Eine erfolgreiche Energiewende gelingt nur Hand in Hand mit den Bürgern

Das Energiesystem in Deutschland wird sich in 10 Jahren deutlich vom heutigen unterscheiden. Wie es aussehen soll und was es dafür braucht, erklärt Matthias Taft, CEO von BayWa r.e.

Matthias Taft, Vorstandsvorsitzender BayWa r.e.
Matthias Taft, Vorstandsvorsitzender BayWa r.e.
BayWa r.e. AG Beitrag

Herr Taft, was waren für Sie in den letzten Jahren die bedeutendsten Entwicklungen im Energiesektor? 
Es hat sich viel getan. Die Folgen des Klimawandels sind im öffentlichen Bewusstsein angekommen und damit die Erkenntnis, dass eine Energiewende unabdingbar ist. Der Fokus liegt jetzt darauf, wie wir mehr Erneuerbare Energien schneller ans Netz bringen. Der Ukraine-Krieg war sicherlich ein einschneidendes Ereignis. Er hat uns die schwierige Abhängigkeit von fossilen Energien gezeigt und wie wichtig die Erneuerbaren für die Versorgungssicherheit sind. 

Genauso bezeichnend ist eine andere Entwicklung: Die Kosten von Erneuerbaren Energien, vor allem Photovoltaik (PV) und Wind, sind massiv gesunken. Das zeigt sich in der steigenden Zahl förderfreier Anlagen. Wir haben schon 2018 den ersten förderfreien Solarpark in Europa errichtet und das wird in wenigen Jahren die Norm sein. Solar- und Windkraft sind zweifellos die günstigsten Energiequellen. Das ist ein echter Meilenstein!

Was muss in den nächsten 10 Jahren passieren und wie sollte unser Energiesystem dann aussehen?
Die Folgen des Klimawandels sind schon jetzt überall auf der Welt spürbar. Wir sind noch weit vom 1,5-Grad-Ziel entfernt. Daher müssen wir den Ausbau weiter beschleunigen. Zahlreiche Studien zeigen, dass die installierte Leistung von Wind und PV in Deutschland bis 2045 bis zu 700 GW erreichen kann, das ist eine Verfünffachung der heutigen installierten Leistung!  Ein Energiesystem, das auf bereits heute verfügbaren Erneuerbaren-Technologien basiert, ist technisch machbar – und wirtschaftlich! Was wir aber brauchen, ist mehr Flexibilität im System, um neue Verbraucher und Erzeuger zu integrieren. Stichwort Wärme und Elektromobilität. Dafür benötigen wir mehr Batterie- und Zwischenspeicher sowie den Ausbau intelligenter Stromnetze. Das aktuelle Marktsystem ist noch zu starr.    

Was sind die Hindernisse auf dem Weg in diese Energiezukunft?
Auch wenn in den letzten Jahrzehnten viele Chancen liegen gelassen wurden, hat sich die Dynamik gedreht. In der EU und in Deutschland sind in den letzten 1-2 Jahren viele richtige Weichen gestellt worden. Diese müssen nun vor Ort ankommen. Genehmigungsverfahren wurden zum Beispiel per Gesetz beschleunigt, in den lokalen Behörden wird aber noch mit Papier und Stempel gearbeitet. Hier bräuchten wir dringend digitalisierte Prozesse. 

Die Akzeptanz ist generell gewachsen, aber es gibt immer noch starke Vorbehalte. Wir müssen die Bürger, Kommunen und die Landwirtschaft mitnehmen. Dafür müssen auch rechtliche Hürden für die Umsetzung innovativer Ideen wie schwimmende PV, Agri- oder Biodiversitäts-PV abgebaut werden. 

Der Netzausbau muss schneller vonstattengehen, das ist und bleibt ein großes Problem. Und nicht zuletzt brauchen wir die notwendigen Fachkräfte, wenn wir die Erneuerbaren-Projekte so multiplizieren wie geplant, insbesondere im Blue-Collar-Bereich.  

