die den Ausbau erneuerbarer Energien befördern, aber Geld kosten, zunächst mal als weiterer Stressfaktor. Vor allem das Gebäudeenergiegesetz (GEG), besser bekannt als Heizungsgesetz, sorgte für massive Widerstände und schlechte Laune. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov vom Juni 2023 wollen 48 Prozent der deutschen Wahlberechtigten die Wärmewende eher langfristig angehen, während 27 Prozent zur Eile mahnen und 12 Prozent der Meinung sind, dass eine Wärmewende gar nicht nötig sei. Die Hälfte der Wahlberechtigten hielt den ursprünglichen Gesetzentwurf für das neue GEG für schlecht und macht vor allem Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck dafür verantwortlich, dessen Beliebtheitswerte seit Monaten sinken. Omid Nouripour, Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, räumte bereits Defizite bei der Kommunikation zwischen Bürgern und Regierung ein.

Viele Maßnahmen sind stark erklärungsbedürftig. Das GEG etwa ist komplex, wurde mehrfach nachgebessert und soll in der jetzigen abgemilderten Form am 1.1.2024 in Kraft treten. Es gilt auch hier das alte Sprichwort, dass selten so heiß gegessen wird, wie gekocht wurde. So berichtet die Allianz Freie Wärme, eine Info- und Serviceplattform von Initiativen, Unternehmen und Verbänden aus den Bereichen Heizen und Wärme, dass Hausbesitzern dann viele Optionen der effizienten, dezentralen Wärmeerzeugung in Gebäuden zur Verfügung stehen. Vom GEG betroffen sind in erster Linie neue Gebäude. In diese dürfen nur noch Heizungen eingebaut werden, die mit mindestens 65 Prozent erneuerbaren Energien betrieben werden. Für bestehende Gebäude sind die von den Kommunen voraussichtlich bis Mitte 2026 oder 2028 zu erstellenden Wärmeplanungen entscheidend.

Ein Missverständnis ist geklärt: Bestehende Heizungen müssen trotz GEG nicht ausgetauscht werden. Es gibt Übergangsfristen, die alte Heizung darf repariert werden. „Positiv ist, dass das GEG gegenüber den ersten bekanntgewordenen Entwürfen nun deutlich technologieoffener ausgefallen ist“, sagt Markus Staudt, Hauptgeschäftsführer beim Bundesverband der Deutschen Heizungsindustrie (BDH). Nicht für jedes Gebäude eignet sich die optimal energieeffiziente Wärmepumpe. Andreas Müller, Geschäftsführer Technik beim Zentralverband Sanitär Heizung Klima (ZVSHK), rät Hausbesitzern: „Welches regenerative Heizungssystem fürs Haus das effizienteste ist und welche Fördermittel es dafür gibt, das wissen die Heizungsbauer vor Ort.“
Doch nicht nur beim Heizen, auch in anderen Bereichen der Energieversorgung gibt es noch viel zu tun. So stellt etwa das Umweltbundesamt fest, dass der Endenergieverbrauch in Deutschland seit Beginn der 1990er-Jahre kaum gesunken sei. Energie werde zwar immer effizienter genutzt und teilweise auch eingespart, aber Wirtschaftswachstum und gesteigerter Konsum verhindern einen stärkeren Rückgang des Verbrauchs. Es gibt jedoch auch positive Entwicklungen. So ist der Anteil der erneuerbaren Energien am Bruttoendenergieverbrauch schon auf über 20 Prozent gestiegen. Die Industrie verbrauchte in den vergangenen Jahrzehnten deutlich weniger Energie als früher – ein zweischneidiges Schwert, denn der Rückgang war vor allem auf die Abwicklung von Betrieben in den Neuen Ländern und auf die Verlagerung von energieintensiven Prozessen ins Ausland zurückzuführen.

 

MESSBARE ERFOLGE UND VIELE WEITERE AUFGABEN

Laut Umweltbundesamt ist der Ausstoß von Treibhausgasen in Deutschland 2022 um 1,9 Prozent auf 746 Millionen Tonnen gesunken. Seit 1990 gingen die Emissionen um mehr als 40 Prozent zurück. Allerdings gibt es einen Anstieg von Treibhausgasen bei der Energieerzeugung, da wieder mehr Kohle statt Gas verstromt wurde. Ändern lässt sich dies nur durch mehr erneuerbare Energien. Ihr Anteil am Gesamtenergieverbrauch soll bis 2030 auf 30 Prozent steigen. Heute schon tragen sie mit 46 Prozent zur Stromerzeugung bei. Bis 2023 sollen es mindestens 80 Prozent werden. Das bedeutet, dass sich die Ausbaugeschwindigkeit der entsprechenden Infrastruktur sogar verdreifachen muss. Die Internationale Energieagentur sagt, vor allem der Ausbau von Photovoltaik und Windenergie wird steigen. Laut Bundesregierung soll in Deutschland die installierte Leistung bei der Windenergie an Land um jährlich 10 Gigawatt zunehmen. Das neue „Wind-an-Land-Gesetz“ und Änderungen im Bundesnaturschutzgesetz sollen den Ausbau der Windenergie beschleunigen. Die Bundesländer müssen bis 2032 rund zwei Prozent ihrer Fläche für Windkraft ausweisen. Derzeit sind nur 0,5 Prozent der Flächen für Windkraft verfügbar. Der Ausbau von Solaranlagen soll bis 2030 um 22 Gigawatt auf 215 Gigawatt pro Jahr gesteigert werden.

Die Energiewende wird voraussichtlich bis 2050 etwa 550 Milliarden Euro kosten. Doch die Alternative Nichtstun wäre noch teurer. Eine Studie im Auftrag des BMWK besagt, dass der menschengemachte Klimawandel bis 2050 Schäden in Höhe von 280 bis 900 Milliarden Euro verursachen wird. Die individuellen Kosten von Bürgern und Unternehmen werden durch zahlreiche Förderprogramme abgefedert. Und die Energiewende schafft Arbeitsplätze. Heute schon liegt die Bruttobeschäftigung durch erneuerbare Energien bei mehr als 350.000 Arbeitsplätzen. 

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