Lust aufs Unternehmertum

 Die Gründungsaktivitäten in Deutschland legen wieder zu. Vor allem junge Menschen wagen den Weg in die Selbständigkeit – aber häufig im kleinen Rahmen.

Illustrationen: Cristina Franco Roda
Illustrationen: Cristina Franco Roda
Julia Thiem Redaktion

Jede Krise ist eine Chance. Was nach einem abgedroschenen Kalenderspruch klingt, scheinen die Menschen im Land derzeit ernst zu nehmen: Laut KfW-Gründungsmonitor 2025 sind die Existenzgründungen im vergangenen Jahr wieder leicht gestiegen, nämlich um 17.000 oder drei Prozent auf 585.000. Zudem werden die Gründerinnen und Gründer auch immer jünger. Im Mittel lag das Gründungsalter bei 34,4 Jahren. Und: 39 Prozent aller Gründerinnen und Gründer waren im vergangenen Jahr zwischen 18 und 29 Jahren alt. Das ist laut KfW der höchste bisher gemessene Anteil dieser Alterskohorte. 

Zum Kalenderspruch passt die steigende Zahl der Neugründungen, weil auch die KfW den „abkühlenden Arbeitsmarkt“ als einen Grund dafür nennt, dass mehr Menschen den Schritt in die Selbständigkeit wagen. Allerdings sind es vor allem Nebenerwerbsgründungen, die zu den steigenden Zahlen beitragen. Hier kann die Bundesrepublik ein Plus von fünf Prozent oder 19.000 auf insgesamt 382.000 Nebenerwerbsgründungen verbuchen. Die Zahl der Vollerwerbsgründungen ist hingegen um ein Prozent oder 2.000 Personen niedriger als im Vorjahr und liegt bei insgesamt 203.000 Gründungen. Damit trübt sich das Bild an dieser Stelle schon leicht. Viel wichtiger ist aber der langfristige Trend. Denn seit Anfang des Jahrtausends hat sich die Gründungstätigkeit stark abgeschwächt und verharrt seit 2018 in einer Art Seitwärtstrend. Außerdem ist der Traum von der Selbständigkeit bei etwa einem Drittel auch schnell wieder ausgeträumt, nämlich schon innerhalb von zwei Geschäftsjahren. Nach weiteren zwei Jahren sind nur noch etwa 61 Prozent der Gründungen aktiv.

Entsprechend drosselt KfW-Chefvolkswirt Dr. Dirk Schumacher die Euphorie bei der Interpretation der Anfang Juni vorgestellten Zahlen: „Die Gründungsneigung in Deutschland ist gering. Das lag in den vergangenen Jahren sicher auch an der gut laufenden Wirtschaft, die Menschen haben sich für die Sicherheit eines Angestelltenverhältnisses entschieden. Das ist eine Mentalitätsfrage. Es geht aber auch um Bildung.“

Und es geht um Kapital. Denn auch das zeigt die KfW-Auswertung: Gründungen werden kapitalintensiver. Der Finanzmitteleinsatz lag in den vergangenen Jahren meist bei unter 5.000 Euro. Im langfristigen Durchschnitt kamen gut zwei Drittel (67 Prozent) der Gründerinnen und Gründer mit diesem Betrag aus. Das hat sich allerdings strukturell seit 2022 geändert: Im Jahr 2024 wurden nur noch bei 56 Prozent der Gründungen bis zu 5.000 Euro eingesetzt. Dies dürfte vor allem an der allgemeinen Preissteigerung liegen, heißt es von der KfW. 

Gleichzeitig unterstreicht die geringe Kapitalbasis, in welchen Dimensionen sich Gründungen bewegen – nämlich im kleinen, überschaubaren Rahmen. Könnte heißen: Mut ja, aber bitte so, dass das Risiko auch beherrschbar bleibt. Dafür liefern auch die KfW-Daten einen Beleg. Denn 75 Prozent der Gründerinnen und Gründer decken den Kapitalbedarf ausschließlich aus Eigenmitteln – der höchste bisher gemessene Wert. 

