Herr Lang, in der Industrie 4.0 hat sich ein neuer Begriff etabliert: Statt IoT heißt es nun IIoT, also Industrial Internet of Things. Was verbirgt sich hinter dem Begriff?
Mit Industrial IoT ist die digitale Vernetzung der „Dinge“ im Produktionsumfeld gemeint – also von Maschinen und Produktions-IT wie ERP, CAQ oder MES Systemen, sowie die Einbindung der Mitarbeiter.
Die Digitalisierung ist gerade für den Mittelstand im produzierenden Gewerbe Chance und Notwendigkeit, um im Wettbewerb zu bestehen, schneller und effizienter zu arbeiten. Lean Production ist in Zei-ten erhöhter Terminanforderungen und zunehmender Kleinteiligkeit der Produktionslosgrößen nur mit digitalisierten Prozessen zu schaffen. Effizienzmaßnahmen hießen früher fast immer, an der Personalkostenschraube zu drehen. Heute ist Digitalisierung das Mittel der Wahl.
Eine entscheidende Bedeutung haben dabei Daten, die an der Maschine und am Werkstück anfallen. Es geht um Produktionsvor-gaben, Bearbeitungsstände, Qualitätsdaten, aber auch Effizienzdaten wie Maschinenauslastung oder Störungen. Diese Daten gilt es, digital zusammeln und so in Echtzeit analysierbar zu machen. Sie schaffen Überblick über laufende Aufträge, ihre Analyse kann Fehlerquellen aufzeigen, die Qualität erhöhen und Abläufe optimieren. Idealerweise läuft das über eine digitale Plattform, die alle Prozesse – vom Wareneingang über die Produktion bis zur Auslieferung – digital überwacht und auch in der Lage ist, diese Daten an Produktionsleitsysteme oder das ERP zu übergeben.
Sie bieten mit toii® eine solche Plattformlösung.
toii® ist eine modular aufgebaute Plattformlösung, mit dem das produzierende Gewerbe die Möglichkeiten der Digitalisierung nutzen kann; von digitalen Transparenzprodukten bzgl. Anlagennutzung und Effizienzen bis hin zu Teil- und Vollautomatisierungen von bisher papierbasierten Prozessen und damit der Verwirklichung der „Smart Factory“.
Für die einfachste Ausbaustufe gibt es toii®.Lights. Sie besteht aus der toii®.Lights Box und einer Stapellampe. Die Box zeichnet den Maschinenverlauf und Stillstandszeiten auf, der Maschinenbediener kann über die Box vordefinierte Gründe für einen Stillstand eingeben. Die Stapellampe zeigt den Maschinenstand an, die Daten werden in einer App visualisiert. So haben die Verantwortlichen jederzeit Klarheit über die Maschinenauslastung und können so schon Abläufe verbessern. In der Endausbaustufe verwirklichen wir als Manufacturing Execution System-Lösung ein nahtloses und optimales Zusammenspiel von Produktionsmanagement und Intralogistik. Hier wird termingerecht das richtige Material ausgelagert, vorkommissioniert, auf der optimalen Transportroute zu den richtigen Maschinen gebracht und am Ende am Warenausgang bereitgestellt.
Was zeichnet Ihre Lösung gegenüber anderen aus?
Prinzipiell können wir alle Maschinen einbinden – also auch solche, die über keinerlei digitale Schnittstellen verfügen. Unser Anliegen ist es, heterogene Maschinenparks mit zum Teil sehr alten Maschinen an eine digitalisierte Lösung anzubinden. Wir könnten sogar – etwa über die toii®.Lights Box – auch eine hundert Jahre alte Dampfmaschine in unsere Plattform integrieren und ihre Maschinendaten digital darstellen. toii® erlaubt es Firmen jedweder Größe und jedwedem Modernisierungsgrad, die Vorteile der digitalisierten Produktion zu nutzen. Zudem kommen wir selbst aus der Produktion. Wir kennen die Abläufe im produzierenden Gewerbe. Dieses Wissen verknüpfen wir mit unserer Softwarekompetenz. Geht es um die Optimierung von Prozessen, ziehen wir auf Wunsch Beratungsleistungen unserer internen und externen Partner hinzu.
Wie sieht das in der Praxis aus?
In den Vorgesprächen mit unseren Kunden steht in der Regel ein offenkundiges Problem im Mittelpunkt, häufig aus dem Bereich der Qualitätssicherung, Produktivitätssteigerung, zunehmend auch der Nachhaltigkeit.
Ein Hersteller von Stoßdämpfern etwa hatte mit hohen Ausschussquoten zu kämpfen, ohne dass die Ursache ersichtlich war. Mit unserer Hilfe konnten die Maschinendaten erstmals gesamthaft dargestellt, die Ursachen für Fehlproduktionen erfasst und geeignete Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Der Ausschuss wurde um 32 Prozent gesenkt, die Produktion durch verbesserte Maschinenparameter gesteigert. Ein Stahlservice-Center kämpfte mit Stillständen durch zeitaufwändiges Einstellen der Produktionsmaschinen für jeden Auftrag, Qualitätsmessungen und Störungen. Dank unserer Lösung wurden diese Vorgänge entweder voll- oder teilautomatisiert. Das Ergebnis sind eine zehnprozentige Produktionssteigerung und 53 Prozent weniger Störzeiten. Und ein Hersteller von Kabelkanalsystemen wollte neben der Überwachung von Extrusions- und Spritzgussmaschinen auch wissen, wieviel Strom für seine Produkte verbraucht wurde.
Die thyssenkrupp Materials IoT GmbH wurde 2019 als Spin Off der thyssenkrupp Materials Services gegründet. Wie kam es zu dieser Entscheidung, wie hat sich Ihr Unternehmen seither entwickelt?
Zur thyssenkrupp Materials Services-Gruppe gehört eine Vielzahl an Unternehmen aus dem produzierenden Gewerbe – die ganze Bandbreite des Mittelstands. Als Gruppe haben wir nach einer Lösung gesucht, mit der wir die Potentiale der Digitalisierung nutzen können. Am Markt wurden wir aber nicht fündig. Was uns vor allem fehlte, war die Digitalisierung der „ersten Meile“, also die angesprochene Einbindung auch älterer Maschinen und die Möglichkeit, eine Lösung flexibel und individuell an die Gegebenheiten eines Unternehmens anzupassen. Deshalb beschlossen wir vor knapp acht Jahren, unsere eigene Lösung zu bauen und sie zunächst intern einzusetzen. Dass wir mit toii® jetzt nach draußen gehen, erlaubt uns Einblicke in Bereiche, die wir noch nicht kennen. Mit der Orientierung nach außen bleiben wir außerdem am Ball bei der Weiterentwicklung von toii®. Mittelfristig wollen wir unser im Übrigen sehr divers aufgestelltes Team von aktuell 15 Leuten auf 50 erweitern, um die Wünsche unserer Kunden noch besser abbilden zu können. Dabei werden wir uns weiterhin auf den Bereich der metall- und kunststoffstoffverarbeitenden Industrie konzentrieren.