Resiliente Lieferketten

Die einen sehen im deutschen Lieferkettengesetz einen  substanziell bedrohlichen Papiertiger. Die anderen rechnen mit  handfesten Wettbewerbsvorteilen durch krisensichere Wertschöpfungsketten.  

Illustration: Emanuela Carnevale
Illustration: Emanuela Carnevale
Lena Bulczak Redaktion

Umwelt- und Menschenrechtsverletzungen lauern im Konsumalltag so gut wie überall – von den günstigen Bananen im Supermarktregal über die schicken neuen Lederschuhe bis hin zum Smartphone oder Kinderspielzeug. Selbst wer ethisch korrekt einkaufen gehen will, blickt nicht durch, und auch Unternehmen können häufig nicht sicher wissen, wie viel Hungerlöhne, Kinderarbeit oder Umweltverschmutzung in ihren eingekauften Produkten stecken. Zu undurchsichtig und verzweigt sind die weltweiten Wertschöpfungsketten.

Doch Konzerne wie Mittelständler rüsten auf: Angestoßen durch das neue „Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten“ (LkSG) haben sie eine Vielzahl neuer Stellen geschaffen. Bei großen Automobilherstellern prüfen 50-köpfige Abteilungen ihre Lieferanten. Experten kalkulieren dem Manager Magazin zufolge konservativ mit mindestens einer Milliarde Euro neuer Fixkosten, die dadurch in der deutschen Wirtschaft anfallen. Doch ist dieses Geld auch gut investiert? Bringt das Gesetz, was es verspricht?

 

KEINE GARANTIE FÜR WIRKSAMKEIT

Das gewerkschaftliche Netzwerk TIE Bildungswerk sieht die größte Gefahr des Lieferkettengesetzes darin, dass es als Papiertiger endet. Und auch Christian Schliemann-Radbruch vom European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), dessen Expertise darin liegt, Staaten wie Konzerne auf die Einhaltung von Menschenrechten zu verklagen, sieht in dem Gesetz aktuell mehr eine Chance als eine Garantie: „Wir laufen Gefahr, dass Unternehmen einen ‚Tick-the Box-Ansatz‘ verfolgen“, sagt Schliemann-Radbruch. Das heißt, sie würden zwar pro Forma entsprechende Kriterienkataloge und Berichte erstellen, um ihren gesetzlichen Pflichten nachzukommen. Damit sei aber nicht notwendigerweise etwas für die Menschenrechte erreicht. Er erwartet daher einen spannende Zeit bis Ende 2024, wenn anhand von konkreten Fällen klar wird, wie das Gesetz tatsächlich wirkt.

Dass das neue Gesetz unerwünschte Nebenwirkungen haben kann, bestätigt eine Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) unter 2.400 deutschen Unternehmen. Knapp ein Viertel der großen Unternehmen erwägt demnach wegen der neuen Pflichten einen Rückzug oder Abbruch von Handelsbeziehungen in Risikoländern, was den Zielen des Gesetzes einen Bärendienst erweisen würde. Die Karlheinz-Böhm-Stiftung “Menschen für Menschen“ warnt daher bereits jetzt vor negativen Folgen für Kleinbauern in Äthiopien. Das Lieferkettengesetz, für das auf EU-Ebene aktuell ein verschärftes Pendant in Planung ist, würde dazu führen, dass sich europäische Röster aus Äthiopien zurückziehen, beklagt ihr Vorstand Sebastian Brandis. Den Preis zahlten die sechs bis sieben Millionen Menschen, die dort vom Kaffee leben und denen die Stiftung ein besseres Einkommen verschaffen will.

 

NACHWEISPFLICHT WIRD ABGEWÄLZT

Noch dazu sparen immer noch viele große Unternehmen an der eigenen Risikoanalyse und versuchen, die Kosten durch entsprechende Verträge auf kleinere Zulieferbetriebe abzuwälzen. So landet die Nachweispflicht heute regelmäßig bei kleinen Handwerksbetrieben, Marmeladeherstellern oder Metzgern, obwohl aktuell nur Unternehmen mit mindestens 3.000 Mitarbeiter:innen unter das Gesetz fallen und ab 2024 mit mindestens 1.000 Beschäftigten.

