Der Glanz des Morgenlands

Ostdeutschland ist abgehängt? Zumindest in den Städten zeigt sich ein ganz anderes Bild: dynamische Unternehmensgründungen, internationales Flair, eine wachsende Wirtschaft.
Illustration: Sören Kunz
Illustration: Sören Kunz
Verena Mörath Redaktion

Manche könnten die Einschätzung der Clustermanager wohl als allzu steile, rosafarbene Vision sehen: „Mitteldeutschland zählt im Jahr 2030 zu den attraktivsten und innovativsten Wirtschafts-, Wissenschafts- und Kulturregionen in Europa und verbindet dynamisches Wachstum mit hoher Lebensqualität“, so die „Europäische Metropolregion Mitteldeutschland“ (EMMD) auf ihrer Website. Die EMMD vereint sieben Städte, fünf Landkreise sowie Hochschulen, Industrie- und Handelskammern und über 50 strukturbestimmende Unternehmen in den Bundesländern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.

„Unser Motto lautet: Gemeinsam sind wir stark, wir sitzen alle in einem Boot“, erklärt EMMD-Geschäftsführer Jörg-Heinrich Tobaben und zählt auf, was sich in Mitteldeutschland sehr gut entwickelt hat. „Außer bei der Digitalisierung und Breitbandversorgung, die in ländlichen Regionen mäßig ist, konnte Mitteldeutschland am Westen vorbeiziehen.“ Am öffentlichen Nahverkehr oder dem Zustand des Straßennetzes gebe es nichts mehr zu kritisieren. Tobaben betont die Vorzüge und Potenziale der Region hinsichtlich „Kulturgeschichte und -angebote und die hohe Lebensqualität bei niedrigen Lebenshaltungskosten.“

Positive Anreize und Entwicklungen brächten auch „Innovationscluster“ wie der Silicon Saxony e.V.: In diesem Branchennetzwerk für Mikro- und Nanoelektronik, Photovoltaik, Software, Smart Systems und Applikationen sind 320 Mitgliedsunternehmen vertreten – vom Zulieferer bis zum Forschungsinstitut – mit einem Gesamtumsatz von mehr als 4,5 Milliarden Euro pro Jahr.

In der Tat: Schaut man auf die so genannten „Hotspots“ wie Dresden, Leipzig, Halle, Jena, Chemnitz, Erfurt und Potsdam, gedeiht dort innovatives und kreatives Potential. Hier findet man mobile, gut qualifizierte Fachkräfte, hier haben der Bund und die Landespolitiken Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Bundesbehörden angesiedelt und mit dieser Strategie durchaus international agierende Unternehmen angelockt. Ebenso Halle, Cottbus, Rostock, Magdeburg. Hier schlummern noch Entwicklungspotentiale für den industriellen, technologischen Bereich und für den Dienstleistungssektor.

Surft man im Online-Magazin „Startup Mitteldeutschland“, entsteht schnell der Eindruck, dass gute Ideen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen keine Mangelware sind. Vorgestellt wird unter anderem die drei Jahre  alte Firma „Staffbase“, die eine mobile Plattform für digitale  Mitarbeiterkommunikation entwickelt hat. Gegründet wurde sie in einer Altbauwohnung in Chemnitz. Heute hat Staffbase weltweit über 100 Kunden, das Team residiert in einem Loft, es gibt einen Standort in New York und in Dresden. „Wir wollen in einem Jahr die Zahl unserer Mitarbeiter verdoppeln“, erklärt Staffbase-Mitgründer und Geschäftsführer Frank Wolf. Probleme, Fachkräfte zu finden, hat Staffbase nicht. „Wir haben ein spannendes Produkt, eine innovative Unternehmenskultur mit transparenter und authentischer Kommunikation auf Augenhöhe, Englisch als Bürosprache und ein internationales Team.“

Er ist überzeugt davon, dass der Erfolg von Staffbase seinem herausragenden Marketing geschuldet ist. „Ein Thema, das in den Vereinigten Staaten täglich diskutiert und weiter gedacht wird“, erzählt er über seine Erfahrungen nach einem Jahr Aufbauarbeit in New York. Diese Art zu Denken sei hier noch nicht angekommen, „weder in den Hochschulen noch hinreichend in der Gründerszene selbst.“ Ohne geschicktes Marketing gebe es kein nachhaltiges Wachstum.

Gründen und Wachsen in Ostdeutschland - wie das geht, zeigt auch „SpinLAb – The HHL Accelerator“ mit Sitz auf dem attraktiven Gelände der ehemaligen Leipziger Baumwollspinnerei. Start-ups können sich bei SpinLAb für ein sechsmonatiges Coaching- und Mentoringprogramm bewerben. Sie profitieren von Kontakten zu 70 Mentoren, zu Investoren, etablierten Unternehmen und anderen Start-ups, dürfen kostenfrei Co-Working-Büros nutzen und werden mit 10.000 Euro gefördert. „Unsere Vision ist es, die Region als attraktiven Gründungsstandort neben Berlin, München oder Hamburg zu platzieren“, erklärt Eric Weber, Geschäftsführer und Co-Gründer von SpinLAb.

Er beobachtet ein „dynamisches Wachstum“ in Mitteldeutschland auf der einen Seite, beklagt aber, dass sich bis heute „kaum relevante Großunternehmen oder nur ein Dax-Konzern angesiedelt haben.“ So würden die Firmenzentralen nicht wie in Westdeutschland in Forschung und Entwicklung investieren. „Wir sind mittelständisch geprägt, und kleine Unternehmen haben für solche Initiativen kein Kapital.“ Positiv bewertet Eric Weber staatliche Finanzierer wie den High-Tech Gründerfonds.

Eric Weber, Jörg-Heinrich Tobaben und Frank Wolf sehen die Problematik des Stadt-Land-Gefälles. Oder, wie es der Wirtschaftswissenschaftler Joachim Ragnitz vom Leibnitz Institut für Wirtschaftsforschung, Niederlassung Dresden, ausdrückt, eine „regionale Disparitätenbildung“ in Mitteldeutschland: Dass der Großteil der qualifizierten Fachkräfte in großstädtischen Zentren abgewandert ist, ging zulasten der kleinen und mittleren Städte, wo „Innovationsmotoren“ fehlen. „Die Politik muss die ländliche Region im Konzert der Hotspots endlich besser wahrnehmen“, fordert deshalb Jörg-Heinrich Tobaben.

Am Horizont lauert eine neue Entwicklungsbremse: 2020 läuft die EU-Strukturförderung aus, auch durch den Brexit werden wichtige Partner verloren gehen. „Wenn die EU-Subventionen abnehmen, sind Großansiedlungen wie zuletzt Bosch oder früher BMW schwerer umsetzbar“, glaubt Eric Weber. Pessimistisch äußert sich auch Frank Wolf: „Anders als in Teilen Westdeutschlands, wo sich in bestimmten Segmenten Weltmarktführer auf dem Land niedergelassen haben, Arbeitsplätze geschaffen, die Infrastruktur verbessert und ein gutes soziales Umfeld befördern konnten, haben kleine Städte in Mitteldeutschland gar nichts in ihrer Mitte.“

Eine Chance sieht Frank Weber: „Unter der Voraussetzung einer guten Anbindung, können Dörfer und kleinere Städte von der Wirtschaftskraft der Hotspots profitieren. Innovationen wie autonome Mobilität, telemedizinische Anwendungen oder eLearning haben das Potenzial, die Lebensqualität im ländlichen Raum zu steigern.“

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