Welche Maßnahmen gibt es denn, um genügend Talente für den Energiesektor zu gewinnen? 
Laut einer Studie im Auftrag des Bündnis 90/Die Grünen werden bis 2030 zusätzlich 440.000 Fachkräfte benötigt. Diese Stellen gilt es zu besetzen, sonst steht die Energiewende auf dem Spiel. Wir bedienen uns hier aus dem gleichen Talentepool wie andere große Firmen aus dem Tech-Bereich. Unser Vorteil ist, dass eine sinnstiftende Arbeit für den Klimaschutz viele Menschen anzieht, auch aus anderen Bereichen. Wir schulen unsere Mitarbeitenden dann „on the job“ und haben interne Lern- und Austauschformate etabliert, um das Ziel der Weiterbildung zu erreichen. Außerdem setzen wir auf eine flexible und internationale Unternehmenskultur. 

Ein Kernproblem ist die Entsendung in ausländische Konzerntöchter und die Einstellung ausländischer Fachkräfte in Deutschland. Dies ist aufgrund der EU-weit immer noch nicht angeglichenen Beschäftigungsgesetze kompliziert. Hier fordern wir Erleichterung, ebenso wie einen Angleich der Ausbildungs-, Studien- und Sozialversicherungsstandards.

 

Jedes Jahr sollen in Deutschland 10 GW Windkraft an Land zugebaut werden.
Jedes Jahr sollen in Deutschland 10 GW Windkraft an Land zugebaut werden.

Sie haben vorhin das Thema Akzep-tanz angesprochen. Welche Lösungen sehen Sie, um diese bei den Bürgern vor Ort in puncto Energiewende zu erhöhen?
Eine erfolgreiche Energiewende sehe ich nur Hand in Hand mit den Gemeinden und Bürgerinnen und Bürgern. Regionale Wertschöpfung und lokale Beteiligungsmöglichkeiten sind dabei essenziell. In Deutschland haben wir bei Windparks zum Beispiel einen speziellen Bürgerstromtarif eingeführt, bei Solarparks bieten wir Crowdfunding-Optionen. Maßnahmen zur Förderung der Biodiversität und Nachhaltigkeit vor Ort werden von uns ebenso umgesetzt. Wichtig ist eine transparente Kommunikation der Vorteile für den Einzelnen von Seiten der Unternehmen und der kommunalen Entscheidungsträger. Und natürlich müssen Unternehmen der Energiebranche mit einem guten Nachhaltigkeitsmanagement Vorbild sein. 

Und was erwarten Sie von der Politik?
Die politischen Ziele sind klar: Jedes Jahr 22 GW an PV für Freifläche und Aufdachanlagen und 10 GW an Windkraft an Land! Bei der PV geht es darum, Landnutzungskonflikte zu verringern. Daher unterstützen wir Lösungen wie Agri- und Biodiversitäts-PV, die eine Mehrfachnutzung von Flächen ermöglichen. Wichtig ist uns, dass diese weiterhin als landwirtschaftliche Flächen gelten, damit die Landwirte an Bord bleiben. Bei der Windkraft muss die Flächen-Ausweisung durch die Bundesländer schneller und unkomplizierter vonstattengehen. Bisher ist weniger als 1 % der Bundesfläche für Wind an Land ausgewiesen! 

Beim Netzausbau braucht es Konsequenz. Ein wichtiger Punkt ist, dass die geplante Duldungspflicht von Landeigentümern für Anschlussleitungen tatsächlich eingeführt wird. Beim Aufbau eines europäischen Produktionsnetzwerks in der Erneuerbaren-Industrie fehlt uns noch eine klare Linie. Eine Diversifizierung der Lieferketten halten wir für fundamental. Dazu braucht es aber eine Unterstützung der heimischen Industrie, um im globalen Wettbewerb zu bestehen.  
Es gilt noch viele Herausforderungen zu bewältigen, aber die Weichen sind gestellt. Konsequente Entscheidungen auf Seiten der Politik und der Unternehmen werden die Energiezukunft in Deutschland sichern!

www.baywa-re.com

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