„Ein cleveres Unternehmen fragt sich heute schon, wo beim Lieferkettengesetz der eigene Mehrwert liegt“, hält Elisabeth Fröhlich, Professorin für strategische und nachhaltige Beschaffung der CBS International Business School, den Zauderern entgegen. Fast jedes Unternehmen, mit dem sie im Austausch sei, erweise sich zunächst als “unfit” für das Lieferkettengesetz, aber keines scheitere daran. Zumal es im ganz ureigenen Interesse der Unternehmen läge, die Menschenrechte zu achten. Denn es gebe bereits ausreichend empirische Beweise, dass Lieferketten bei Achtung der Menschenrechte besonders widerstandsfähig sind.

 

RESILIENZ ALS WETTBEWERBSVORTEIL

Für Fröhlich liegt die charmante Konsequenz des Gesetzes schon jetzt in dem neuen Fokus auf Nachhaltigkeit, den es anregt. Spezialisten in cleveren Unternehmen hinterfragen dadurch Schritt für Schritt die Lieferkette und versuchen, die Probleme gemeinsam mit den Lieferanten zu lösen. Das Ergebnis sind resiliente Lieferketten; nämlich solche, die genau deswegen so gut funktionieren, weil sie weniger Risiken ausgesetzt sind. Sie sind widerstandsfähiger gegenüber allen möglichen Störungen wie Transportunterbrechungen aufgrund von Überschwemmungen oder Hitzewellen. Oder auch wenn, wie in der Pandemie, plötzlich ganze Werke stillstehen, weil zu viele Mitarbeitende ausfallen. 

Im internationalen Wettbewerb kann das dann für deutsche und europäische Unternehmen ein potenziell ausschlaggebender Wettbewerbsvorteil werden. „Europa hat mit diesem Gesetz wieder die Chance, wirtschaftlich ganz nach vorne zu kommen, denn die Erfüllung der gesetzlichen Auflagen ist nichts anderes als eine lohnenswerte Investition in die Zukunft des eigenen Unternehmens“, meint Fröhlich.

 

TIPPS VON DER NEUEN SUPERBEHÖRDE BAFA

Ähnlich wie die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) das Verhalten der Banken in Bezug auf Kapitalmarkt und Anleger kontrolliert, wird das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) nun infolge des deutschen Lieferkettengesetzes die Unternehmen auf die Einhaltung von Umweltstandards und Menschenrechten kontrollieren. 

Damit steigt das BAFA zur neuen Superbehörde auf. Mit einem neuen Leitfaden will das Amt Unternehmen nun helfen, ihre rechtlichen Pflichten einzuhalten. Die „Handreichung zur Zusammenarbeit in der Lieferkette“ will deutlich machen, wozu Unternehmen ihre Zulieferer qua Gesetz auffordern können und wozu nicht. Noch dazu enthält sie Empfehlungen für die konstruktive Zusammenarbeit. Hinzu kommt eine mehrseitige Liste mit vertiefender Literatur, Tools im Internet und Wirtschaftsinitiativen, die Beratung anbieten.

Die bekannten Schwachpunkte hat natürlich auch das BAFA auf dem Schirm. Eine einfache Vergleichsmethode kann helfen, um zu erkennen, wo Unternehmen zu viel Verantwortung auf ihre Zulieferer schieben: Dokumentieren zwei Unternehmen ähnlicher Art und Größe sehr unterschiedliche personelle Anstrengungen, könne der Sparfuchs davon ausgehen, dass sich die Kontrolleure bei ihm näher umschauen werden. Und um der unerwünschten Nebenwirkung vorzubeugen, dass Unternehmen sich aus Risikoländern zurückziehen, statt die Arbeitsbedingungen entlang der Lieferkette zu verbessern, hat BAFA-Präsident Torsten Safarik bereits angekündigt, bei der Prüfung Augenmaß walten zu lassen.

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