Dass sich das deutsche Unternehmertum in einem generationsbedingten Umbruch befindet, zeigt zudem eine Erhebung des deutschen Startup-Verbands. Laut Student Entrepreneurship Monitor 2025, der Ende Mai vorgestellt wurde, kann sich jeder fünfte Studierende vorstellen, ein eigenes Unternehmen aufzubauen. Die Motivation hierfür schöpft der Nachwuchs vor allem aus ideellen Faktoren. 92 Prozent wollen etwas Neues lernen, 85 Prozent die Relevanz ihrer Arbeit sehen. Aspekte wie berufliche Sicherheit oder geregelte Arbeitszeiten spielen dagegen eine untergeordnete Rolle – die Gründung ist also in hohem Maße persönliches Commitment, heißt es vom Startup-Verband.

Und entgegen aller Unkenrufen über die junge Generation ist sie sich durchaus darüber im Klaren, dass eine Existenzgründung kein Spaziergang ist. Über die Hälfte (53 Prozent) rechnet mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 50 oder mehr Stunden. Allerdings fühlen sich die wenigsten Studierenden auf eine künftige Unternehmerrolle gut vorbereitet. Lediglich 17 Prozent der Befragten haben während ihrer Schulzeit eine unternehmerische Bildung genossen. 84 Prozent hätten sich entsprechende Inhalte gewünscht. „Im Studium stellt man sich die Frage, wohin es geht und wie die eigene Karriere aussehen kann. Daher ist es so wichtig, genau hier die Unternehmensgründung als Option ins Spiel zu bringen und jungen Menschen gleich die nötigen Skills mitzugeben. Wenn wir dieses Thema ernst nehmen, kann daraus eine neue Ära der Innovation entstehen“, ist Dr. Kati Ernst, stellvertretende Vorstandsvorsitzende beim Startup-Verband, überzeugt. 

Auch für KfW-Chefvolkswirt Dr. Dirk Schumacher ist die vergleichsweise hohe Gründungspräferenz jüngerer Menschen „ein Lichtblick“, weshalb er und seine Kollegen auch für 2025 erneut leicht steigende Gründungszahlen erwarten. Ein weiterer Lichtblick für die deutsche Start-up-Szene kommt von der Unternehmensberatung EY. Dort attestiert man, dass der Sinkflug in puncto Finanzierungen gestoppt sei. Jungunternehmen hätten 2024 mehr als sieben Milliarden Euro von Investoren eingesammelt – knapp eine Milliarde oder 17 Prozent mehr als im Vorjahr. Allerdings verteilen sich die Investorengelder auf deutlich weniger Finanzierungsrunden, nämlich 755 Deals in 2024, was nicht nur zwölf Prozent weniger Abschlüsse als 2023 sind, sondern im dritten Jahr in Folge eine rückläufige Tendenz ist. 

Und tatsächlich werden Standortbedingungen wie Zugang zu Kapital oder auch regulatorische Fragen in anderen Ländern – allen voran den USA, Großbritannien aber auch Estland oder Singapur – deutlich besser wahrgenommen als in Deutschland. Das zeigt der Migrants Founders Monitor, den der Startup-Verband Mitte Mai vorgestellt hat. Denn knapp 14 Prozent der Start-up-Unternehmerinnen und Start-up-Unternehmer in Deutschland sind im Ausland geboren. Unter Unicorns, den Jungunternehmen mit Milliardenbewertung, liegt der Anteil sogar bei 23 Prozent. Gerade ihr Blick auf die Gründungsbedingungen zeigt auf, wo Deutschland Nachholbedarf hat, um attraktiver für Existenzgründer zu werden. Und das sind neben dem Zugang zu Kapital – wen wundert’s – vor allem die Abgaben und Steuerlast.

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