Wie auch immer die Europawahl ausgegangen ist – wir wissen es nicht, denn dieser Text ist vor der Wahl in den Satz gegangen. Mutmaßlich ist sie für die Ampelparteien nicht allzu gut ausgegangen. Mutmaßlich haben FDP und SPD verloren, die Partei der Grünen vielleicht sogar krachend – obwohl nicht die Spitzenkandidatin, sondern die Prominenten der Partei den Wahlkampf bestimmten. Annalena Baerbock und Robert Habeck verkündeten Botschaften wie „Europa verteidigen“ und „Wohlstand erneuern“, die entschlossen wirken sollten. Dahinter stand ein Kalkül: Es geht in die nächste Runde. 2025 wirft seine Schatten voraus. Der Wahlkampf um den nächsten Bundestag ist eröffnet.
Die Ampelparteien sehen dabei nicht gut aus: Zank ums Geld, um Zuständigkeiten, um die Stoßrichtung. Eines aber ist sicher: Energie wird im Wahlkampf 2025 eines der entscheidenden Themenfelder sein. Wie kaum ein anderes Land ist das Industrieland Deutschland auf sichere und bezahlbare Energie angewiesen. Zugleich muss es ambitionierte Klimaziele einhalten. Die nachhaltige Transformation des Energiesektors ist ein Drahtseilakt, mithin eine der größten Aufgaben unserer Zeit. Der aktuelle Energieminister Habeck lässt dies nicht offen. Seit Beginn seiner Amtszeit ist er unermüdlich darin, die Energiewende zu erklären und auch schwierige Details nicht auszulassen. Die Absicht dahinter ist klar: Habeck muss unpopuläre und teure Entscheidungen treffen – und sie anschließend nicht nur seinen Wählerinnen und Wählern, sondern allen Deutschen schmackhaft machen.
Das gelingt mal besser (Gasspeicher), mal weniger gut (Heizungsgesetz). Immerhin kann niemand sagen, er oder sie wisse nicht, was der Energieminister tut. Ob es um den Stand der Stromwende geht oder um die Transformation der Stahlindustrie. Um einen Windpark in Bad Berleburg oder den Bau eines LNG-Terminals auf der Ferieninsel Rügen – seine kumpelhaften Erklärvideos kursieren in den sozialen Medien, vieltausendfach gelobt, vieltausendfach verdammt. Kaum ein anderer Politiker stieg im Lauf einer Legislatur so hoch, fiel so tief und wurde dann wieder auf den Sockel gehoben. Man erinnere sich an den gemütlichen Peter Altmaier. Oder an Brigitte Zypries. Wie eine konsistente Politik in diesen wechselhaften Zeiten gelingen soll, wollten wir Habeck selbst fragen. Leider hat er ein Interview abgelehnt, die Terminlage lasse es nicht zu.
»Energie wird im Wahlkampf 2025 eines der entscheidenden Themenfelder sein.«
Klar ist: Die Zeiten haben sich geändert. Habeck wurde gewählt und ist angetreten, um unpopuläre Entscheidungen zu treffen, die seine Wählerinnen und Wähler häufig nicht gewillt sind zu treffen. So gut wie jedem und jeder Grünen-Wähler:in dürfte klar sein, was jeder und jede Einzelne tun oder lassen könnte, um Energie einzusparen und dem Klimawandel entgegenzutreten: Haus dämmen, Heizung modernisieren, weniger Fernreisen, SUV downgraden, weniger Fleisch essen. Was ebenfalls viele im Hinterkopf haben, es aber nicht auszusprechen wagen: die Industrie stärker belasten.
Habeck soll nun richten, was sein Wahlvolk verweigert. Aber bitte ohne Verbote, weil das die AfD stärken könnte. Ohne Erdgas, weil das dem Kriegstreiber Putin entgegenkommen würde. Ohne Sektorziele, weil der Koalitionskollege Wissing sonst mit Fahrverboten droht. Ohne Veggieday, weil das die Bratwurstesser auf die Barrikaden bringt. Ohne Tempolimit, weil der Gasfuß der Porschefahrer sonst verkrampft. Ohne Kerosinsteuer, weil sonst die Finca auf Mallorca im Wert sinkt. Ohne Deindustrialisierung, weil das den Wohlstand gefährden würde.
So ist Habeck in der Quadratur des Kreises gefangen. Es wäre einfach, in seinen Erklärvideos dem Populismus zu verfallen. Was man ihm zugute halten muss: Das tut er nicht. Das Stück Kabel, das er in die Kamera hält und das in Zukunft das britische mit dem deutschen Stromnetz verbinden wird, ist wahrscheinlich nicht geeignet, die Hormone bestimmter Bevölkerungsgruppen anzutriggern. Ein Cybertruck setzt mehr Testosteron frei. „Warum machen wir das alles?“, fragt der Minister stattdessen lehrerhaft in seine Insta-Kamera. Schließlich seien alle Maßnahmen dazu da, die Dekarbonisierung voranzutreiben. Den Klimawandel aufzuhalten. Der gesunde Menschenverstand gibt ihm recht. Populisten nicht. In dieses Horn bläst neuerdings Friedrich Merz, der in AfD-Gewässern fischt. Er findet, dass man lieber weniger über Klimaschutz reden sollte. Leider ist das nicht so einfach, denn die Themen ploppen von selbst auf. Hochwasser, Dürre, Hitzetote, Wald- und Artensterben mögen bisher meistens noch die anderen betreffen. Aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis jeder und jede Einzelne auch in Deutschland seine drastische Begegnung mit dem Klimawandel hat. Diese wider besseres Wissen achselzuckend als Kollateralschaden wegzuwischen, ist nicht klug. Das könnte Merz gehörig auf die Füße fallen.
Leider hat Dummheit Konjunktur, siehe AfD, die nicht nur ein bereitwilliges Einfallstor für korrupte, zynische, gewaltbereite und europafeindliche Kriminelle ist, sondern den Klimawandel schlichtweg leugnet. Sie hält ihn für einen Storytelling-Gag, um wahlweise die deutsche Autoindustrie, die deutsche Landwirtschaft oder die deutschen Ideale von 1933 zu zerstören. Von Energie, pardon, das ist ja das eigentliche Thema hier, weiß man dort vermutlich nicht viel mehr, als dass sie möglichst aus Russland kommen sollte. Und, dass sie „puff“ machen muss.
Muss man wirklich noch auf wissenschaftliche Studien verweisen, auf Wetterdaten und die Erfahrung von Älteren, um die Dringlichkeit der nachhaltigen Transformation zu unterstreichen? 2023, das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen, bleibt in ganz Europa als ein Jahr der Extreme in Erinnerung. Klimawandel ist längst Teil des kollektiven Erlebens. Robert Habeck wird sein Werk voraussichtlich nicht weiterführen können, weil er im Mahlstrom der Ampelkoalition zerrieben wird. Was will er dem entgegensetzen, außer seine geduldigen Erklärvideos, in denen er zuweilen wirkt wie der Teddy, der den Kindern zeigt, wie ungesund Süßigkeiten sind? Was ihm fehlt, sind die Krallen. Der Biss. Kann Habeck auch resolut sein? Könnte der Erklär-Bär mehr? Wir hätten ihn gern gefragt.