Die Karten werden neu gemischt

Auf der diesjährigen IAA Mobility haben sich chinesische Elektroauto-Hersteller sehr selbstbewusst präsentiert. Jetzt kommt es für die deutschen Hersteller darauf an, dem etwas entgegenzusetzen.  

Illustration: Emanuela Carnevale
Illustration: Emanuela Carnevale
Kai Kolwitz Redaktion

Die Internationale Automobilausstellung IAA war immer das Hochamt der deutschen Autoindustrie. Hier wurden die neuesten Golf, E-Klasse, Dreier, Fünfer und Siebener vorgestellt. Medien wie Publikum erwiesen den Marken die Ehre. Hier, beim Heimspiel, kamen erst einmal VW, Audi, Mercedes, BMW und Co. Und dann erst einmal eine ganze Weile nichts.

Bei der diesjährigen Ausgabe im September in München war die Lage anders. Die Schlagzeilen dominierten nicht die neuesten Erzeugnisse deutscher Ingenieurskunst, sondern andere: Diverse chinesische Hersteller von Elektroautos reisten an und legten selbstbewusste Auftritte hin: BYD, Xpeng, Leapmotor – viele Markennamen, von denen die allermeisten Auto-Interessenten wohl noch nie gehört hatten.

 

BUILD YOUR DREAMS TOPPT MERCEDES

Der Stand von BYD – das steht für „Build your Dreams“ – zum Beispiel war doppelt so groß wie der von Mercedes. Präsentiert wurde neben drei anderen in Deutschland verfügbaren Modellen das Modell Dolphin. Abmessungen und die vom Hersteller angegebene Reichweite sind etwa auf dem Niveau des VW ID.3, der in einer elektrifizierten Autowelt einmal den Platz des VW Golf einnehmen soll. Den Volkswagen gibt es ab knapp 40.000 Euro. Den chinesischen Rivalen könnte man indes für rund 4.000 Euro weniger mitnehmen.

Da Elektroautos momentan per se teurer sind, als man es von Benzinern und Dieseln gewohnt war, sind Käufer ziemlich preissensibel. Ein Angebot wie der BYD Dolphin könnte durchaus dafür sorgen, dass E-Auto-Interessenten statt zur deutschen Traditionsmarke zum chinesischen Newcomer greifen. Auf dem Heimatmarkt China ist der Dolphin jedenfalls schon in sechsstelliger Zahl auf der Straße. 

Was die E-Mobilität angeht, ist China in Sachen Technologie im Vorteil. Vor allem bei den Akkus, einer der teuersten und entscheidendsten Komponenten eines Elektroautos. BYD zum Beispiel begann als Batteriehersteller, lange bevor das Unternehmen Autos baute. Als Zulieferer hat man unter anderem  Tesla auf der Kundenliste. Und der chinesische Batteriehersteller CATL ist inzwischen einer der zehn größten Autozulieferer der Welt, CATL-Akkus kommen unter anderem in Fahrzeugen von BMW zum Einsatz. Auf der IAA präsentierte man eine neue Batteriegeneration, mit deren Hilfe sich E-Autos innerhalb von zehn Minuten für 400 Kilometer Reichweite aufladen lassen sollen. 

Um die Abhängigkeit zu verringern, arbeiten diverse deutsche Hersteller derzeit daran, sich in Sachen Akkus unabhängig von chinesischen Zulieferern zu machen. So will Porsche nach einem Bericht des „Manager Magazin“ einen Standort in Tübingen zur Großfabrik ausbauen. VW will ab 2025 eigene Akkus in Salzgitter herstellen. Und Mercedes fährt mehrgleisig: Einerseits fertigt man in Kamenz und Untertürkheim selbst Batterien. Andererseits hat man seit 2020 eine Partnerschaft mit CATL. Aus einem Werk der Chinesen, das gerade in Ungarn errichtet wird, sollen in Zukunft ebenfalls Akkus für Mercedes-Modelle kommen.

Kooperationen wie diese sind auch für andere deutsche Hersteller ein Mittel, um bei der Entwicklung neuer E-Fahrzeuge schneller voran zu kommen. So hat sich VW in diesem Jahr bei dem erst 2014 gegründeten chinesischen Hersteller Xpeng eingekauft. Und nachdem die VW-Software-Tochter Cariad bei der Entwicklung eines eigenen Betriebssystems in große Schwierigkeiten geraten war, wurde im April ein gemeinsames Unternehmen von Cariad mit der chinesischen Software-Firma Thundersoft angekündigt. 

Mercedes hat derweil seine Beteiligung an seinem Joint Venture mit BYD zwar verringert. Eines dessen Produkte, der Edel-Elektro-Van Denza D9, soll aber in Zukunft auch nach Europa importiert werden. Auch BMWs elektrisch angetriebener Mini und künftige Modelle der Marke Smart werden aus China kommen, gebaut in Kooperation mit den Herstellern Great Wall Motors und Geely.

Die wichtigste Aufgabe für die deutschen Hersteller in den kommenden Jahren wird es wohl werden, die eigene Wertschöpfung nicht aus den Augen zu verlieren – zumal sich im Nutzfahrzeugbereich ähnliche Entwicklungen andeuten wie bei den Personenwagen. So hat der chinesische Hersteller SAIC bereits ohne allzu große PR damit begonnen, elektrisch angetriebene Transporter seiner Nutzfahrzeugmarke Maxus in Deutschland zu vermarkten. Der elektrisch angetriebene Kleinlieferwagen BYD ETP 3 wird immerhin bereits in den Niederlanden verkauft. 

Und bei den schweren elektrischen Nutzfahrzeugen steckt die Entwicklung zwar generell noch in den Kinderschuhen. Doch die Analysten der chinesischen Investmentbank CITIC Securities gehen davon aus, dass im Jahr 2025 in China etwa jeder sechste schwere LKW elektrisch fahren wird - teils mit Akku-Paketen, die sich in wenigen Minuten wechseln lassen sollen. Man kann davon ausgehen, dass diese Technologie auch ihren Weg nach Europa suchen wird. 

Um konkurrenzfähig zu bleiben, müssen die deutschen Hersteller wohl einerseits die Kosten drücken und Rückstände aufholen – und andererseits die eigenen Stärken herausstellen: Premium-Qualität bei der Fertigung, die Expertise bei den Fahrwerkskomponenten und beim Fahrgefühl – in dieser Hinsicht verbinden sich viele Hoffnungen mit BMWs Neuer Klasse und dem elektrischen Mercedes CLA, die auf der Messe als Studien zu sehen waren. 

Und was auch zählt, sind größere Wertstabilität und größere Sicherheit für die Kunden. Denn derzeit tummeln sich auf dem chinesischen Markt für Elektroautos etwa um die hundert Marken. Es ist davon auszugehen, dass es zu Marktbereinigungen kommen wird. Auch Hersteller, die nach Deutschland exportieren, könnten in solch einem Umfeld plötzlich vom Markt verschwinden – mitsamt Ersatzteilen und Werkstätten. 

Was die Gewichte außerdem verschieben könnte, sind Entscheidungen auf europäischer Ebene. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen dachte im Umfeld der IAA bereits laut über Strafzölle für Elektroautos aus chinesischer Produktion nach, wegen des Verdachts unlauterer staatlicher Subventionen. Allerdings sind selbst unter den deutschen Herstellern viele nicht begeistert von der Idee, Importe aus China zu sanktionieren. Dort könnte man sich nämlich revanchieren. Und auf dem chinesischen Markt verdienen Mercedes, BMW und Co. nach wie vor gutes Geld. 

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